Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. häusliche Krankenpflege. Leistungsort. Werkstätte für behinderte Menschen. besonders hoher Pflegebedarf

 

Orientierungssatz

1. Die Erbringung häuslicher Krankenpflege (auf Kosten der Krankenkasse) am Leistungsort WfbM setzt einen besonders hohen Pflegebedarf voraus. Dieser liegt bei Versicherten vor, deren Pflege mit den Einrichtungen und dem Personal einer WfbM (deren begleitenden Diensten) nicht ausreichend sichergestellt werden kann.

2. Die WfbM ist auch ein zulässiger Leistungsort für Leistungen der häuslichen Krankenpflege iS des § 37 Abs 2 S 1 SGB 5.

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 25.2.2010 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Gewährung von Katheterisierungen zur Blasenentleerung während des Besuchs einer Werkstätte für behinderte Menschen (WfbM) als Leistung der häuslichen Krankenpflege.

Die Klägerin ist im Jahr 1988 mit einer Meningomyelozele im Lumbalbereich (Spina bifida) geboren worden. Dies hat eine schwerste Harnblasenentleerungsstörung, Kleinwüchsigkeit sowie eine Rückgratverkrümmung zur Folge. Die Klägerin ist rollstuhlpflichtig. Wegen der Harnblasenentleerungsstörung ist eine Blasenaugmentation (Anlage einer künstlichen Blase) durchgeführt worden. Die Blasenentleerung erfolgt seither ausschließlich über einen künstlichen Blasenausgang in der Bauchdecke. Die Klägerin muss hierfür mehrfach täglich katheterisiert werden. Da außerdem bereits eine Nierenschädigung eingetreten ist, wird sie permanent antibiotisch behandelt.

Die Klägerin lebt in einer Einrichtung der Behindertenhilfe (KBF - M.) und hält sich seit 1.9.2008 tagsüber im Berufsbildungsbereich der WfbM G. (Beigeladener Nr. 2) auf. Dort steht - anders als im Wohnhaus der KBF - medizinisch ausgebildetes Personal für die Katheterisierung nicht zur Verfügung. Diese wird zweimal täglich von Mitarbeitern einer Sozialstation während des Werkstattbesuchs vorgenommen.

Seit 2.6.2004 ist die Klägerin bei der Beklagten kranken- und bei deren Pflegekasse (Beigeladene Nr. 3) pflegeversichert. Seit 1.9.2008 besteht wegen der Tätigkeit in der WfbM Versicherungspflicht. Die Klägerin erhält vom Beigeladenen Nr. 1 Eingliederungshilfe für behinderte Menschen (§§ 53, 54 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch, SGB XII). Die Beigeladene Nr. 3 gewährt Leistungen nach Maßgabe des § 43 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI, Pflege in vollstationären Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen).

Unter dem 2.1.2009 stellte die Internistin B. für die Klägerin eine (Folge-)Verordnung über eine tägliche Katheterisierung der Harnblase (5 Mal wöchentlich) als Leistung der häuslichen Krankenpflege aus (Zeitraum 1.1. bis 30.6.2009).

Mit Bescheid vom 2.2.2009 lehnte die Beklagte die Erbringung der verordneten Leistung ab. Zur Begründung führte sie aus, häusliche Krankenpflege könne nur in einem Haushalt geleistet werden. Da die Klägerin Leistungen im Heimbereich gem. § 43a Abs. 1 SGB XI von der Pflegekasse erhalte, bestehe kein Anspruch auf die Gewährung häuslicher Krankenpflege durch die Krankenkasse.

Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruchs trug die Klägerin (bzw. deren Betreuerin) vor, die Katheterisierung müsse seit 3 Jahren etwa alle 3 Stunden vorgenommen werden. Hierfür sei im Wohnhaus der KBF, nicht jedoch in der WfbM ausgebildetes Personal vorhanden. Eine einmalige Katheterisierung während der Arbeitszeit in der WfbM genüge nicht.

Unter dem 20.2.2009 führte die Beklagte aus, die Pflegekasse (Beigeladene Nr. 3) beteilige sich gem. § 43a SGB XI mit 10% an den Heimkosten der Klägerin (256,00 € monatlich). Die übrigen Kosten übernehme der Sozialhilfeträger (Beigeladener Nr. 1). Mit der Leistung der Pflegekasse seien die pflegebedingten Aufwendungen der sozialen Betreuung und die Aufwendungen für die medizinische Behandlungspflege abgegolten. Bei Bewohnern, die sich tagsüber in einer WfbM aufhielten, werde der volle Tagessatz an das Wohnheim weitergezahlt. Da für das Wohnheim und die WfbM unterschiedliche Träger zuständige seien, komme lediglich ein Kostenausgleich unter diesen in Frage. Ein besonders hoher Pflegeaufwand i. S. d. § 37 Abs. 2 Satz 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) liege nicht vor; diese Vorschrift gelte nur für intensivpflegebedürftige Versicherte. Zuständig sei hier deswegen der Beigeladene Nr. 1 als Sozialhilfeträger.

Mit Schreiben vom 13.3.2009 teilte die KBF M. mit, bei ihrem Wohnhaus handele es sich um eine Einrichtung der Eingliederungshilfe, die keine Tagesstruktur biete. Das Wohnhaus sei von 8.00 Uhr bis 16.00 Uhr geschlossen. Während dieser Zeit hielten sich die Bewohner in einer WfbM auf. Der Pflegesatz decke diesen Zeitraum nicht ab. Ungeklärt sei, ob für die in Rede stehenden Leistungen der Träger der Eingliederungshilfe oder die Krankenkasse zuständig sei.

Die ...

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