Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage. Anordnung der sofortigen Vollziehung. besonderes öffentliches Interesse. sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Rücknahme eines rechtwidrigen begünstigenden Verwaltungsakts. Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Einkommenseinsatz. Kick-Back-Zahlungen eines Pflegedienstes. Einkünfte aus strafbarer Handlung. Betrug. Grenzen der Mitwirkungspflicht. Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs. Aufhebung der Vollziehung

 

Orientierungssatz

1. Bei der Prüfung, ob die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs nach § 86b Abs 1 S 1 Nr 2 SGG anzuordnen bzw wiederherzustellen ist, sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen.

2. Bei gebotener normativer Betrachtungsweise sind Gewinne aus Straftaten nicht als Einkommen iS des § 82 SGB 12 zu berücksichtigen. Handelt es sich bei dem Einkommen um einen Gewinn aus einem gemeinschaftlich begangenen Betrug, so ist es mit einer Rückzahlungspflicht aus § 823 Abs 2 BGB belastet und steht dem Betroffenen gerade nicht zur freien anderweitigen Verwendung zur Verfügung.

 

Normenkette

SGB XII § 82 Abs. 1 S. 1; BGB § 823 Abs. 2; SGB X § 45 Abs. 2 S. 3 Nrn. 2-3, § 48 Abs. 1 S. 2, § 24 Abs. 1; SGB I § 60 Abs. 1 Nr. 1, § 65 Abs. 3; SGG § 86a Abs. 2 Nr. 5, § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2, S. 2

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 16. November 2016 geändert. Die aufschiebende Wirkung der Widersprüche gegen die Bescheide des Antragsgegners vom 23. September 2016 wird angeordnet.

Den Antragstellern wird für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt J W, W D, B, beigeordnet.

Im Übrigen wird die Beschwerde im einstweiligen Rechtsschutz-verfahren zurückgewiesen.

Die außergerichtlichen Kosten für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes trägt der Antragsgegner für beide Rechtszüge zu neun Zehnteln. Im Übrigen sind keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Gründe

Streitig ist die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs gegen Entscheidungen über (Teil-)Aufhebungen von Leistungsgewährungen und Rückforderungen von Erstattungsbeträgen sowie Regelungen zur Aufrechnung mit laufenden Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - SGB XII -; weiterhin ist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzlich geführte Verfahren streitig.

Den 1930 und 1933 geborenen Antragstellern wurden von dem Antragsgegner jedenfalls seit 2011 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel SGB XII gewährt. Die Antragsteller erhielten jedenfalls seit April 2011 Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII, wobei die ambulante Pflege durch den Pflegedienst “M GmbH„ geleistet wurde.

Gegen die Geschäftsführer des Pflegedienstes führt die Staatsanwaltschaft (StA) Berlin ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Betruges; auch gegen die Antragsteller laufen Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Betrugs (LKA, Az. StA nicht bekannt). Unter dem 7. Oktober 2015 wurde ein Schlussbericht der ermittelnden Polizeidienststelle verfasst, mit dem unter anderem ausgeführt wurde, dass sichergestellte Unterlagen den Schluss zuließen, dass die Antragsteller jedenfalls im November 2013 und im August 2014 an weniger Tagen als von den Pflegedienst abgerechnet gepflegt worden seien und sie so genannte Kick-Back-Zahlungen in Höhe von monatlich 805,00 € des Pflegedienstes erhalten hätten. Die Angaben bezogen sich auf die Monate November 2013 und August 2014. Die Kick-Back-Zahlungen ergäben sich aus den bei dem Pflegedienst sichergestellten Kassenbüchern für die Zeit vom 12. April 2011 bis zum 11. März 2015. Die in diesem Zeitraum an die Antragsteller geleistete Summe belaufe sich auf 32480,00 €.

Nach Bekanntwerden dieser Umstände bei dem Antragsgegner hörte dieser die Antragsteller mit Schreiben vom 3. März 2016 zu einer beabsichtigten Rückforderung der für die Zeit vom 1. April 2011 bis zum 28. Februar 2015 gewährten Leistungen der Grundsicherung in Höhe von insgesamt 30.350,00 € an.

Mit zwei Bescheiden vom 23. September 2016 hob der Antragsgegner die Bewilligungsbescheide vom 10. Januar 2011, 21. Dezember 2011, 14. Dezember 2012, 30. Januar 2014, 1. September 2014, 29. September 2014 und 1. Dezember 2014 für einen Leistungsbezug in der Zeit vom 1. April 2011 bis zum 28. Februar 2015 insoweit auf, als mit diesen Einkünfte von monatlich zwischen 75,40 € und bis zu 577,10 € nicht angerechnet worden seien. Der Antragsgegner forderte gegenüber dem Antragsteller zu viel gezahlten Leistungen in Höhe von insgesamt 17.603,00 € zur Erstattung und rechnete mit dem monatlichen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen in Höhe von 72,80 € beginnend ab 1. November 2016 auf. Von der Antragstellerin forderte der Antragsgegner insgesamt 12.747,00 € zur Erstattung und rechnete ebenfalls den Anspruch auf...

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