Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Wegeunfall. sachlicher Zusammenhang. Handlungstendenz. Wohnung der Lebenspartnerin. einwohnermelderechtliche Adresse: Wohnung der Eltern. Nutzung zweier Wohnbereiche. gespaltener häuslicher Bereich. erweiterter häuslicher Bereich. häufigster Ausgangs- und Endpunkt des Arbeitsweges. dritter Ort

 

Orientierungssatz

Ein Beschäftigter, der seine Wohnung im Sinne des häuslichen Bereichs melderechtlich bei seinen Eltern hat, sich aber schon über einen längeren Zeitraum unter der Woche (montags bis donnerstags nach Feierabend) in der Wohnung seiner Lebenspartnerin aufgehalten und deshalb seinen Weg zur bzw von der Betriebsstätte zum ganz überwiegenden Teil von dort aus angetreten bzw dort beendet hat, steht auf diesen Wegen gem § 8 Abs 2 Nr 1 SGB 7 im Sinne eines erweiterten häuslichen Bereichs unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 30.01.2020; Aktenzeichen B 2 U 2/18 R)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 25.04.2017 aufgehoben.

Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 12.02.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.03.2013 verurteilt, den Bescheid vom 12.10.2005 zu ändern und das Ereignis vom 09.09.2004 als Arbeitsunfall anzuerkennen.

Die Beklagte trägt die dem Kläger in beiden Rechtszügen entstandenen Kosten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt im Zugunstenwege nach § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) die Anerkennung eines Verkehrsunfalls als Arbeitsunfall (Wegeunfall).

Der 1975 geborene Kläger, der als Auslieferungsfahrer beschäftigt war, erlitt am 09.09.2004, einem Donnerstag, auf der A 46 in Fahrtrichtung Neuss einen schweren Verkehrsunfall, als er mit seinem Pkw auf ein Stauende auffuhr. Der Kläger befand sich zu diesem Zeitpunkt auf dem Weg von der Wohnung seiner damaligen Freundin bzw Partnerin F.T. (FT), Q.-weg 1 in N., zu seiner Arbeitsstätte, der Fa Getränke T1. in E. G.-str. 00. Bei dem Unfall zog er sich zahlreiche Verletzungen zu. Der erste Durchgangsarztbericht von PD Dr. L., Ärztlicher Direktor der BG-Unfallklinik E, vom Unfalltag führt die Erstdiagnosen Polytrauma mit Commotio cerebri, etc (ua Hüftluxation links) auf.

Zum Unfallzeitpunkt war der Kläger einwohnermelderechtlich unter der Anschrift S.-weg 00 in E. gemeldet. Hierbei handelte es sich um die Wohnung seiner Eltern. In der Unfallanzeige des Arbeitgebers war diese Meldeadresse als Anschrift des Klägers genannt. Der Kläger selbst gab im Wegeunfallfragebogen der Beklagten an, dass er am Unfalltag von seiner Freundin FT gegen 7.10 Uhr los und - "wie immer" - über die Autobahnen A 61 und A 46 gefahren sei. Die Wegstrecke zwischen der Meldeadresse des Klägers in E. und der Arbeitsstelle beträgt nach internetgestützten Routenplanern (z B http://routenplaner.marcopolo.de) rund 2 km, diejenige von FT zur Arbeitsstelle rund 44 km.

Im Rahmen einer schriftlichen Befragung durch die Beklagte gab der Kläger an, sein gewöhnliches Ziel nach Arbeitsende sei die Wohnung seiner Freundin. Dort sei er seit Dezember 2003 regelmäßig an fünf Tagen in der Woche. In N. erledige er auch die Dinge des täglichen Lebens und seine Freizeitaktivitäten. Seine Freundin beabsichtige, nach E. zu ziehen. FT gab im Rahmen einer schriftlichen Befragung an, der Kläger habe sich seit ca Dezember 2003 von montags bis freitags nach der Arbeit bei ihr in N. aufgehalten. Er wohne bei seinen Eltern in E. Sie selbst wohne nach wie vor in N., weil ihre Tochter dort in den Kindergarten gehe. Verrichtungen des täglichen Lebens habe der Kläger teils in N., teils in E. erledigt. Die Beklagte hörte FT im Juli 2005 persönlich an. Anlässlich dieser Anhörung gab FT an, der Kläger habe sich nur die Woche über bei ihr aufgehalten, sei allerdings nach der Arbeit zunächst nach Hause, nach E., gefahren, habe sich dort umgezogen und ggf etwas gegessen, bevor er gegen 18.00 bzw 19:00 Uhr zu ihr nach N. gekommen sei. Gelegentlich habe er zuvor in E. noch einige Besorgungen gemacht. Freitags und samstags seien beide von ca 22.00 bis ca 5.00 Uhr in einer Diskothek in N. beschäftigt gewesen. Freitags sei der Kläger überwiegend direkt von E. zur Diskothek gefahren. Nach Arbeitsende habe er sie nach Hause gebracht und sei dann weiter zu sich nach E. gefahren, wo er den Rest des Wochenendes verbracht habe. Von einem DVD-Player, einer Zahnbürste, einer Tube Haargel, Rasierschaum und einem Unterhemd abgesehen, habe der Kläger keine persönlichen Dinge in ihrer Wohnung in N. gehabt. Seine anderen Sachen seien in der Wohnung seiner Eltern in E. gewesen. Vor dem Unfall sei geplant gewesen, eine gemeinsame Wohnung in E. zu beziehen.

Mit Schreiben vom 07.07.2005 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie ihre Entschädigungspflicht aus Anlass des Unfalls vom 09.09.2004 für nicht gegeben erachte, da als Lebensmittelpunkt bzw Hauptwohnsitz des Klägers die Wohnung seiner Eltern in E. anzusehen sei und die Fah...

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