Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Verweigerung der schriftlichen Auskunftserteilung durch behandelnden Arzt. Antrag der Behörde auf gerichtliche Zeugenvernehmung. vorheriger Versuch der mündlichen Vernehmung durch Behörde nicht erforderlich

 

Leitsatz (amtlich)

Die (Versorgungs-)behörde ist nicht verpflichtet, vor Stellung eines Ersuchens um richterliche Vernehmung eines Zeugen im Verwaltungsverfahren an das Sozialgericht über die mehrfache Bitte um eine schriftliche Aussage hinaus den zur Auskunft verpflichteten Arzt zu einem Vernehmungstermin bei der Behörde zu laden, um ihn auf diese Weise zu einer Aussage zu veranlassen.

 

Tenor

Der Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn vom 22.10.2020, mit dem der Antrag des Antragstellers vom 23.07.2020 auf Vernehmung der Fachärztin für Dermatologie A. M. C.-S. als Zeugin abgelehnt worden ist, wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Heilbronn zurückverwiesen.

 

Gründe

1. Das Land Baden-Württemberg/Landkreis Heilbronn, dort Sozial- und Versorgungsamt (Ast.) hat am 27.07.2020 beim Sozialgericht (SG) Heilbronn den Antrag gestellt, in der Schwerbehindertensache der Frau I. H., geboren am ...1958, K.-straße, 7… H., die behandelnde Ärztin Frau C.-S., Fachärztin für Dermatologie, tätig in L., als Zeugin zu vernehmen.

Der Ast. hat das SG um Rechtshilfe ersucht, weil die behandelnde Fachärztin trotz mehrfacher Aufforderung und Erinnerung sowie trotz Hinweis auf ihre gesetzliche Pflicht zur Auskunftserteilung nach §§ 21, 100 SGB X, der Bitte um Übermittlung eines Befundscheins seit November 2019 nicht nachgekommen ist. Der Ast. hat das SG ersucht, die Zeugin gemäß § 22 SGB X in einem Termin gerichtlich zu vernehmen. Er hat den Gegenstand der Vernehmung im Ersuchen auch im Einzelnen bezeichnet. Das SG hat bei dem Antragsteller nachgefragt, ob die Zeugin zur mündlichen Vernehmung in der Behörde geladen worden sei. Der Antragsteller hat mitgeteilt, dass dies nicht geschehen sei. Diese Praxis beruhe auf „einer Vereinbarung“ mit dem SG Heilbronn, wonach auf eine vorherige Ladung zur Vernehmung nicht bestanden werde. Das SG hat dem Ast. Nach Rücksprache im Hause mitgeteilt, dass die vorgetragene „Vereinbarung“ wohl keine Bindung des jeweiligen Vorsitzenden zur Folge hätte. Eine Vereinbarung des vorgetragenen Inhalts habe auch nicht ermittelt werden können.

Mit Beschluss vom 22.10.2020 hat das SG den Antrag auf richterliche Vernehmung der behandelnden Fachärztin als Zeugin abgelehnt. Bevor die Behörde die Hilfe des Gerichts bei Vernehmung von Zeugen in Anspruch nehme, habe diese zunächst alle ihr möglichen zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts zu unternehmen. Dazu gehöre auch, dass ein Zeuge oder Sachverständiger vor der Stellung eines Rechtshilfeantrags nach § 22 SGB X „zur mündlichen Vernehmung in die Behörde ordnungsgemäß geladen“ werde. Die bloße Nichterstattung einer schriftlichen Äußerung sei nicht ausreichend (unter Hinweis auf: LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.04.2003 - L 6 SB 552/03 B - juris).

Gegen den am 23.10.2020 gegen elektronisches Empfangsbekenntnis zugestellten Beschluss hat der Ast. am 09.11.2020 beim SG Beschwerde eingelegt.

Er beantragt, den Beschluss des SG aufzuheben und das SG zu verpflichten, dem Vernehmungsersuchen des Ast. (auch Beschwerdeführer) nachzukommen. Der Ast. habe die fragliche Ärztin vor der Stellung des Vernehmungsersuchens insgesamt fünfmal um Erstellung und Übersendung eines Befundscheins ersucht (mit Aufzählung der Daten). Nachdem die Ärztin auf keines der Schreiben reagiert habe, sei das Vernehmungsersuchen erforderlich, um den Sachverhalt aufzuklären. Die vorherige Ladung der Ärztin zur Vernehmung vor der Behörde sei nach Auffassung des Ast. nicht zwingend erforderlich (unter Hinweis auf: Hessisches LSG, Beschluss vom 13.07.2004 - L 4 B 61/04 SG - Breithaupt 2004, 986; KassKomm/Mutschler, Stand Juli 2020, § 22 SGB X Rdnr. 3).

2. Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Ast. ist zulässig und in der Sache auch begründet.

Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB X kann eine Behörde je nach dem gegebenen Rechtsweg das für den Wohnsitz oder Aufenthaltsort des Zeugen oder des Sachverständigen zuständige Sozial- oder Verwaltungsgericht um Vernehmung ersuchen, wenn ein Zeuge oder Sachverständiger in Fällen des § 21 Abs. 3 SGB X ohne Vorliegen eines der in §§ 376, 383 bis 385 und 408 der Zivilprozessordnung (ZPO) bezeichneten Gründe die Aussage oder die Erstattung eines Gutachtens verweigert. Nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB X hat die Behörde im Ersuchen den Gegenstand der Vernehmung darzulegen sowie Namen und Anschrift der Beteiligten anzugeben. § 21 Abs. 3 Satz 4 SGB X sieht für den Fall einer solchen Heranziehung als Zeuge oder Sachverständiger vor, dass die in Dienstgenommene Person auf Antrag in entsprechender Anwendung des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes (JVEG) eine Entschädigung oder Vergütung erhält.

Der Ast. hat sein Rechtshilfeersuc...

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