Entscheidungsstichwort (Thema)

Elternzeitverlangen bei Adoption eines Kindes

 

Leitsatz (amtlich)

1.

Nach § 18 Abs. 1 S. 1 BErzGG darf das Arbeitsverhältnis ab dem Zeitpunkt, von dem an Elternzeit verlangt worden ist, höchstens jedoch 8 Wochen vor Beginn der Elternzeit, und während der Elternzeit nicht gekündigt werden. Verlangt die Arbeitnehmerin/der Arbeitnehmer Elternzeit vor dem gesetzlichen Schutzzeitraum, setzt der Kündigungsschutz somit frühestens 8 Wochen vor Beginn der Elternzeit und nicht schon mit dem Elternzeitverlangen ein (BAG 17.02.1994 – 2 AZR 616/93).

2.

Dies gilt auch für Adoptiveltern, die sich allerdings in einem besonderen Interessenkonflikt befinden, dem die gesetzliche Konzeption des § 18 Abs. 1 S. 1 BErzGG nur unzureichend Rechnung trägt. Denn die Annahme des Kindes und damit der Eintritt des Kündigungsschutzes hängt von Entscheidungen ab, die außerhalb der Einflusssphäre der im Arbeitsverhältnis stehenden Eltern liegen. Haben die Adoptiveltern einen Kindervorschlag angenommen, hängt der Zeitpunkt der Aufnahme eines Kindes z. B. von der Gesetzeslage und Arbeitsweise der Behörden in dem Staat ab, aus dem das Adoptivkind stammt.

Trotz dieses bei Adoptiveltern gegenüber leiblichen Eltern tatsächlich schwächer ausgestalteten Kündigungsschutzes in § 18 Abs. 1 BErzGG bleibt eine Angleichung allein dem Gesetzgeber vorbehalten und ist nicht im Wege einer teleologischen Reduktion des Fristerfordernisses in § 18 Abs. 1 BErzGG vorzunehmen.

3.

Erklärt ein Arbeitgeber im zeitlichen Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von Elternzeit eine Kündigung, so kann diese nach § 612 a BGB i.V.m. § 134 BGB nichtig sein, wenn der gesetzliche Kündigungsschutz nach § 18 Abs. 1 BErzGG noch nicht greift. Die umgehend nach Geltendmachung für Elternzeit ausgesprochene Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber indiziert, dass die Kündigung wegen der Elternzeit erfolgt ist. Diese tatsächliche Vermutung muss der Arbeitgeber durch substantiierten Sachvortrag widerlegen und nachweisen, dass er die Kündigung aus sachgerechten Gründen ausgesprochen hat.

 

Normenkette

BErzGG §§ 15, 16 Abs. 2, § 18 Abs. 1; MuSchG § 6 Abs. 1; BGB §§ 612a, 134

 

Verfahrensgang

ArbG Stade (Urteil vom 22.02.2005; Aktenzeichen 1 Ca 720/04)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stade vom 22.02.2005 – 1 Ca 720/04 – abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder durch die Kündigung vom 13.10.2004 noch durch die weitere Kündigung vom 28.10.2004, zugegangen am 30.10.2004 aufgelöst worden ist.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt 9/10, die Klägerin 1/10 der Kosten des Rechtsstreits.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von zwei ordentlichen betriebsbedingten Kündigungen, die ausgesprochen wurden, nachdem die Klägerin von der Adoptionsstelle einen „Kindervorschlag” erhalten, diesen sogleich angenommen und bei der Beklagten Elternzeit beantragt hat.

Die 1970 geborene Klägerin ist seit dem 01.01.2004 bei der Beklagten, die ständig weniger als 10 Arbeitnehmer beschäftigt, als Automobilverkäuferin zu einem Bruttomonatsentgelt von ca. 1.940,– EUR beschäftigt. Zuvor bestand zwischen den Parteien bereits in der Zeit vom 15.05.1996 bis zum 31.12.2002 ein Arbeitsverhältnis, das in der Zeit vom 01.05 bis 06.12.2000 unterbrochen wurde.

Am 29.09.2004 erhielten die Klägerin und ihr Ehemann von der Adoptionsvermittlungsstelle einen Kindervorschlag, den sie mit Schreiben vom selben Tage annahmen. Ebenfalls am 29.09.2004 stellte die Klägerin bei der Beklagten folgenden Antrag:

„Betrifft: Elternzeit Sehr geehrter Herr L.,

wie Sie wissen, adoptieren wir ein Kind. Hierbei handelt es sich um ein Kleinstkind; mit Blick darauf beantrage ich Elternzeit für 3 Jahre.

Der genaue Beginn der Elternzeit hängt davon ab, wann uns das Kind überstellt wird. Nach gegenwärtigem Stand wird das im November 2004 sein (das Originalschreiben enthält dabei den Schreibfehler „November 2005”; die Klägerin änderte das Ursprungsdatum „Januar 2005” im Originalschreiben ab – Klammerzusatz durch das Gericht).

Sobald uns der genaue Termin vorliegt, werde ich mich bei Ihnen melden.”

Herr L. ist der Geschäftsleiter der Beklagten, die einer Gruppe von rechtlich selbständigen Autohäusern angehört. Er war gemeinsam mit der Klägerin und dem Angestellten R. für den Verkauf der Automobile zuständig. Nach dem Ausscheiden von Herrn R. beschäftigte die Beklagte seit Juni 2004 mit Herrn S. einen weiteren Mitarbeiter, der nach einer auf Kosten der Bundeswehr durchgeführten Umschulung ab dem 01.01.2005 u.a. für den Automobilverkauf angestellt wurde.

Mit Schreiben vom 13.10.2004, unterzeichnet von Herrn L., kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin aus betriebsbedingten Gründen zum 15.11.2004.

Diese Kündigung wies die Klägerin unter Hinweis auf § 174 BGB mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 15.10.2004 zurück. Darau...

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