Entscheidungsstichwort (Thema)

Kinder- und Jugendhilfe. Verhältnis zu anderen Leistungen. Vorrang der Sozialhilfe. Vorliegen einer wesentlichen geistigen Behinderung. Bestehen eines Leistungsanspruchs sowohl nach dem SGB 8 als auch nach dem SGB 12. Gleichartigkeit der Leistungen

 

Orientierungssatz

§ 10 Abs 4 S 2 SGB 8, der zu einem Vorrang der Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB 12 gegenüber allen Leistungen nach dem SGB 8 führt, setzt voraus, dass eine wesentliche körperliche oder geistige Behinderung vorliegt, sowohl ein Anspruch auf Jugendhilfe als auch ein Anspruch auf Eingliederungshilfe nach dem SGB 12 gegeben ist und beide Leistungen gleich, gleichartig, einander entsprechend, kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich sind (vgl BVerwG vom 19.10.2011 - 5 C 6/11 = ZFSH/SGB 2012, 33 und BSG vom 24.3.2009 - B 8 SO 29/07 R = BSGE 103, 39 = SozR 4-2800 § 10 Nr 1).

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert wird endgültig auf 80.976,90 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Aufwendungen, die der Klägerin durch die Unterbringung der Hilfeempfängerin C (im Folgenden: Hilfebedürftige) in der Zeit vom 07.08.2006 bis 13.08.2008 in der Einrichtung "I" entstanden.

Die am 00.00.1990 geborene Hilfebedürftige bezog seit dem 10.03.2005 vom Beklagten auf ihren Antrag hin zunächst Leistungen der Eingliederungshilfe für die Unterbringung in einem Mutter-Kind-Heim (ab dessen Geburt am 00.00.2005 gemeinsam mit ihrem Sohn L). Nach Aufnahme ihres Sohnes in eine Pflegefamilie war die Hilfebedürftige (mit Unterbrechungen) in der Zeit vom 24.11.2005 bis zum 17.03.2006 in der Einrichtung "E" in L untergebracht. Erstmals mit Bescheid vom 05.12.2005 gewährte die Klägerin diesbezüglich Hilfe zur Erziehung gemäß § 27 ff. SGB VIII in Form der Heimerziehung.

Mit Beschluss vom 25.11.2005 - 12 F 319/05 übertrug das Amtsgericht H dem Stadtjugendamt H zunächst das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Hilfebedürftige. Das Amtsgericht entzog den Eltern der Hilfebedürftigen nachfolgend die Personensorge und ordnete eine Ergänzungspflegschaft unter Bestellung des Stadtjugendamtes zum Ergänzungspfleger an (Beschlüsse vom 13.04.2006 - 12 F 15/06 und vom 15.11.2006 - 10 VIII B 22/06).

Ab dem 07.08.2006 war die Hilfebedürftige in der Einrichtung "I" (Mädchengruppe T-weg in U), betrieben von der Rheinischen Gesellschaft für Innere Mission und Hilfswerk GmbH, untergebracht. Die Hilfebedürftige besuchte parallel die G-Schule, Förderschule Geistige Entwicklung. Die Klägerin gab am 02.08.2006 gegenüber dem Einrichtungsträger eine "Kostenzusage für Heimerziehung bzw. sonstige betreute Wohnformen gem. § 27 i.V.m. § 34 KJHG" ab.

Die Klägerin veranlasste durch ihr Jugendamt bei der Hilfebedürftigen eine IQ-Testung, nachdem der Neurologe und Psychiater Dr. L unter dem 13.12.2005 bescheinigt hatte, es liege ein Grenzfall zwischen Lernbehinderung und geistiger Behinderung leichten Grades vor. In einem Gutachten des Sonderschullehrers T vom 03.11.2006 ist, Bezug nehmend auf einen Intelligenztest vom 26.10.2006, ausgeführt, die Testung habe einen Standard-IQ von 66 ergeben. Lege man den Grenzwert zwischen Lern- und geistiger Behinderung der Weltgesundheitsorganisation von 70 zugrunde, befinde sich die Hilfebedürftige mit ihren Leistungen im oberen Bereich einer geistigen Behinderung.

Mit Schreiben vom 14.11.2006 erbat das Stadtjugendamt H (Ergänzungspfleger) Bezug nehmend auf den im Dezember 2005 gestellten Antrag auf Eingliederungshilfe den Beklagten um die Kostenübernahme für die Einrichtungsaufenthalte vom 24.11.2005 bis 16.01.2006, vom 13.03.2006 bis 18.06.2006 und vom 07.08.2006 bis laufend.

Mit Schreiben vom 17.04.2007 wies der Beklagte, Bezug nehmend auf das Schreiben des Stadtjugendamtes, darauf hin, dass bei einer geistigen Behinderung die Einrichtung "I" nicht geeignet sei. Denn dort werde lediglich der Personenkreis der seelisch behinderten Menschen betreut. Da sich die Einrichtung seit dem 07.08.2006 nicht um eine Kostenübernahme bemüht habe, werde um Mitteilung gebeten, wer derzeit die Kosten für die Unterbringung trage. Hingegen gewährte der Beklagte für die Unterbringung in der Einrichtung "E", beginnend mit dem 02.12.2005 (dem Zeitpunkt des Bekanntwerdens des Hilfefalles), Eingliederungshilfe und Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII (Bescheide vom 20.04.2006).

Unter dem 02.05.2007 wandte sich das Stadtjugendamt H in seiner Funktion als Ergänzungspfleger an den Beklagten und teilte mit, die Kosten der Unterbringung der Hilfebedürftigen in der Einrichtung "I" würden derzeit durch das Stadtjugendamt übernommen. Die Hilfebedürftige lebe seit acht Monaten in der Einrichtung und sei dort gut integriert. Auch wenn der Schwerpunkt der Einrichtung auf der Betreuung seelisch behinderter Menschen beruhe, so sei die Wohngruppe wohl in der Lage, auch spezielle Einzelfallhilfe zu leisten. Es werde um K...

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