Rz. 15

Die vom Gesetzgeber vorgeschriebene Pflicht zur Zusammenarbeit und die Orientierung am Wohl der Leistungsberechtigten verlangen geradezu, dass es möglichst keine unsinnigen Doppelstrukturen bei der Leistungserbringung geben soll. Abgesehen davon, dass dies sehr unwirtschaftlich wäre, würde es auch nur zu einer unnötigen Verwirrung bei den Rat und Hilfe suchenden Leistungsberechtigten führen. Doppelstrukturen meint hier eine Leistungserbringung bzw. die Vorhaltung von identischen Angeboten sowohl durch einen Sozialhilfeträger als auch einen freien Träger im selben Tätigkeitsbereich. Nicht gemeint ist damit, dass es im Zuständigkeitsbereich eines Sozialhilfeträgers mehrere freie Träger mit identischen Angeboten geben kann. Diese Angebote kann der Sozialhilfeträger nicht von sich aus unterbinden. Vielmehr ist es dann dem Markt zu überlassen, ob sich z. B. 3 Altenhilfeeinrichtungen in einem Ort halten können oder ob durch die Nachfrage der Betroffenen sich im Laufe der Zeit nur ein bzw. 2 Träger durchsetzen können.

 

Rz. 16

Als fast schon logische Folge aus dem Subsidiaritätsprinzip (wenn eine untere Institution/Organisation eine Hilfe erbringen kann, dann soll sich die nächsthöhere Stufe mit Aktivitäten zurückhalten) ergibt sich der in Abs. 4 vom Gesetzgeber vorgesehene Grundsatz. Da, wo freie Wohlfahrtseinrichtungen effektiv Hilfe leisten (können), soll sich der Sozialhilfeträger mit eigenen Maßnahmen zurückhalten – bedingter Vorrang freier Träger (Dauber, in: Mergler/Zink, a. a. O., § 5 Rz. 41; Schlegel/Voelzke, a. a. O., § 5 Rz. 49 ff.). Dies ergibt sich aus dem in § 9 Abs. 2 und 3 geregelten Wunsch- und Wahlrecht für die Leistungsberechtigten. Wenn ein Betroffener gerne seinen Lebensabend in einem Altenheim der AWO verbringen möchte und dort ein Platz frei ist, warum soll dann der Sozialhilfeträger auf eine eigene Einrichtung verweisen oder gar eine solche noch schaffen?

Abs. 4 ist neben der Regelung in § 75 die eigentliche Subsidiaritätsvorschrift im SGB XII (Fichtner/Wenzel, a. a. O., § 5 Rz. 10; institutionelle Subsidiarität – Grube/Wahrendorf, a. a. O., § 5 Rz. 17; Linhart/Adolph, a. a. O., § 5 Rz. 20).

 

Rz. 17

Erst wenn die freien Verbände und ihre Mitgliedseinrichtungen keine Angebote für Leistungsberechtigte im Rahmen des SGB XII machen/vorhalten, ergibt es einen Sinn, dass der Sozialhilfeträger selbst die Initiative ergreift bzw. aufgrund der Sicherstellungsverpflichtung ergreifen muss. Gibt es also z. B. keine Angebote der Hilfe für Menschen mit Behinderung in zumutbarer Entfernung für einen Betroffenen und ist auch keine Organisation bereit oder in der Lage, eine solche zu betreiben, dann muss der Sozialhilfeträger notfalls eben in eigener Trägerschaft diese Einrichtung schaffen und betreiben. Er kann auch versuchen, auf einen freien Träger zuzugehen und diesen durch (finanzielle) Anreize zu bewegen, das fehlende Angebot zu schaffen.

 

Rz. 18

Der Gesetzgeber hat die Pflicht zur Zurückhaltung bei der Erbringung eigener Leistungen als "Soll-Vorschrift" im Gesetz verankert. Dies bedeutet, dass sich der Sozialhilfeträger zurückhalten muss, wenn die Leistung in ordnungsgemäßer und wirtschaftlicher Weise von einem freien Träger erbracht wird.

Bestrebungen von Sozialhilfeträgern, trotz eines ausreichenden Angebotes an Leistungen durch freie Träger noch eigene Angebote neu zu schaffen, verstoßen also gegen den ausdrücklichen Sinn des Gesetzes und wären von der zuständigen Rechtsaufsicht eigentlich zu unterbinden, was in der Praxis aber nicht zu beobachten ist (für den Bereich der Jugendhilfe einleuchtend dargelegt, VG Münster, Beschluss v. 28.10.2004, 9 L 1337/04, bestätigt vom OVG Nordrhein-Westfalen mit Beschluss v. 30.3.2005, 12 B 2444/04).

Freie Träger können aufgrund dieser gesetzlichen Regelung jedoch nicht verlangen, dass bei Sozialhilfeträgern bereits vorhandene Dienste und Einrichtungen (z. B. das kommunale Altenheim) geschlossen werden, wenn z. B. die Auslastung der eigenen Einrichtungen nicht mehr so gut ist.

 

Rz. 19

Lediglich für den Bereich der Geldleistungen hat der Gesetzgeber etwas anderes vorgesehen: Geldleistungen (also etwa die monatliche Regelsatzauszahlung) sind typische Leistungen der Sozialhilfeträger und auch von diesen zu erbringen/zu organisieren (Dauber, in: Mergler/Zink, a. a. O., § 5 Rz. 47; Fichtner/Wenzel, a. a. O., § 5 Rz. 11; Schlegel/Voelzke, a. a. O., § 5 Rz. 50).

Diese Regelung dürfte in der Praxis aber nur geringe Bedeutung haben, da die freien Verbände nicht typischerweise regelmäßig Geldleistungen im Rahmen von Regelungen des SGB XII zur Auszahlung bringen (abgesehen vielleicht von den Fällen der Taschengeldverwaltung im Altenheim).

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