Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe für Ausländer. Passbeschaffungskosten. Niederlassungserlaubnis. Hilfe in besonderen Lebenslagen. atypische Bedarfslage. Bestandteil des Regelbedarfs. stationäre Unterbringung. weiterer notwendiger Lebensunterhalt. Öffnungsklausel. Notwendigkeit. Passpflicht. Erfüllung durch Besitz eines Ausweisersatzes. Unmöglichkeit der Erlangung eines Passes oder Passersatzes in zumutbarer Weise

 

Orientierungssatz

1. Der weitere notwendige Lebensunterhalt für Leistungsberechtigte in Einrichtungen nach § 27b Abs 2 SGB 12 umfasst grundsätzlich alles, was nicht bereits als Teil des notwendigen Lebensunterhalts im Sinne von § 27b Abs 1 SGB 12 in der Einrichtung selbst zu decken ist. Damit enthält § 27b Abs 2 SGB 12 eine Öffnungsklausel, die eine abweichende Bedarfsbemessung erlaubt, und es besteht kein Anlass zur Anwendung des § 73 SGB 12 im Hinblick auf Passbeschaffungskosten.

2. Für die Abgrenzung zwischen Barbetrag und sonstigem weiteren notwendigen Lebensunterhalt ist entscheidend, ob der geltend gemachte Bedarf den persönlichen, individuellen Wünschen des Leistungsberechtigten entspringt (dann Barbetrag) oder ob er rechtlich bzw sonst existenziell erforderlich ist (dann sonstiger weiterer notwendiger Lebensunterhalt; vgl BSG vom 23.8.2013 - B 8 SO 17/12 R = BSGE 114, 147 = SozR 4-3500 § 92a Nr 1, RdNr 39).

3. Der Notwendigkeit eines weiteren Lebensunterhalts steht bei Passkosten die Möglichkeit entgegen, dass Ausländer für den Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 3 Abs 1 S 2 AufenthG 2004 ihre Passpflicht auch durch den Besitz eines Ausweisersatzes (§ 48 Abs 2 AufenthG 2004) erfüllen und sie diesen beantragen können, ohne dass für seine Erteilung Gebühren anfallen.

4. Ein Pass oder Passersatz kann dann nicht nach § 48 Abs 2 AufenthG 2004 in zumutbarer Weise erlangt werden, wenn die erhaltenen Sozialleistungen bezogen auf die Erfüllung der Passpflicht keinen Spielraum bieten (vgl BSG vom 29.5.2019 - B 8 SO 8/17 R = SozR 4-4200 § 24 Nr 8 RdNr 20).

 

Leitsatz (amtlich)

Ausländer, die in einer Einrichtung leben und dort weiteren notwendigen Lebensunterhalt nach § 27b Abs 2 SGB XII (idF bis 31.12.2019) erhalten, haben keinen Anspruch auf zuschussweise Leistungen für die Beschaffung eines ausländischen Passes.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 08.12.2022; Aktenzeichen B 8 SO 11/20 R)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 16.07.2013 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Übernahme von Beschaffungskosten für einen ausländischen Pass durch den Beklagten.

Der 1978 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er ist seit 1998 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis bzw. seit dem 01.01.2015 einer Niederlassungserlaubnis. Er leidet an einer drogeninduzierten Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis. Seit dem 12.10.2009 ist für ihn eine gesetzliche Betreuung eingerichtet.

Im Herbst 1997 wurde der Kläger nach einem Krankenhausaufenthalt in das Übergangswohnheim des Reha-Zentrums O in F. aufgenommen und erhielt dort erstmals Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem BSHG durch den Beklagten. Im Juni 2000 bezog er eine eigene Wohnung in F. Im Dezember 2004 wurde er erneut in das Reha-Zentrum P aufgenommen und erhielt dort wiederum Leistungen der stationären Eingliederungshilfe. Am 09.06.2008 zog er von dort aus unmittelbar in eine Außenwohngruppe des Wohnheims des A Vereins zur Förderung psychisch Kranker und Behinderter e.V. in A. um und erhält seitdem dort weiterhin Eingliederungshilfeleistungen durch den Beklagten. Seit dem 01.06.2012 erhielt er monatlich einen Barbetrag in Höhe von (seinerzeit) 100,98 EUR (2020: 116,64 EUR).

Mit Schreiben vom 16.10.2012 beantragte der Kläger durch seinen Betreuer beim Beklagten die Übernahme von Passbeschaffungskosten. Die Gültigkeit seines türkischen Passes laufe im Januar 2013 ab. Eine Verlängerung sei nicht möglich, so dass ein neuer Pass beantragt werden müsse. Dieser koste 162,00 EUR bei einem Gültigkeitszeitraum von zehn Jahren. Aus seinem Taschengeld könne er den Betrag nicht ansparen.

Mit Bescheid vom 06.12.2012 bewilligte der Beklagte 162,00 EUR für die Beschaffung eines Reisepasses als Darlehen. Es werde erwartet, dass der Kläger ab Januar 2013 das Darlehen in monatlichen Raten von 10,00 EUR zurückzahle.

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und begehrte die Bewilligung einer Beihilfe statt eines Darlehens. Deutsche Staatsbürger hätten entsprechende Kosten nicht zu tragen, so dass eine Ungleichbehandlung bestehe. Von seinem Taschengeld bleibe nach einer zu leistenden Darlehensrückzahlung von 10,00 EUR monatlich nur wenig übrig.

Mit Schreiben vom 20.02.2013 teilte der Kläger mit, dass nach Auskunft des türkischen Konsulats die Kosten für die Passbeschaffung auf 208,00 EUR gestiegen seien. Hinzu kämen noch 5,00 EUR für ein Passfoto.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25.03.2013 (dem Betreuer des Klägers zugestellt am ...

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