Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. Nachteilsausgleich aG. Einschränkung der Gehfähigkeit. Prüfung der zumutbaren Wegstrecke. Prüfungskriterien

 

Orientierungssatz

Zum Anspruch auf Zuerkennung des Nachteilsausgleichs aG bei einem Antragsteller, dem es kaum möglich ist, den eigenen Wagen - etwa anlässlich eines Arztbesuches - ohne fremde Hilfe zu verlassen und der, nachdem er sich sodann von den Anstrengungen des Ausstiegs erholt hat, nur noch kurze Entfernungen zurücklegen kann.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um den schwerbehindertenrechtlichen Anspruch des Berufungsklägers auf Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "außergewöhnliche Gehbehinderung" (Merkzeichen "aG").

Bei dem 1929 geborenen Berufungskläger, der Rentner ist, war mit zuletzt bindend gewordenen Bescheiden aus dem Jahre 1979 ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 sowie das Vorliegen der Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr" (Merkzeichen "G") festgestellt worden. Dem hatten folgende Funktionsbeeinträchtigungen zu Grunde gelegen:

1.

Bechterewsche Erkrankung,

2.

niedriger Blutdruck.

Im November 2004 wandte sich der Berufungskläger an das Versorgungsamt (VA) Hannover und beantragte, seine Behinderung neu festzustellen. Gleichzeitig beantragte er, ihm auch die Merkzeichen "aG" und "B" zuzuerkennen.

Das VA holte einen Befundbericht von dem Arzt für Innere Medizin Dr. P vom 25. November 2004 ein. Diesem waren zahlreiche Anlagen beigefügt (unter anderem ein Arztbrief der Ärztin für Neurologie Dr. T vom 4. Mai 2004). Nach Beteiligung des versorgungsärztlichen Dienstes stellte das VA mit Bescheid vom 21. Januar 2005 die Behinderung des Berufungsklägers neu fest. Den GdB legte das VA mit 80 fest. Zusätzlich erkannte das VA dem Berufungskläger das Merkzeichen "B" zu. Das von ihm beantragte Merkzeichen "aG" indessen lehnte das VA ab.

In seinem Widerspruch gegen diesen Bescheid führte der Berufungskläger aus, sein Aktionskreis sei auf 200 m beschränkt. Er könne nur mit mühseliger Kraftanstrengung öffentliche Verkehrsmittel erreichen. Dem Widerspruchsschreiben waren erneut Anlagen beigefügt. In einem Arztbrief von Frau Dr. T vom 1. Dezember 2004 heißt es, der Berufungskläger könne jetzt nur noch 1 km zurücklegen und dies sei sehr mühselig für ihn. Es liege eine progrediente Polyneuropathie vor. In einem Arztbrief des Krankenhauses der H aus dem Dezember 2004 heißt es, bei dem Berufungskläger liege eine diabetische Polyneuropathie vor. Das Niedersächsische Landesamt für Soziales, Jugend und Familie (NLSJF) wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 7. März 2005 zurück.

Am 23. März 2005 ist Klage erhoben worden. In seiner Klagebegründung hat der Berufungskläger unter anderem ausgeführt, er könne zwölf Treppenstufen zu seiner Wohnung nur noch mit Schwierigkeiten meistern.

Das Sozialgericht (SG) Hannover hat einen Befundbericht von dem Arzt für Innere Medizin Dr. P vom 11. Mai 2005 beigezogen. Dieser hat von einer hochgradigen Gangunsicherheit berichtet. Es könnten nur noch 100 bis 150 m Wegstrecke ohne Pause zurückgelegt werden. Hierzu hat das berufungsbeklagte Land eine Stellungnahme seines versorgungsärztlichen Dienstes vom 13. Juni 2005 vorgelegt.

Daraufhin hat das SG die Klage nach vorheriger Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 29. August 2005 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen darauf hingewiesen, wenn es dem Berufungskläger noch möglich sei 100 bis 150 m zu gehen, so erfülle er die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" nicht.

Gegen dem am 12. September 2005 zugestellten Gerichtsbescheid ist am 10. Oktober 2005 Berufung eingelegt worden.

Zur Begründung seiner Berufung hat der Berufungskläger geltend gemacht, infolge seines progredienten Erkrankungsbildes sei es ihm nun auch nicht mehr möglich 100 m zu Fuß zurückzulegen.

Der Berufungskläger beantragt,

1.

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Hannover vom 29. August 2005 aufzuheben sowie den Bescheid des Versorgungsamtes Hannover vom 21. Januar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. März 2005 zu ändern,

2.

das berufungsbeklagte Land zu verurteilen in der Person des Berufungsklägers das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" festzustellen.

Das berufungsbeklagte Land beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung bezieht es sich auf seine angefochtenen Bescheide und die erstinstanzliche Entscheidung. Ergänzend hat es im Berufungsverfahren weitere Stellungnahmen seines versorgungsärztlichen Dienstes vorgelegt (Dr. B unter dem 20. Dezember 2005 und 7. Februar 2006).

Der Senat hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts einen aktuellen Befundbericht des Arztes für Innere Medizin Dr. P vom 5. Dezember 2005 sowie einen Befundbericht des R-K-Krankenhauses in G vom 23. Januar 2006 beigezogen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Befundberichte Bezug genommen.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die...

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