Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsprüfung. Beitragsnachforderungsbescheid. Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Vollzugsrisiko bei Beitragsbescheiden. Verlagerung auf den Adressaten. Beitragshöhe bei untertariflicher Bezahlung

 

Orientierungssatz

1. Bei einem Beitragsbescheid ist das Vollzugsrisiko grundsätzlich auf den Adressaten verlagert. Deshalb begründen nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ein überwiegendes Aufschubinteresse, die einen Erfolg des dagegen eingelegten Rechtsbehelfs zumindest überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen.

2. Bei untertariflicher Bezahlung eines Beschäftigten beurteilt sich die Beitragshöhe nach dem tariflich zustehenden und nicht lediglich nach dem zugeflossenen Arbeitsentgelt (vgl BSG vom 14.7.2004 - B 12 KR 1/04 R = BSGE 93, 119 = SozR 4-2400 § 22 Nr 2).

3. Spricht nach der im einstweiligen Rechtsschutz anzustellenden summarischen Prüfung mehr dagegen als dafür, dass der Beitragsschuldner als Arbeitgeber den im Prüfbescheid aufgeführten Arbeitnehmern höhere als die tatsächlich gezahlten Arbeitsentgelte geschuldet hat, so ist bei höherer Festsetzung der Beiträge durch den Rentenversicherungsträger gegen dessen Nachforderungsbescheid die aufschiebende Wirkung des dagegen erhobenen Widerspruchs anzuordnen.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 29.1.2013 geändert. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 9.11.2012 wird angeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 4.103,21 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen streitig.

Der Antragsteller betreibt einen Pizzalieferdienst im Franchisesystem "Hallo Pizza" in Münster. Er ist nicht Mitglied eines Arbeitgeberverbandes. Die Antragsgegnerin führte bei ihm für den Zeitraum vom 1.9.2007 bis 31.5.2011 eine Betriebsprüfung durch und forderte nach Anhörung mit Bescheid vom 9.11.2012 für diese Zeit insgesamt Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 16.412,84 Euro nach. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, der Antragsteller habe nicht die nach den zu beachtenden Entgelttarifverträgen für das Gaststätten- und Hotelgewerbe des Landes Nordrhein-Westfalen (Entgelt-TVe) maßgeblichen "Mindestlöhne" gezahlt. Für die in der Anlage zum Bescheid näher bezeichneten Personen sei der "Mindestlohn" unterschritten worden. Auf Grundlage des tariflich geschuldeten Entgelts seien Sozialversicherungsbeiträge nachzuentrichten.

Hiergegen erhob der Antragsteller Widerspruch. Er schulde kein höheres als das gezahlte Entgelt und damit auch keine höheren Sozialversicherungsbeiträge. Ein höherer Entgeltanspruch ergebe sich insbesondere nicht aus den Entgelt-TVen, da die einschlägigen Allgemeinverbindlichkeitserklärungen (AVE) rechtswidrig und damit unbeachtlich seien. Das gelte zunächst für die AVE vom 5.9.2008 für den Entgelttarifvertrag vom 19.2.2008 für das Gaststätten- und Hotelgewerbe in Nordrhein-Westfalen, deren Rechtswidrigkeit das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf mit Urteil vom 16.11.2010 (3 K 8653/08) festgestellt habe. Die Überlegungen des VG seien auch nicht durch die zum gegenteiligen Ergebnis führenden Überlegungen des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) im Urteil vom 16.11.2012 (4 A 46/11) entkräftet. Zum einen seien die diesbezüglichen Überlegungen des OVG NRW für das der Berufung stattgebende Urteil nicht tragend. Zum anderen seien sie unzutreffend, da sie von falschen tatsächlichen Gegebenheiten ausgingen. Das geforderte 50 %-Quorum sei nicht erfüllt. Sowohl die "große" als auch die "kleine Zahl" seien fehlerhaft ermittelt worden. Gleiches gelte für die AVE vom 3.5.2007, hinsichtlich derer der Antragsteller insbesondere auf die Ausführungen des Sozialgerichts (SG) Aachen im Urteil vom 2.9.2011 (S 6 R 130/09) Bezug nimmt. Mit Beschlüssen vom 3./4.7.2012 (L 8 R 741/11 B ER und L 8 R 878/11 B ER) habe sich zudem der erkennende Senat der Ansicht des SG Aachen und des VG Düsseldorf im Rahmen der summarischen Prüfung angeschlossen. Die Forderung für die Zeit vom 1.6.2010 bis 31.5.2011 könne die Beklagte schon deshalb nicht auf den Entgelt-TV vom 31.5.2010 stützen, weil dieser TV nicht für allgemeinverbindlich erklärt worden sei. Ein diesbezüglicher Antrag sei vielmehr am 27.7.2012 zurückgenommen worden.

Mit entsprechender Argumentation hat der Antragsteller am 28.12.2012 einstweiligen gerichtlichen Rechtschutz beantragt. Die Antragsgegnerin ist dem entgegen getreten und hat den angefochtenen Bescheid insbesondere unter Bezugnahme auf die Entscheidung des OVG NRW vom 16.11.2012 verteidigt.

Das SG hat sich der Argumentation der Antragsgegnerin im Wesentlichen angeschlossen und den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt (Beschluss v. 29.1.2013).

Gegen den ihm am 31.1.2013 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller unte...

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