Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilferecht: Erbringung von Leistungen zur Eingliederungshilfe. Vorrang der Sozialhilfeleistungen vor Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe bei einer geistigen Behinderung. Kostentragungspflicht für die stationäre Unterbringung eines geistig behinderten Kindes

 

Orientierungssatz

Bei Vorliegen einer geistigen Behinderung bei einem Kind in Form einer leichten Intelligenzminderung (hier: IQ von 66) ist jedenfalls bei Auftreten weit unterdurchschnittlicher kognitiver Fähigkeiten von einer wesentlichen Einschränkung der Teilhabefähigkeit des Kindes auszugehen. Ist aus diesem Grund eine stationäre Unterbringung des Kindes erforderlich, sind die Kosten dafür vom Sozialhilfeträger als Eingliederungsmaßnahme zu übernehmen und nicht vom Träger der Kinder- und Jugendhilfe als Hilfe zur Erziehung, da insoweit wegen der Gleichartigkeit der Leistungen ein Vorrang der Sozialhilfe besteht.   

 

Tenor

Der Bescheid vom 30.03.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.02.2016 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Beigeladenen Sozialhilfe in Form von Eingliederungshilfe durch stationäre Unterbringung zu gewähren.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird endgültig auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Klägerin betreibt die Feststellung, dass der Beklagte als Sozialhilfeträger dem Beigeladenen sozialhilferechtliche Eingliederungshilfe zu erbringen hat.

Der am 00.00.0000 geborene Beigeladene hatte vom Lebensgefährten seiner Mutter häusliche Gewalt erfahren. Er leidet u.a. an kombinierten umschriebenen Entwicklungsstörungen, anderen Kontaktanlässen mit Bezug auf die Erziehung und anderen Kontaktanlässen mit Bezug auf den engeren Familienkreis. Nachdem seine Verwahrlosung im Haushalt der Mutter und ihres Lebensgefährten festgestellt worden war, zogen er und seine Mutter nach C. um, wo seine Einschulung mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich Sprache und Lernen erfolgte. Im Jahr 2013 zogen er und seine Mutter zurück nach B., wo sie in einer betreuten Mutter-Kind-Wohneinheit lebten. Der Beigeladene besuchte seit dem 20.01.2014 die Schule am S. (B.), eine städtische Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Lernen. Unter dem 21.07.2014 stellte die Mutter des Beigeladenen einen Antrag auf Hilfe zur Erziehung in Form einer stationären Unterbringung durch die Klägerin. Hintergrund war, dass sie mit der Erziehung des Beigeladenen überfordert war und eine erneute Gefährdung des Kindeswohls drohte. Unter dem 26.08.2014 stellte sie darüber hinaus bei dem Beklagten einen Antrag auf stationäre Unterbringung. Der Beklagte wertete Berichte des C. - Klinik für Kinder- und Jugendmedizin - vom 05.03.2014 und vom 23.06.2014 aus und zog einen Bericht der M.-Klinik C. - Kinderneurologisches Zentrum - vom 12.08.2014 bei. Nachdem der Medizinisch-psychosoziale Fachdienst (MPD) des Beklagten unter dem 29.09.2014 zu dem Ergebnis gelangt war, eine eindeutige Zuordnung des Beigeladenen zum Personenkreis von jungen Menschen mit einer wesentlichen geistigen Behinderung sei nicht möglich, bewilligte die Klägerin ab dem 09.10.2014 Jugendhilfe-Leistungen in Form der Unterbringung des Beigeladenen im katholischen Kinderheim T. in E. Seit dem 21.10.2014 besucht der Beigeladene die C2-Schule in E., eine Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen. Unter dem 15.10.2014 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, sie erbringe als unzuständiger Träger Jugendhilfeleistungen und begehrte Kostenerstattung für bereits geleistete Hilfen sowie die Gewährung von sozialhilferechtlicher Eingliederungshilfe für den Beigeladenen. Der Beklagte zog ein schulärztliches Gutachten vom 19.03.2013 bei und wertete einen Bericht des katholischen Kinderheims T. (in E.) vom 14.01.2015 sowie einen Bericht der Dipl-Psychologin L. vom 20.01.2015 aus. Nach erneuter Stellungnahme des MPD vom 16.03.2015 lehnte der Beklagte den Antrag auf Fallübernahme mit Bescheid vom 30.03.2015 ab. Zur Begründung führte er aus, bei dem Beigeladenen drohe eine seelische Behinderung. Zwar liege auch eine Lernbehinderung vor; angesichts der Entwicklungsfortschritte des Beigeladenen sei indessen nicht von einer wesentlichen geistigen Behinderung auszugehen. Die Klägerin legte am 11.05.2015 Widerspruch ein und führte aus, bei dem Beigeladenen liege auch eine wesentliche geistige Behinderung vor, welche weiterhin eine stationäre Unterbringung erforderlich mache. Mit Bescheid vom 18.06.2015 gewährte die Klägerin dem Beigeladenen ab dem 17.06.2015 Hilfe zur Erziehung in Form einer (stationären) Unterbringung im heilpädagogischen Kinderhaus M1 in X. Mit Widerspruchsbescheid vom 17.02.2016 (der Klägerin zugestellt am 26.02.2015) wies der Beklagte den Widerspruch unter Vertiefung seiner bisherigen Ausführungen zurück. Ergänzend führte er aus, es bestehe auch deshalb kein Anspruch der Klägerin auf Übernahme des Hilfefalles, weil die laufende Kosten tatsächlich getragen würden.

Hiergegen richtet sich die am 24.03.2016 ...

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