Rz. 72

Die ausdrückliche Regelung, nach der die gesamtschuldnerische Haftung durch Verwaltungsakt geltend zu machen ist, bildet die gesetzliche Ermächtigung dafür, dass gegenüber dem Pfändungsgläubiger als an sich außerhalb des Sozialrechtsverhältnisses Stehendem ein Verwaltungsakt nach § 31 SGB X in Form eines Haftungsbescheides erlassen werden kann. Dieser Erstattung- und Haftungsbescheid ist eigenständig gegenüber dem Erstattungsbescheid nach § 50 Abs. 3 SGB X.

 

Rz. 72a

Diese gesamtschuldnerische Haftung besteht jedoch nur hinsichtlich des Betrages, der aufgrund der Pfändung tatsächlich an den Pfändungsgläubiger ausgezahlt wurde. Dies folgt aus der Regelung des § 53 Abs. 6, wonach nur "soweit" bei einer Übertragung (= Pfändung) Geldleistungen zu Unrecht erbracht worden sind, eine gesamtschuldnerische Haftung von Leistungsberechtigtem und (hier) Pfändungsgläubiger für die zu Unrecht erbrachte Geldleistung besteht. Soweit die Sozialleistung in Geld aufgrund der Unpfändbarkeit infolge der Pfändungsfreibeträge an den Sozialleistungsberechtigten ausgezahlt wurde, bleibt dieser alleiniger Schuldner der Rückforderung und des Rückforderungsbetrages, der nach Maßgabe des § 50 Abs. 3 SGB X geltend gemacht werden kann und muss (vgl. Komm. zu § 50 SGB X). Richtigerweise wird dieser Rückforderungsbescheid den Gesamtbetrag der zu Unrecht erbrachten Geldleistung auszuweisen haben.

 

Rz. 72b

Demgegenüber ist der geltend gemachte Rückforderungsbetrag im Bescheid über die gesamtschuldnerische Haftung auf den Betrag begrenzt, der infolge der Pfändung an den Pfändungsgläubiger ausgezahlt wurde. Daher hat dieser Haftungsbescheid die Summe zu benennen, für die die gesamtschuldnerische Haftung neben dem Sozialleistungsberechtigten gegenüber dem Pfändungsgläubiger geltend gemacht wird. Der Erlass eines Verwaltungsaktes bedeutet, dass der Pfändungsgläubiger dagegen Widerspruch einlegen kann und im Widerspruchsverfahren und einem ggf. nachfolgenden sozialgerichtlichen Verfahren die Frage der Haftung dem Grunde und der Höhe nach zu überprüfen ist. Wie weit diese inhaltliche Prüfung gehen kann, wird erst die künftige Rechtsprechung zeigen. Jedenfalls in den Fällen, in denen die Rückforderung der Sozialleistung als zu Unrecht erbracht wegen der Bestandskraft des Bescheides nach § 50 Abs. 3 SGB X gegenüber dem an sich Sozialleistungsberechtigten dem Grunde nach feststeht, erscheint eine Überprüfung dieses Bescheids im Zusammenhang mit der Haftung nicht mehr möglich zu sein. Ob der Pfändungsgläubiger Gründe geltend machen kann, die die Frage der Aufhebung von Bewilligungsbescheiden und/oder den Erlass eines Rückforderungsbescheides betreffen, erscheint zweifelhaft. Daher dürften allenfalls Einwendungen hinsichtlich des tatsächlich erhaltenen Betrags Gegenstand einer Prüfung sein. Ob eine Rückforderung gegenüber dem Zahlungsempfänger davon abhängig gemacht werden kann, dass auch gegenüber dem an sich Sozialleistungsberechtigten eine Rückforderung geltend gemacht wird (so LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil v. 15.7.2015, L 2 R 158/15), erscheint nicht zwingend, weil hier trotz rückwirkender Aufhebung des Bewilligungsbescheides Gründe gegen die Geltendmachung einer Rückforderung bestehen können (z. B. bekannte Zahlungsunfähigkeit), die gegenüber dem Zahlungsempfänger nicht vorliegen.

 

Rz. 73

In Fällen der Inanspruchnahme als Haftender muss der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss nicht aufgehoben oder geändert werden, weil die Haftung und deren Geltendmachung durch Verwaltungsakt ein eigenständiges Verwaltungsverfahren darstellt, das den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss als solchen unberührt lässt. Der Haftung steht auch nicht entgegen, dass der Sozialleistungsträger im Rahmen seiner Drittschuldnererklärung zuvor das Bestehen der Forderung bestätigt hatte. Diese Erklärung stellt, wie § 316 Abs. 1 Satz 2 AO ausdrücklich anordnet, kein Anerkenntnis des Sozialleistungsanspruchs gegenüber dem Vollstreckungsgläubiger dar, der Vertrauensschutz in die Richtigkeit und den Bestand der Sozialleistung begründete.

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