Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Vielzahl nicht hinreichend konkretisierter Überprüfungsanträge. keine Verpflichtung des Leistungsträgers zur inhaltlichen Prüfung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei einem nicht hinreichend konkretisierten Antrag nach § 44 SGB X besteht kein Anspruch auf inhaltliche Überprüfung des ursprünglichen Bescheides (Anschluss an BSG vom 13.2.2014 - B 4 AS 22/13 R = BSGE 115, 126 = SozR 4-1300 § 44 Nr 28 und vom 28.10.2014 - B 14 AS 39/13 R = SozR 4-1300 § 44 Nr 31)

2. Die Anforderungen an eine hinreichende Konkretisierung können nicht dadurch unterlaufen werden, dass statt eines einzigen pauschalen Überprüfungsantrags mehrere, ebenfalls pauschale und nicht einzelfallbezogen begründete Einzelanträge nach § 44 SGB X hinsichtlich praktisch sämtlicher bislang ergangener Bescheide gestellt werden.

3. Wird dem Betroffenen im Ablehnungsbescheid ausführlich dargelegt, dass die Ablehnung des Antrags nach § 44 SGB X auf fehlender inhaltlicher Konkretisierung des Überprüfungsbegehrens beruht, ist das Jobcenter weder verpflichtet noch gehalten, den Betroffenen vor Erlass des Widerspruchsbescheides nochmals ausdrücklich zu ergänzendem Vortrag aufzufordern.

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 24. Mai 2013 wird wie folgt geändert:

Der Beklagte wird verurteilt, die von den laufenden Leistungen des Klägers zwecks Tilgung des Mietkautionsdarlehens einbehaltenen Beträge an diesen auszuzahlen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Beklagte erstattet dem Kläger 1/5 der notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Wege des § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) um die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für eine Mietkaution. Zusätzlich wehrt sich der Kläger gegen den Einbehalt von laufenden SGB II-Leistungen zwecks Tilgung des ihm vom Beklagten gewährten Mietkautionsdarlehens.

Der 1989 geborene Kläger beantragte nach seinem Auszug aus einer Jugendhilfeeinrichtung im Januar 2009 beim Beklagten die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Diese wurden ihm zunächst ausschließlich in Form der Regelleistung nach § 20 SGB II (in der damals geltenden Fassung) gewährt. Nachdem der Kläger eine eigene Wohnung bezogen hatte, erhöhte der Beklagte die SGB II-Leistungen um 345,- Euro pro Monat für Kosten der Unterkunft und Heizung (vgl. im Einzelnen: Bescheid vom 22. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Februar 2010 sowie Änderungsbescheide vom 13. Mai und 6. Juni 2009).

Am 20. Mai 2009 beantragte der Kläger beim Beklagten mittels eines ihm dort überreichten Antragsvordrucks die Gewährung eines Darlehens von 750,- Euro für die von ihm zu zahlende Mietkaution. Im Antragsformular kreuzte der Kläger folgendes Textfeld an:

Für den Fall einer Bewilligung der Mietkaution (…) als Darlehen erklärt der Antragsteller freiwillig sein Einverständnis zur vorzeitigen Rückzahlung der Leistungen durch Einbehaltungen von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von monatlich 35,- Euro. Der Antragsteller verzichtet insoweit gemäß § 46 SGB I auf die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.

Der Beklagte bewilligte antragsgemäß 750,- Euro als Darlehen für die Mietkaution und verfügte, dass das Darlehen spätestens zurückzuzahlen sei u.a. bei Aufgabe der Wohnung, in jedem Fall aber bei Wegfall der Hilfebedürftigkeit. Außerdem führte der Beklagte im Bescheid wörtlich aus: “Soweit das Darlehen durch laufende Einbehaltungen von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (…) getilgt wird, entfällt Ihre Rückzahlungsverpflichtung„. Dieser am 20. Mai 2009 erlassene Bescheid wurde mangels eines Widerspruchs des Klägers bestandskräftig.

Ab Juli 2009 behielt der Beklagte monatliche Teilbeträge von 35,- Euro von den laufenden SGB II-Leistungen ein (vgl. im Einzelnen: Kassenanordnung vom 8. Juni 2009, Bl. 65 Verwaltungsakte - VA-, sowie A2LL-Zahlungsübersichten für das Jahr 2009, etwa auf Bl. 64, 66 und 75 VA). Die Einbehalte wurden in den Leistungsbescheiden zunächst nicht erwähnt. Erstmals der Bescheid vom 23. Juni 2010 enthielt den Zusatz, dass “weiterhin monatlich 35,- Euro zur Tilgung des Darlehens für Ihre Mietkaution von Ihren Leistungen einbehalten„ werden.

Mit Schreiben vom 20. Oktober 2009 (Eingang beim Beklagten am 26. Oktober 2009) beantragte der Kläger die Überprüfung des Bescheides vom 20. Mai 2009 nach Maßgabe des § 44 SGB X. Konkretes Vorbringen zum Sachverhalt oder zur Rechtslage enthielt dieser Antrag nicht. Ebenso wenig machte der Kläger deutlich, auf welches konkrete Rechtsschutzziel sein Antrag gerichtet war. Gleichzeitig mit dem im vorliegenden Verfahren streitbefangenen Antrag stellte der Kläger mittels gleichlautender Schreiben zahlreiche weitere Überprüfungsanträge nach § 44 SGB X, welche sämtliche bis dahin beschiede...

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