Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungsmäßigkeit des Auskunftsverlangens des Sozialhilfeträgers gegenüber dem potentiell Unterhaltspflichtigen. Auskunftsersuchen. Einkommens- und Vermögensverhältnisse. Bestimmtheit. Unterhaltsanspruch. Rückständiger Unterhalt. Sozialhilfe. Auskunftsverlangen gegenüber einem potentiell Unterhaltspflichtigen. Zulässigkeit der Geltendmachung durch Verwaltungsakt. Nichterforderlichkeit des tatsächlichen Bestehens eines zivilrechtlichen Unterhaltsanspruchs. Verhältnismäßigkeit der Heranziehung. Verfassungsmäßigkeit. Auskunftsverlangen gegenüber einem potenziell Unterhaltspflichtigen. Geltendmachung durch Verwaltungsakt

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Auskunftsanspruch des Sozialhilfeträgers nach § 117 Abs 1 SGB 12 ist nur ausgeschlossen, wenn ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch (für dessen Durchsetzung vom Sozialhilfeträger die Auskünfte benötigt werden) offensichtlich ausscheidet (sog Negativevidenz; st Rspr des BVerwG (vgl ua Urteil vom 6.11.1975 - V C 28.75 = BVerwGE 49, 311).

2. Negativevidenz in diesem Sinne liegt nicht nur dann nicht vor, wenn der zivilrechtliche Anspruch bereits aus Rechtsgründen nicht offensichtlich ausscheidet. Auch dann, wenn für die Beurteilung des zivilrechtlichen Anspruchs Ermittlungen zu den tatsächlichen Umständen (Beweiserhebung) notwendig sind, ist der zivilrechtliche Anspruch nicht evident ausgeschlossen.

3. Soweit die Entscheidung des LSG Essen vom 1.9.2010 - L 12 SO 61/09 Tatsachenermittlungen als notwendig ansehen sollte, um letztlich erst daran anschließend eine Negativevidenz beurteilen zu können, folgt der Senat dieser Ansicht nicht.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Als “Unterhaltspflichtige” i.S.v. § 117 Abs. 1 SGB XII sind alle Personen anzusehen, die als Unterhaltsschuldner nicht offensichtlich ausscheiden. Die Rechtmäßigkeit des Auskunftsverlangens setzt nicht voraus, dass dem Leistungsempfänger dem Adressaten gegenüber ein Unterhaltsanspruch tatsächlich und nachweislich zusteht. Eine Auskunftspflicht besteht indes nur, solange und soweit die Heranziehung des Dritten zur Durchführung des SGB XII und damit der Klärung eines Leistungsanspruchs geeignet und erforderlich ist und den Dritten nicht unangemessen in Anspruch nimmt.

2. Ein Unterhaltsanspruch nach § 1572 BGB ist nicht bereits deswegen offensichtlich ausgeschlossen, weil der Leistungsempfänger vom in Betracht kommenden Unterhaltsschuldner nach der Scheidung tatsächlich keine Unterhaltszahlungen erhalten hat.

3. Eine etwaige Begrenzung des (möglichen) Unterhaltsanspruchs nach § 1578b BGB ändert von vornherein nichts daran, dass ein zumindest befristeter Unterhaltsanspruch gegenüber dem Leistungsempfänger in Betracht käme.

4. Nach § 94 Abs. 4 S. 1 SGB XII kann der Träger der Sozialhilfe den übergegangenen Unterhalt bereits von der Zeit an fordern, zu welcher er dem Unterhaltspflichtigen die Erbringung der Leistung schriftlich mitgeteilt hat, ohne dass es auf die Rechtshängigkeit i.S.v. § 1585b Abs. 2 BGB (= Zustellung des Antrags des Unterhaltsberechtigten an den Unterhaltsverpflichteten) ankommt.

5. Rückständiger Unterhalt kann im Fall der Überleitung des Unterhaltsanspruchs auf den Träger der Sozialhilfe auch dann verlangt werden, wenn die Behörde dem Verpflichteten die Gewährung der Sozialhilfe mitgeteilt hat.

6. Ein Auskunftsersuchen nach § 117 Abs. 1 SGB XII ist ausreichend bestimmt i.S.v. § 33 Abs. 1 SGB X, wenn der Adressat ohne weiteres erkennen kann, dass er in seiner Eigenschaft als geschiedener Ehegatte des Leistungsempfängers wegen eines etwaigen Unterhaltsanspruchs nach §§ 1569 ff. BGB um Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse ersucht wird.

7. Weitergehender Angaben, insbesondere des Bedarfs sowie der Einkünfte des Leistungsempfängers im Einzelnen und/oder der Art der Erkrankung (nebst medizinischer Unterlagen), bedarf es im Rahmen des § 33 SGB X hingegen nicht.

 

Orientierungssatz

1. § 117 Abs 1 S 1 SGB 12 ermächtigt den Sozialhilfeträger, die Auskunftspflicht durch Verwaltungsakt gegenüber dem Auskunftspflichtigen geltend zu machen und bei Auskunftsverweigerung im Wege der Verwaltungsvollstreckung durchzusetzen (vgl BVerwG vom 21.1.1993 - 5 C 22/90 = BVerwGE 91, 375 zu § 116 Abs 1 BSHG).

2. Die Auskunftspflicht nach § 117 Abs 1 SGB 12 besteht nur, solange und soweit die Heranziehung des Dritten zur Durchführung des SGB 12 geeignet und erforderlich ist und den Dritten nicht unangemessen in Anspruch nimmt (vgl LSG Essen vom 14.9.2009 - L 20 SO 96/08 = FamRZ 2010, 599 und vom 9.6.2008 - L 20 SO 36/07).

3. Das in Art 2 Abs 1 GG geschützte Persönlichkeitsrecht, vor allem das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, wird durch § 117 Abs 1 SGB 12 nicht in rechtswidriger Weise verletzt, sondern im (höherrangigen) Allgemeininteresse, namentlich der Herstellung des Nachranges der Sozialhilfe, in zulässiger Weise eingeschränkt (vgl LSG Essen vom 14.9.2009 - L 20 SO 96/08 aaO).

 

Normenkette

SGB XII § 117 Abs. 1, § 94; SGB X § 33 Abs. 1; BGB §§ 1572, 1579 Nr. 4, § 1587b Abs. 2, §§ 15...

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