Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Langfristgenehmigung von Heilmitteln bei einer chronischen Dystonie. Klagebefugnis und Rechtsschutzinteresse. Auslegung von Rechtsquellen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Einer gesetzlich Krankenversicherten fehlt weder die Klagebefugnis noch das Rechtsschutzinteresse an gerichtlicher Klärung der Rechtmäßigkeit der Ablehnung einer Langfristgenehmigung von Heilmitteln nach § 32 Abs 1a SGB 5; die Auffassung der Krankenkasse, auch ohne eine solche Genehmigung habe der Vertragsarzt bei Vorliegen medizinischer Notwendigkeit das Heilmittel zu verordnen, steht dem nicht entgegen.

2. Die Diagnose einer chronischen Dystonie mit starkem Tremor, Tortikollis, schmerzhafter Muskelverkrampfung im Bereich Nacken und Schultern sowie Schreibkrampf ist im Sinne von D 3 c) des Merkblatts "Genehmigung langfristiger Heilmittelbehandlungen nach § 32 Abs 1a SGB 5 in Verbindung mit § 8 Abs 5 HeilMRL" eine mit einer Erkrankung der Anlage 2 (Diagnoseliste) vergleichbare; eine Langfristgenehmigung einer ärztlichen Verordnung für Krankengymnastik ZNS-PNF (Zentrales Nervensystem - propriozeptive neuromuskuläre Fazilitation) ist daher unter Geltung des § 32 Abs 1a SGB 5 idF des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes vom 22.11.2012, BGBl I Seite 2983 (juris: GKV-VStG) zu erteilen.

3. Zur Auslegung der Vielzahl an Rechtsquellen zur Heilmittel-Langfristverordnung unter Geltung des § 32 Abs 1a SGB 5 vom 22.11.2012 und der HeilMRL vom 19.5.2011.

 

Normenkette

SGB V § 13 Abs. 3a, § 32 Abs. 1a S. 3, § 84 Abs. 7 S. 6, Abs. 8 S. 3, § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6, § 106 Abs. 18, 5a; HeilMRL §§ 7, 8 Abs. 1 Sätze 1, 4, Abs. 4 Sätze 2-3, Abs. 5; GG Art. 19 Abs. 4

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 3.7.2014 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Berufungsverfahren zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin ist Bankkauffrau in Halbtagsbeschäftigung und leidet unter einer chronischen Dystonie, einem starken Tremor, einer Tortikollis, einer schmerzhaften Muskelverkrampfung im Bereich Nacken und Schultern und einem Schreibkrampf der rechten Hand mit einer Atrophie im Bereich des Trapezius. Unter dem 23.10.2012 verordnete der Neurologe Dr. F. 10 mal Krankengymnastik ZNS - (zentrales Nervensystem) PNF - (propriozeptive neuromuskuläre Fazilitation) ein- bis zweimal pro Woche zur Verhinderung einer Verschlechterung, dies außerhalb des Regelfalls. Die Physiotherapie-Praxis F.-R. teilte mit, dass die Behandlung seit 22.3.2007 ein- bis zweimal pro Woche durchgeführt wird und hierdurch die Atrophie aufgehalten und die Schmerzen eingedämmt werden konnten.

Aufgrund der Verordnung von Dr. F. kontaktierte die Klägerin die Geschäftsstelle der Beklagten in Sa.. Im Schreiben vom 26.11.2012 führte die Beklagte gegenüber der Klägerin aus, sie, die Klägerin, beabsichtige einen Antrag auf Gewährung einer langfristigen Genehmigung von Heilmitteln zu stellen und man benötige neben weiteren konkret benannten Unterlagen auch einen formlosen persönlich unterschriebenen Antrag.

Die Urschrift dieses Schreibens mit dem handschriftlichen Vermerk “an KKH am 19.12.12„ und der Angabe ihrer Größe und des Gewichts übermittelte die Klägerin zusammen mit der Verordnung von Dr. F., weiteren medizinischen Unterlagen sowie einem formlosen Antragsschreiben ohne Datum und Eingangsvermerk der Beklagten.

Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) Saa. teilte am 3.1.2013 auf Anfrage der Beklagten in einem handschriftlichen Fallberatungsbogen lediglich mit, die Genehmigung werde gemäß § 8 Abs. 5 der Heilmittelrichtlinie (HeilMRL) nicht empfohlen, da es sich nicht um eine Diagnose laut Merkblatt des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) handele, es liege keine schwere Behinderung vor.

Mit Bescheid vom 3.1.2013 lehnte die Beklagte unter Verweis auf § 8 Abs. 5 HeilMRL die langfristige Genehmigung ab. Diese komme nur bei schweren, dauerhaften funktionellen und strukturellen Schädigungen in Betracht. Der Behandlungsbedarf müsse für einen längeren Zeitraum von etwa einem Jahr feststehen und gleichzeitig dürfe hinsichtlich des Krankheitsstatus für Art und Intensität keine Veränderung bezüglich der Notwendigkeit der Therapie mit Heilmitteln zu erwarten sein. Ein solcher fortlaufend gleich bleibender Therapiebedarf werde beispielsweise bei schwerstbehinderten Patienten zu begründen sein. Das Krankheitsbild der Klägerin sei aber durch eine wechselnde Leitsymptomatik charakterisiert, so dass man nicht von einem gleichbleibenden Behandlungsbedarf über einen längeren Zeitraum ausgehen könne. Auch aus dem Merkblatt des GBA vom 22.11.2012 ergebe sich kein Spielraum für eine langfristige Genehmigung; bei der Diagnose der Klägerin werde eine Genehmigung nicht befürwortet. Dieser Bescheid habe aber keine Auswirkungen für die Klägerin, denn der Anspruch auf Krankenbehandlung werde hiervon nicht berührt. Sie benötige keine Genehmigung von ihr, der Beklagten,...

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