Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Versorgung mit Heilmitteln. Langfristverordnung auch bei nicht in der Anlage zum Merkblatt des G-BA gelisteten Diagnosen

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Langfristverordnung mit dem Heilmittel "Manuelle Therapie" kommt auch dann in Betracht, wenn eine Diagnose vorliegt, die nicht in der Anlage zum Merkblatt des G-BA zur Genehmigung langfristiger Heilmittelbehandlungen gelistet ist und die Schwere und Dauerhaftigkeit der Schädigungen mit den in der Anlage genannten Diagnosen vergleichbar ist (hier Hämochromatose mit Gelenkfunktionsstörungen).

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch im Berufungsverfahren die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Kläger einen Anspruch auf eine sogenannte Langfristverordnung von Heilmitteln hat.

Der Kläger ist am ...1951 geboren. Er leidet seit über zehn Jahren an Hämochromatose (Eisenspeicherkrankheit) mit Polyarthrose fast aller Gelenke und erhält bereits seit Jahren fortlaufend manuelle Therapie. Bei ihm ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 % mit Merkzeichen “aG„ festgestellt. Aufgrund der chronisch-progredienten Grunderkrankung wurden dem Kläger 2003 und 2005 beide Hüften, 2009 das linke und 2014 das rechte Kniegelenk ersetzt.

Mit Schreiben vom 20.02.2012 legt er eine Heilmittelverordnung des behandelnden Chirurgen und Orthopäden Dr. K., F. vom 13.02.2012 über sechs Einheiten manuelle Therapie, jeweils zwei Termine pro Woche, vor. Dr. K. führte aus, dass ein Antrag auf längerfristige Genehmigung gestellt werde, da eine dauerhafte, schwere Behinderung mit nachgewiesenen massiven funktionellen und strukturellen Schädigungen inklusive endoprothetischer Versorgung beider Hüftgelenke und des linken Kniegelenks vorliege. Langfristig drohe eine Verschlechterung, aktuell drohe eine Endoprothese an der linken Schulter bei massiver Gonarthrose mit Verdacht auf Cuff-Arthropathie.

Auf Rückfrage der Beklagten teilte der Kläger mit, dass er seit mehreren Jahren regelmäßig manuelle Therapie erhalte, etwa zweimal wöchentlich aufgrund multipler Arthrose.

Die Beklagte veranlasste eine sozialmedizinische Beurteilung beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK). Dr. C. führte unter dem 05.03.2012 aus, dass aufgrund der bisherigen Angaben eine prognostische Einschätzung nicht möglich sei. Nach der Heilmittel-Richtlinie sei jedoch eine besondere Begründung mit prognostischer Einschätzung erforderlich. Zur vorliegenden Schädigung und der daraus resultierenden Beeinträchtigung könne aus sozialmedizinischer Sicht derzeit keine Angabe gemacht werden.

Die Beklagte lehnte hierauf mit Bescheid vom 08.03.2012 die beantragte Langfristverordnung ab (Blatt 10 Verw.-Akte).

Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 16.03.2012 Widerspruch und legte ein Schreiben des behandelnden Chirurgen und Orthopäden Dr. K. vom 14.04.2012 (Blatt 15 Verw.-Akte) vor. Dr. K. führte aus, dass es aufgrund der schweren Grunderkrankung zu massiven Einschränkungen der Teilhabe gekommen sei. Die Wirbelsäule insgesamt sei stark arthrotisch und degenerativ verändert. Entsprechendes gelte für die Sprunggelenke, die Hand-, Finger-, Fuß- und Zehengelenke. Dr. K. übersandte Meßblätter für die Wirbelsäule und die oberen und unteren Gliedmaßen, in denen nach der Neutral-0-Methode Bewegungseinschränkungen dokumentiert sind.

Die Beklagte veranlasste eine weitere Stellungnahme beim MDK. Dr. C. führte unter dem 22.05.2012 (Blatt 26 Verw.-Akte) aus, dass die übermittelten Informationen nicht ausreichend seien, um eine prognostische Einschätzung, insbesondere im Hinblick auf eine drohende Verschlechterung, zu prüfen.

Die Beklagte veranlasste eine sozialmedizinische Begutachtung nach Aktenlage beim MDK. Unter dem 04.07.2012 (Blatt 38 Verw.-Akte) führte Dr. O. aus, dass der manuellen Therapie ein komplexes Untersuchungs- und Behandlungskonzept von reversiblen Bewegungsstörungen der Funktionseinheit Gelenk, Muskulatur und Nerv zugrunde liege. Die Grunderkrankung des Klägers sei durch eine übermäßige Speicherung von Eisen gekennzeichnet. Häufig seien auch Gelenke betroffen, überwiegend in Form von degenerativen Veränderungen, auch entzündlichen Gelenksreaktionen, ähnlich einer rheumatoiden Arthritis. Der Kläger leide bereits erheblich an multiplen degenerativen Gelenkveränderungen, insbesondere der Hüft- und Kniegelenke, der Schultergelenke, auch der Sprung- und Fingergelenke. Außerdem würden degenerative Veränderungen der Wirbelsäule einschließlich einer Spinalkanalstenose mitgeteilt. Es würden nachvollziehbar bereits erhebliche Beeinträchtigungen vorliegen. Auch ein vom Kläger durchgeführtes regelmäßiges und angepasstes Eigentraining sei nicht ausreichend, eine Verbesserung oder Stabilisierung zu erreichen. Die Notwendigkeit einer häufigen und auch außerhalb des Regelfalls durchzuführenden Heilmitteltherapie könne prinzipiell nachvollzogen werden. Die Veränderungen ...

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