Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Hilfsmittelversorgung. Zweitversorgung mit einem Therapiestuhl für den Besuch einer Kindertageseinrichtung. mittelbarer Behinderungsausgleich. allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens. Eingliederung in die Gruppe der Gleichaltrigen

 

Orientierungssatz

1. Die Krankenkasse hat ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich im Sinne eines Basisausgleichs nur zu bewilligen, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen ist (vgl BSG vom 18.5.2011 - B 3 KR 10/10 R = SozR 4-2500 § 33 Nr 35 und vom 23.7.2002 - B 3 KR 3/02 R = SozR 3-2500 § 33 Nr 46).

2. Für Kinder und Jugendliche gehören auch die Hinführung zur Schulfähigkeit (vgl BSG vom 3.11.2011 - B 3 KR 8/11 R = BSGE 109, 199 = SozR 4-2500 § 33 Nr 37) sowie die Eingliederung in die Gruppe der Gleichaltrigen zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens (vgl BSG vom 18.5.2011 - B 3 KR 10/10 R aaO und vom 16.4.1998 - B 3 KR 9/97 R = SozR 3-2500 § 33 Nr 27).

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 07.10.2020 geändert. Der Bescheid vom 04.05.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.01.2019 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger 3.582,36 EUR zu erstatten. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung von Kosten iHv 3.582,36 EUR für die Zweitversorgung mit einem Therapiestuhl nebst Zubehör für den Besuch einer Kindertageseinrichtung (Kita) streitig.

Bei dem am 00.00.2016 geborenen Kläger besteht eine infantile spinale Muskelatrophie Typ 1 mit muskulärer Hypotonie und motorischer Entwicklungsverzögerung. Er ist bei der Z BKK krankenversichert, die von dem Sozialgericht beigeladen worden ist. Der medizinische Dienst der Beigeladenen stellte ab dem 01.10.2017 den Pflegegrad 2 und ab dem 01.05.2018 den Pflegegrad 3 fest. Der Kläger verfügt über einen Schwerbehindertenausweis mit einem GdB von 100 und den Merkzeichen aG, B und H. Für den häuslichen Gebrauch wurde der Kläger von der Beigeladenen mit einem Therapiestuhl versorgt.

Die Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin Dr. B verordnete unter dem 28.02.2018 einen weiteren Therapiestuhl "Madita Fun" mit Zubehör für den ab dem 01.04.2018 geplanten Besuch der Kita. In ihrem Attest vom 21.03.2019 führte die Ärztin aus, der Kläger könne nicht selbstständig sitzen, stehen oder laufen. Der Körper könne aufgrund der massiven Muskelschwäche nicht selbstständig gehalten werden und müsse beim Sitzen mit genau angepassten Hilfsmitteln versorgt werden. Um am Kita-Alltag, zB an gemeinsamen Mahlzeiten, teilnehmen zu können, benötige der Kläger einen Therapiestuhl. Dieser sei darüber hinaus erforderlich, um schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen in Form von Wirbelsäulenverkrümmungen zu vermeiden.

Der Kläger übersandte die Verordnung und einen Kostenvoranschlag vom 12.03.2018 für den Therapiestuhl "Madita Fun 2" über 3.636,82 EUR an die Beigeladene. Die Beigeladene leitete den Kostenvoranschlag mit Schreiben vom 13.03.2018 an die Beklagte weiter. Nach Eingang des Schreibens forderte die Beklagte den Kläger auf, einen Antrag auf Eingliederungshilfe nach dem SGB XII zu stellen, den dieser bei der Beklagten schriftlich am 21.03.2018 einreichte. Mit Schreiben vom 22.03.2018 teilte die Beklagte dem Kläger mit, sie habe den Antrag an die Beigeladene weitergeleitet. Dem Schreiben war ein Anschreiben an die Beigeladene beigefügt, in dem die Beklagte ausführt, die Übersendung des Kostenvoranschlags sei nicht als Antrag zu werten. Der Antrag sei nunmehr gestellt worden und liege als Anlage bei. Dagegen wendete die Beigeladene ein, aus dem übersandten Kostenvoranschlag nebst Verordnung gehe eindeutig hervor, was beantragt sei und wofür es genutzt werden solle.

Die Eltern des Klägers stimmten einer von der Beklagten mit Schreiben vom 06.04.2018 geforderten Vermögensprüfung nicht zu. Sie meinten, ein Anspruch auf Zweitversorgung mit einem Therapiestuhl ergebe sich unabhängig von ihren wirtschaftlichen Verhältnissen aus dem SGB V.

Mit Schreiben vom 04.05.2018 führte die Beklagte gegenüber dem Kläger aus, sie sei zwar für Leistungen im Rahmen der Eingliederungshilfe zuständig. Eine Leistung nach dem SGB V komme dagegen nicht in Betracht, weil die gesetzlichen Krankenkassen nach der Rechtsprechung des BSG einem Kind erst ab einem Alter von drei Jahren eine Zweitversorgung mit dem begehrten Hilfsmittel bewilligen müssten. Eine Bewilligung nach dem SGB XII ohne Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen könne nicht vorgenommen werden. Die Anschaffung des Therapiestuhls sei insoweit nicht privilegiert.

Gegen das Schreiben legte der Kläger am 13.05.2018 Widerspruch ein. Die Anschaffung des Therapiestuhls sei nach § 92 Abs. 2 Nr. 5 SGB XII privilegiert. Außerdem sei die ...

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