Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Sozialhilfe. Zulässigkeit des Rechtsmittels eines Beigeladenen. Nichtanwendung von § 181 SGG auf Sozialhilfeträger. Messen des Blutzuckergehaltes als Leistung der häuslichen Krankenpflege

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Rechtsmittel eines Beigeladenen ist nur zulässig, wenn ihn die angefochtene Entscheidung in eigenen Rechten im Sinne des § 54 Abs 1 S 2 SGG verletzt; allein die Beeinträchtigung wirtschaftlicher Interessen ohne Eingriff in bestehende Rechtspositionen reicht nicht aus.

2. Die Verurteilung eines einfach (nach § 75 Abs 1 SGG) Beigeladenen ist jedenfalls dann möglich, wenn die Voraussetzungen für eine unechte notwendige Beiladung (§ 75 Abs 2 Var 2 SGG) vorliegen und der Beigeladene sich in Kenntnis dieser Möglichkeit im weiteren Verlauf des Verfahrens auf das Verfahren einlässt.

3. Die Verurteilung eines Beigeladenen kommt dann nicht in Betracht, wenn dieser über den streitigen Anspruch bereits mit bestandskräftig gewordenen Bescheiden entschieden hat.

4. Die in derartigen Fällen grundsätzlich gebotene Anwendung von § 181 SGG ist dann nicht zulässig, wenn es sich bei dem Beklagten nicht um einen Versicherungsträger handelt. Eine analoge Anwendung auf Träger der Sozialhilfe ist jedenfalls seit dem 1.8.2006 nicht möglich.

5. Die Abgrenzung der ärztlichen Behandlung als einem Teilbereich ambulanter Krankenbehandlung nach § 27 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB V von Leistungen zur medizinischen Reha und ergänzenden Leistungen nach § 27 Abs 1 S 2 Nr 6 SGB V gilt auch für die Abgrenzung der medizinischen Rehabilitation iS des SGB IX von den nicht zu den Teilhabeleistungen nach dem SGB IX zählenden Leistungen der medizinischen Behandlungspflege.

6. Wegen in der Person des Hilfebedürftigen liegenden Besonderheiten kann im Einzelfall das Messen des Blutzuckergehaltes von der von einer Einrichtung geschuldeten Unterstützung eines gesunden Lebens nicht erfasst sein; es ist dann nicht untrennbarer Bestandteil der Eingliederungshilfe und darf als Leistung der häuslichen Krankenpflege verordnet werden.

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Bremen vom 26. Oktober 2012 geändert, soweit die Klage abgewiesen und über die außergerichtlichen Kosten entschieden worden ist.

Die Beigeladene zu 1 wird verurteilt, den Kläger von den Kosten für die ärztlich verordnete und erbrachte medizinische Behandlungspflege im Rahmen der Diabetesbehandlung (Blutzuckermessungen und Insulinspritzen) für die Zeit vom 1. Juni bis 30. September 2010, 1. April bis 30. Juni 2014 sowie ab dem 1. Oktober 2014 durch Zahlungen an den Beigeladenen zu 2 freizustellen bzw. die entsprechenden Kosten zu übernehmen. Die insoweit entgegenstehenden Bescheide der Beigeladenen zu 1 werden aufgehoben. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Die Berufung des Beigeladenen zu 2 wird als unzulässig verworfen.

Die Beklagte hat ein Zehntel und die Beigeladene zu 1 sechs Zehntel der außergerichtlichen Kosten des Klägers und des Beigeladenen zu 2 zu erstatten. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, wer ab Juni 2010 für die Kosten aufzukommen hat, die durch das zweimal täglich erforderliche Blutzuckermessen und Setzen von Insulinspritzen bei dem Kläger entstehen.

Der 1955 geborene geistig behinderte Kläger, der u.a. an einem atypischen Autismus leidet, ist als schwerbehinderter Mensch mit einem GdB von 100 anerkannt. Er steht unter Betreuung und lebt jedenfalls seit 1994 in einem von dem Beigeladenen zu 2 betriebenen Behindertenwohnheim für geistig und mehrfach Behinderte, seit Juni 2010 im I.. Zwischen der Beklagten und dem Beigeladenen zu 2 sind Vereinbarungen nach § 75 Abs. 3 SGB XII über in dem Wohnheim von der Beigeladenen zu 2 erbrachte Eingliederungshilfeleistungen geschlossen worden. Nach dem Heimvertrag vom 29. April 2010 ist der Kläger in den Leistungstyp Nr. 01 (Heimwohnen für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung) und dort in die Hilfebedarfsgruppe (HBG) 3 eingestuft. Betreuungsleistungen werden nach § 6 des Heimvertrages entsprechend der Leistungstypenbeschreibung Nr. 01 des Landesrahmenvertrages nach § 79 SGB XII erbracht. In § 8 Abs. 1 Satz 1 des Heimvertrages heißt es, die Einrichtung erbringe keine ärztlich verordneten Leistungen der medizinischen Behandlungspflege.

Der Kläger, der über kein eigenes Einkommen und kein Vermögen verfügt, erhält von der Beklagten Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie Eingliederungshilfe in Verbindung mit dem notwendigen Lebensunterhalt in Einrichtungen unter Berücksichtigung der Grundsicherungsleistungen als Eigenanteil. Der Kläger ist versichertes Mitglied der Beigeladenen zu 1. Leistungen der Pflegekasse  werden direkt an die Einrichtung gezahlt.

Seit 2006 ist bei dem Kläger ein insulinpflichtiger Diabetes mellitus Typ II bekannt. Seither wird durchgehend eine häusliche Krankenpflege verordnet, weil bei dem Kläger tä...

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