Entscheidungsstichwort (Thema)

Überlanges Gerichtsverfahren. Entschädigungsklage. Vielkläger. Verzögerungsrüge. Auslegung. Äußerung nach Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG. allgemeine Rüge der Verzögerung von allen seit bestimmter Zeit anhängigen Verfahren in 21-seitigem Schriftsatz zu anderem Verfahren. Konkretisierung. objektivierter Maßstab. Bestimmbarkeit des gerügten Verfahrens. Schwierigkeit der Zuordnung der Rüge. Beurteilung der Schwierigkeit. Vielzahl gleichzeitig anhängiger Klagen. Berücksichtigung der Zuordnungsprobleme bei der Verfahrensführung. Bewertung der Überlänge. Bearbeitung eines Befangenheitsantrags inmitten von Liegezeiten. aktive Zeit. keine Relevanz des hypothetischen Verfahrensverlaufs

 

Leitsatz (amtlich)

Stellt ein Kläger einen Befangenheitsantrag, kommt es für die - für die Entscheidung, ob eine unangemessene Verfahrensdauer vorliegt, erforderliche - Gegenüberstellung der aktiven und inaktiven Zeiten der Bearbeitung allein darauf an, ob das Gesuch bearbeitet wird. Ob der abgelehnte Richter das Verfahren ohne das Gesuch betrieben hätte, ist hingegen irrelevant. Denn der Prüfung ist stets der tatsächliche Verfahrensablauf zugrunde zu legen, während etwaige hypothetische Abläufe unbedeutend sind.

Ob für das zum Gegenstand einer Entschädigungsklage gemachte Ausgangsverfahren eine wirksame Verzögerungsrüge vorliegt, bestimmt sich nicht aus der subjektiven Sicht des das Ausgangsverfahren bearbeitenden Richters, sondern ist anhand objektivierter Maßstäbe zu ermitteln.

Zur Frage, welche Anforderungen an eine Verzögerungsrüge im Hinblick auf die Konkretisierung des als überlang gerügten Verfahrens zu stellen sind.

 

Orientierungssatz

1. Eine Verzögerungsrüge muss sich auf ein konkretes oder eindeutig bestimmbares Ausgangsverfahren beziehen. Dies ist nicht der Fall, wenn die Rüge so allgemein gehalten ist, dass ihre Zuordnung zu einem oder mehreren konkreten Verfahren schwierig ist und es letztlich dem Gericht überlassen bleibt, zu bestimmen, welche Verfahren gemeint sind (insoweit Abgrenzung zur teilweisen Parallelentscheidung des LSG Berlin-Potsdam vom 24.1.2019 - L 37 SF 101/18 EK AS WA).

2. Als Verzögerungsrüge können nur Äußerungen des Klägers ausgelegt werden, die nach Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (juris: ÜberlVfRSchG) erfolgt sind.

3. Bei der Bewertung der Schwierigkeit des Verfahrens kann auch berücksichtigt werden, wenn angesichts der Vielzahl an weiteren vom Kläger verfolgten Rechtsstreitigkeiten und der damit einhergehenden Probleme die Verfahrensführung für das SG erschwert war und eine gewisse Komplexität des Verfahrens zur Folge hatte.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 2.000,00 € wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht Potsdam (SG) zunächst unter dem Aktenzeichen S 31 AS 1675/09 und zuletzt unter dem Aktenzeichen S 35 AS 1137/09 geführten Verfahrens, das anschließend beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) anhängig war

Dem Ausgangsverfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger, der Volljurist ist und laufend Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) bezieht, beantragte bei der Potsdamer Arbeitsgemeinschaft zur Grundsicherung für Arbeitsuchende PAGA (jetzt: JobCenter Landeshauptstadt Potsdam) - dem Beklagten im Ausgangsverfahren - die Übernahme der Kosten für einen am 07. Mai 2009 beginnenden Fachanwaltslehrgang Sozialrecht und einen am 07. September 2009 beginnenden Fachanwaltslehrgang Verwaltungsrecht. Den Antrag lehnte der Beklagte des Ausgangsverfahrens mit Bescheid vom 27. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. April 2009 ab.

Gegen den Bescheid vom 27. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. April 2009 erhob der Kläger am 24. April 2009 Klage, welche zunächst unter dem Az. S 31 AS 1675/09 registriert wurde, und begehrte vorrangig die Übernahme der Kosten bzw. die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Nichtbewilligung der Kostenübernahme für die beiden Fachanwaltslehrgänge. Die unter dem 04. Mai 2009 von dem damaligen Beklagten unter Setzung einer Frist von 6 Wochen angeforderte - letztlich kurze - Klageerwiderung ging nach Erinnerungen vom 02. Juli 2009 sowie 22. Oktober 2009 erst am 11. Januar 2010 ohne Verwaltungsakten beim SG ein und wurde dem Kläger kurz darauf zur Kenntnisnahme zugeleitet.

Mit Schreiben vom 05. Februar 2010, beim SG am selben Tag eingegangen, lehnte der Kläger die Vorsitzende der 31. Kammer in allen anhängigen Verfahren wegen Besorgnis der Befangenheit ab und stützte sich dabei auf deren Entscheidungspraxis in einstweiligen Rechtsschutzverfahren. Am 10. Februar 2010 gab die Vorsitzende eine dienstliche Äußerung zu dem Befangenheitsantrag ab. Nach Gewährung rechtlichen Gehörs wies das LSG den Befangenheitsantrag mit Beschlus...

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