Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Angemessenheit der Unterkunftskosten. Fehlen eines schlüssigen Konzepts. Unzulässigkeit der Bildung eines Durchschnittswertes bei alleiniger Berücksichtigung der Wohnungen von Leistungsempfängern. Erkenntnisausfall. Fehlen einer ausreichenden Datengrundlage. Rückgriff auf die Wohngeldtabelle plus Zuschlag. fehlender Nachweis der tatsächlichen Heizkosten. kein Rückgriff auf die Werte des bundesweiten Heizspiegels

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Erhebung im Umfang von unter 4 % des Wohnungsbestandes ist keine ausreichende Datengrundlage für ein schlüssiges Konzept.

2. Wenn ein Konzept nicht mehr schlüssig gemacht werden kann, ist auf die Wohngeldtabelle nach § 12 WoGG plus einem Aufschlag von 10 % zurückzugreifen (Anschluss an BSG vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 73).

3. Ohne Nachweis der tatsächlichen Heizkosten ist bei einer pauschalierten Berechnung durch den Beklagten auch nicht "sicherheitshalber" auf die sich nach dem bundesweiten Heizspiegel ergebenden (höheren) Werte abzustellen.

4. Es ist eine Obliegenheit der Kläger, während eines Rechtsstreits über die Kosten der Unterkunft und Heizung die entsprechenden Unterlagen aufzubewahren und auf Verlangen Nachweise über die tatsächlichen Kosten zu erbringen.

 

Orientierungssatz

Die Bildung eines Durchschnittswertes bei Wohnungen des unteren Preissegments ist rechtlich nicht zulässig, wenn nur die Wohnungen von Leistungsempfängern als Datengrundlage herangezogen werden.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 16.06.2015; Aktenzeichen B 4 AS 44/14 R)

 

Tenor

Die Berufungen der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts F. vom 8. August 2011 werden zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig sind höhere Leistungen für Kosten der Unterkunft (KdU) und Heizung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) hier in der Zeit vom 15.04. bis 30.09.2009.

Die 1978 geb. Klägerin zu 1. ist die Ehefrau des 1982 geborenen M. A., der als Student Leistungen nach dem BAföG bezieht. Die Eheleute leben gemeinsam mit dem am 14.12.2007 geborenen Sohn I., dem Kläger zu 2., und der später am 03.07.2009 hinzu geborenen Tochter M., der Klägerin zu 3. Die Kläger zu 1. bis 3. erhalten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II; der Ehemann ist als Student vom Leistungsbezug ausgeschlossen.

Bis Mitte April 2009 wohnten die Kläger in der K. Str. 4 in 7. F. und bezogen Leistungen von der ARGE F.. Wegen der Schwangerschaft der Klägerin zu 1. wurde die dortige Wohnung zu klein. Die ARGE F. bestätigte die Notwendigkeit des Auszugs. Nachdem die Familie keine passende Wohnung in F. gefunden hatte, wurde der Umzug in das ca. 10 km entfernt liegende M. (ca. 8.700 Einwohner) erwogen. Die ARGE F. beteiligte den Beklagten hinsichtlich einer Zusicherung zum Umzug. Diese wurde nicht erteilt, weil die Wohnung nicht angemessen sei (E-Mail vom 25.02.2009, Bl. 2 f VA). Am 15.04.2009 zog die Familie dennoch in die W. 4b, 79232 M. um. Bei der Wohnung handelt es sich um eine 4-Zimmer-Wohnung mit 85,75 m2 , Baujahr 1984. Die Kaltmiete beträgt 680 €, hinzu kommen Kosten in Höhe von 20 € für einen Stellplatz und Nebenkosten in Höhe von 210 €, worin die Kosten für Heizung und Warmwasser sowie Kosten in Höhe von 5 € für den Betrieb der Gemeinschaftsantenne/Satellitenanlage enthalten sind. Kosten für einen Kabelanschluss sind in der Miete nicht enthalten, ein Kabelanschluss besteht nicht (Bl. 135 VA). Die Gesamtmiete warm beträgt demnach 910 €.

Im Hinblick auf den bevorstehenden Umzug hatte die Klägerin zu 1. bereits am 26.02.2009 bzw. 05.03.2009 für sich und den Kläger zu 2. bei dem Beklagten (vormals ARGE B.-H., im Folgenden auch Beklagter) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beantragt. Mit Bescheid vom 08.04.2009 bewilligte der Beklagte für die Antragsteller Arbeitslosengeld (Alg) II und Sozialgeld für den Zeitraum vom 15.04. bis 30.09.2009, wobei er für die Kosten der Unterkunft und Heizung je 216,29 € monatlich bewilligte. Der Berechnung zugrunde lag eine für angemessen gehaltene Kaltmiete in Höhe von 459,90 € - im Hinblick auf die Schwangerschaft - bereits für einen 4-Personen-Haushalt und 90 m2 Wohnfläche (entsprechend 5,11 € pro m2), pauschale Heizkosten von 86 € abzüglich einer Warmwasserpauschale von 15,92 €, sowie Nebenkosten - abzüglich Kabelanschluss 5,11 € - in Höhe von 118,89 €. Müllgebühren waren nicht gesondert nachgewiesen. Die gesamten angemessenen KdU und Heizung betrugen damit nach der Berechnung des Beklagten 648,87 € (geteilt durch 3 Personen = je 216,29 €; vgl. Bl. 54, 61 VA). Dagegen legten die Kläger Widerspruch ein und begehrten hinsichtlich der KdU und Heizung die tatsächlichen Kosten (vgl. Bl. 126, 131 VA). Sie legten eine Bestätigung des Vermieters vor, wonach in den Nebenkosten keine Kabelgebühr enthalten ist (Bl. 135 VA).

Der Beklagte änderte die Leistungsbewilligung für die Zeit ab...

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