Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Zurückverweisung an die Verwaltung. Unfähigkeit der Verwaltung zur weiteren Sachaufklärung wegen nicht ausreichender personeller und sachlicher Ausstattung. Zurückverweisung nicht sachdienlich. keine Instrumentalisierung der Zurückverweisung. erforderliche Ermittlungen nach weiterem Vorbringen im Klageverfahren. kein vorwerfbares Ermittlungsversäumnis der Behörde. Nachfragemöglichkeit des Gerichts beim Beklagten. Objektivität ärztlicher Befunde. Schwerbehindertenrecht. GdB-Feststellung. Bildung des Gesamt-GdB. tatgerichtliche Aufgabe

 

Leitsatz (amtlich)

Die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung an die Verwaltung liegen nicht vor, wenn bei durchgeführter behördlicher Sachaufklärung im Klageverfahren nur noch die Bildung des Gesamt-Grades der Behinderung im Streit steht.

 

Orientierungssatz

1. Ist die Verwaltung personell und sachlich nicht ausreichend genug ausgestattet, um die erforderlichen Ermittlungen selbst durchführen zu können, und müsste sie deshalb (wie das Gericht) externe Gutachter beauftragen, fehlt es für eine Zurückverweisung an die Verwaltung an der erforderlichen Sachdienlichkeit.

2. Eine Zurückverweisung an die Verwaltung ist nicht wegen sich im Einzelfall aufdrängenden Rückfragen zu Ermittlungsergebnissen gerechtfertigt, denn diese kann das Gericht ohne Weiteres an den beklagten Verwaltungsträger stellen und dieser kann dann die Fragen intern weiterreichen (hier: an seinen versorgungsärztlichen Dienst zur Beantwortung vorlegen).

3. Im Regelfall kann davon ausgegangen werden, dass in ärztlichen Befunden das zu entscheidende Krankheitsbild objektiv und unabhängig von ärztlichen Eigeninteressen und unbeeinflusst vom Arzt-Patienten-Verhältnis wiedergeben wird.

4. Die Frage, inwieweit und aus welchen Gründen der ärztlichen oder gutachterlichen Einschätzung zu folgen ist, ist eine solche der Beweiswürdigung, welche eine ureigene gerichtliche Aufgabe ist.

5. Die Regelung des § 131 Abs 5 SGG gelangt ohnehin dann nicht zur Anwendung, wenn erst das Vorbringen im Klageverfahren weitere Ermittlungen angezeigt erscheinen lässt und der Behörde deshalb ein Ermittlungsversäumnis beziehungsweise eine sachwidrige Aufwandsverlagerung auf die Gerichte nicht vorgeworfen werden kann.

6. Der vorliegende Fall unterstreicht, dass das SG Karlsruhe das Mittel der Zurückverweisung an die Verwaltung mit der Erwägung instrumentalisiert, das von ihm ausgemachte „langjährige, diskriminierende und rechtsstaatswidrige Ermittlungsdefizit“ beseitigen zu wollen, ohne zur Kenntnis zu nehmen, dass im zu entscheidenden Einzelfall zu jeder im Ausgangs- und Widerspruchsverfahren geltend gemachten Behinderung medizinische Befunde ermittelt und ausgewertet worden sind.

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10. Oktober 2019 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Neufeststellung des Grades der Behinderung (GdB) von 50, mithin die Schwerbehinderteneigenschaft, streitig.

Der am ... Mai 1959 geborene Kläger leidet neben einer Sehminderung (rechtes Auge Visus mit Korrektur 0,08, keine Blindheit) an einem Diabetes mellitus Typ II, medikamentös eingestellt mit Metformin.

Auf seinen Erstantrag vom 13. September 2016 stellte das Landratsamt Karlsruhe zunächst mit Bescheid vom 13. Oktober 2016 den GdB mit 20 und auf seinen Widerspruch nach Einholung der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. S. (Sehminderung rechts GdB 20, Diabetes mellitus GdB 20) mit Abhilfebescheid vom 6. März 2017 den GdB mit 30 seit 13. September 2016 fest.

Bereits am 21. September 2017 beantragte der Kläger im Hinblick auf den Therapieaufwand seitens des Diabetes mellitus die Erhöhung des GdB. Er gab an, er müsse zusätzlich viermal täglich Insulin spritzen, viermal täglich Blutzucker-Selbstmessungen durchführen und danach die Insulineinheiten berechnen. Er fügte das Diabetiker-Tagebuch bei und führte ergänzend aus, als Lagerverwalter in einem Autohaus sei er oft nicht geplanter schwerer körperlicher Anstrengung ausgesetzt. Er habe auch sein Hobby Motorradfahren sowie den jährlichen Motorradurlaub mit seiner Frau aufgeben müssen. Unternehmungen mit Freunden und Verwandten seien wie früher spontan nicht mehr so einfach möglich. Auch bei sportlichen Aktivitäten müsse er auf eine mögliche Unterzuckerung achten. Weiterhin habe er häufig Verdauungs- sowie Konzentrationsstörungen und leide an Stimmungsschwankungen.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes befragte der Beklagte die behandelnden Ärzte des Klägers. Die Augenärztin Dr. S. führte am 29. Januar 2018 aus, das Sehvermögen habe sich nicht verändert, es liege keine Blindheit vor. Der Allgemeinmediziner und Diabetologe Dr. Dr. K. gab am 4. April 2018 an, am 28. Februar 2018 habe der HbA1c-Wert bei 7,7 %, RR 120/80 mmHg gelegen. Im September 2017 sei der HbA1c-Wert bei 7,2 % und drei Monate später...

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