Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Krankengeldanspruch. elektronische Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Meldeobliegenheit des Vertragsarztes ab dem 1.1.2021. Übermittlungsverzögerungen. kein Einflussbereich des Versicherten

 

Orientierungssatz

1. Die Meldeobliegenheit des Versicherten beschränkt sich seit dem 1.1.2021 nur auf solche Fälle, in denen die Arbeitsunfähigkeit durch nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Ärzte und Einrichtungen bescheinigt wird.

2. Mit der Einführung eines einheitlichen und verbindlichen elektronischen Verfahrens zur Übermittlung der bisher mittels Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen in Papierform an die Krankenkassen gemeldeten Arbeitsunfähigkeitsdaten wird die Obliegenheit zur Meldung der (fortbestehenden) Arbeitsunfähigkeit auf die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen übertragen. Soweit sich bei der elektronischen Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten Verzögerungen ergeben, liegen sie insoweit nicht mehr im Einflussbereich der Versicherten, so dass sie keine sich aus der verspäteten Übermittlung ergebenden Rechtsfolgen zu tragen haben.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 30.11.2023; Aktenzeichen B 3 KR 23/22 R)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 08.03.2022 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Zahlung von Krankengeld für die Zeit vom 12.05.2021 bis 21.07.2021.

Der bei der Beklagten freiwillig krankenversicherte Kläger ist seit dem 31.03.2021 arbeitsunfähig erkrankt. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für die Zeit vom 31.03.2021 bis 23.04.2021 gingen am 13.04.2021 bei der Beklagten ein. Bis zum 11.05.2021 erhielt der Kläger Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber.

Am 26.07.2021 teilte der Kläger der Beklagten telefonisch mit, er sei seit Ostern durchgehend arbeitsunfähig. Das Einreichen der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei ihm aufgrund von Bettlägerigkeit und zuletzt Hochwasser durchgegangen. Er werde die entsprechenden Unterlagen einreichen.

Am 28.07.2021 übersandte der Kläger der Beklagten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, in denen ua die Arbeitsunfähigkeit für die Zeit vom 11.05.2021 bis 21.07.2021 lückenlos attestiert wurde. Im Folgenden übersandte der Kläger zwei weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für die Zeit vom 22.07.2021 bis 24.07.2021 und 27.07.2021 bis 05.08.2021.

Mit Bescheid vom 29.07.2021 lehnte die Beklagte die Zahlung von Krankengeld für die Zeit vom 12.05.2021 bis 21.07.2021 ab, da die Arbeitsunfähigkeit erst am 26.07.2021 telefonisch bei ihr gemeldet worden sei. Der Anspruch auf Krankengeld ruhe, solange die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse nicht innerhalb einer Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit gemeldet werde. Die Arbeitsfähigkeit sei zuletzt am 09.07.2021 ärztlich festgestellt und erst am 26.07.2021, also nach mehr als sieben Tagen, telefonisch gemeldet worden. Krankengeld könne deshalb für den genannten Zeitraum nicht gezahlt werden.

Mit bestandskräftigem Bescheid vom 11.08.2021 bewilligte die Beklagte dem Kläger Krankengeld ab dem 22.07.2021 in Höhe von 112,88 EUR brutto/99,31 EUR netto täglich.

Gegen den Bescheid vom 29.07.2021 legte der Kläger am 30.08.2021 Widerspruch ein. Gemäß § 295 Abs 1 S 1 Nr 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) iVm § 295 Abs 1 S 10 SGB V seien die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen seit dem 01.01.2021 verpflichtet, die von ihnen festgestellten Arbeitsunfähigkeitsdaten an die Krankenkassen zu übermitteln. Die Obliegenheit zur Meldung der (fortbestehenden) Arbeitsunfähigkeit werde damit auf die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen übertragen. Das Ruhen des Anspruchs auf Krankengeld gelte gemäß § 49 Abs 1 Nr 5 2. HS 2. Alt SGB V nicht, wenn die Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten im elektronischen Verfahren nach § 295 Abs 1 S 10 SGB V erfolge. Sofern die Übermittlung nicht stattgefunden haben sollte oder eine Verspätung eingetreten sei, liege dies außerhalb seines Einflussbereichs, so dass sich für ihn keine Rechtsfolgen aufgrund der verspäteten Übermittlung ergeben könnten.

Auf Nachfrage der Beklagten teilte die behandelnde Arztpraxis mit, dass eine Teilnahme am eAU (elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung-Verfahren) erst ab ca November/Dezember 2021 erfolgt sei. Man habe dem Kläger Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zur Weiterleitung an die Krankenkasse ausgehändigt.

Mit Bescheid vom 02.11.2021 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Bezüglich der Einführung der eAU hätten die Kassenärztliche Bundesvereinigung sowie der Spitzenverbandbund der Krankenkassen eine Übergangsfrist vom 01.10.2021 bis 31.12.2021 vereinbart. Insofern sei die Umsetzung und Anwendung des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) vom 06.05.2019 (BGBl I S 646) für den im ...

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