Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Leistungsklage. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Kostenerstattungsanspruch bei Aufenthalt im Frauenhaus. Erstattung von Kosten für Betreuungs- bzw Eingliederungsleistungen. psychosoziale Betreuung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Klage auf Erstattung nach § 36a SGB 2 ist als echte Leistungsklage statthaft. Es ist weder ein Vorverfahren durchzuführen, noch eine Klagefrist einzuhalten (vgl BSG vom 17.5.2000 - B 3 KR 33/99 R = BSGE 86, 166 = SozR 3-2500 § 112 Nr 1 und vom 4.3.2004 - B 3 KR 4/03 R = BSGE 92, 223 = SozR 4-2500 § 39 Nr 1).

2. Zu den nach § 36a SGB 2 zu erstattenden Kosten bei Aufenthalt im Frauenhaus gehören auch Kosten für tatsächlich erbrachte Betreuungsleistungen, soweit diese für die Eingliederung der Hilfebedürftigen in das Arbeitsleben erforderlich sind. Der Begriff der psychosozialen Betreuung iS von § 16 Abs 2 S 2 Nr 3 SGB 2 ist dabei weit auszulegen (Anschluss an LSG Essen vom 23.2.2010 - L 1 AS 36/09).

 

Orientierungssatz

Mit dem "bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltsort" iS des § 36a SGB 2 ist der letzte gewöhnliche Aufenthaltsort außerhalb eines Frauenhauses gemeint. Es bleibt daher der kommunale Träger am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts vor der Zufluchtnahme in einem Frauenhaus zur Erstattung von Leistungen auch dann verpflichtet, wenn Hilfebedürftige von einem Frauenhaus in ein anderes Frauenhaus wechseln und damit ein anderer Grundsicherungsträger für die Leistungserbringung zuständig wird (vgl SG Karlsruhe vom 16.7.2008 - S 8 AS 4000/07).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 23.05.2012; Aktenzeichen B 14 AS 190/11 R)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgarts vom 31. Mai 2010 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über den Umfang der Kostenerstattungspflicht der Beklagten wegen des Aufenthalts einer Hilfebedürftigen und ihrer zwei Kinder in einem Frauenhaus.

Die 1981 geborene Frau C. H., jugoslawische Staatsangehörige, wohnte mit ihren Kindern in M und bezog bis 2. Januar 2007 Arbeitslosengeld II von der ARGE M. sowie ab 3. Januar 2007 vom JobCenter Stuttgart. Für den Zeitraum 1. September 2006 bis 23. Januar 2007 erhielt sie zudem Leistungen für ihre Kinder nach dem Unterhaltsvorschussgesetz in Höhe von jeweils 127,00 € monatlich sowie Kindergeld. Wegen Bedrohungen durch ihren Ehemann flüchtete Frau H. mit ihren Kindern am 31. Juli 2006 ins Frauenhaus H. in M.. Nachdem der Ehemann ihren Aufenthaltsort herausgefunden hatte, flüchtete sie wegen weiterer Bedrohung am 3. Januar 2007 mit ihren Kindern ins Frauenhaus S. sowie anschließend am 17. April 2007 in das Frauenhaus F. e.V. im Landkreis ., wo sie sich bis zum 6. Juli 2007 mit ihren Kindern aufhielt. Während des Aufenthalts wurden sie und ihre Kinder vom Personal des Frauenhauses psychosozial betreut, wofür Kosten in Höhe von 8.283,87 € entstanden sind, die der Kläger getragen hat.

Mit Schreiben vom 19. Juli 2007 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass sich Frau H. vom 17. April bis 6. Juli 2007 im Frauenhaus F. e.V. im Landkreis E. aufgehalten habe und sie zuletzt in M. wohnhaft gewesen sei. Der Kläger forderte die Beklagte zur Anerkennung der Kostenerstattungspflicht dem Grunde nach hinsichtlich der kommunalen Kosten der Unterkunft und Betreuung gemäß § 36a Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) auf. Mit Schreiben vom 7. August 2007, 25. Oktober 2007 und 17. April 2008 forderte der Kläger die ARGE M., an die die Beklagte das Schreiben vom 19. Juli 2007 zunächst weitergeleitet hatte, zur Anerkennung der Kostenerstattungspflicht dem Grunde nach hinsichtlich der Kosten der Unterkunft sowie der psychosozialen Betreuung auf. Die ARGE M. lehnte dies mit Schreiben vom 15. Mai 2008 mit der Begründung ab, dass Frau H. nach einem Wechsel des Frauenhauses einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt in S., begründet habe und die ARGE M. daher nicht erstattungspflichtig sei. Mit Schreiben vom 19. August 2008 kündigte der Kläger die klageweise Geltendmachung der Unterkunftskosten gegen den Träger der ARGE M. an und bat um Mitteilung, ob die Stadt M. auch die Gewährung der Leistungen nach § 16 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB II a.F. auf die ARGE M. übertragen habe, was nicht der Fall war. Dieses Schreiben wurde an die Beklagte weitergeleitet, die die Kostenerstattung mit Schreiben vom 17. Oktober 2008 ablehnte.

Am 15. Oktober 2008 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Er macht geltend, dass der bisherige gewöhnliche Aufenthalt im Sinne des § 36a SGB II trotz des Wechsels des Frauenhauses weiterhin M. bleibe. Die psychosoziale Betreuung von Frau H. und ihrer Kinder habe der späteren Wiedereingliederung von Frau H. in den Arbeitsmarkt gedient. Die Betreuungsmaßnahmen der Kinder seien notwendig gewesen, damit diese soweit hätten stabilisiert werden können, dass Frau H. später zur Arbeit gehen könne. Aufgrund des nur dreimonatigen Aufenthalts im Frauen...

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