Rz. 3

Abs. 1 Satz 1 ist keine Zuständigkeitsregelung, sondern Anspruchsnorm. Sie knüpft an eine bisher bereits bestehende Zuständigkeit eines Jugendhilfeträgers für den Fall eines Zuständigkeitswechsels an und stellt damit die weitere Leistungserbringung gegenüber dem/den Leistungsberechtigten sicher. Eine Verpflichtung zur weiteren Leistung kommt jedoch nur dann in Betracht, wenn der bisher zuständige Träger die nach dem Zuständigkeitswechsel begehrte Leistung auch vorher schon erbracht hatte, denn nur dann können Leistungen "fortgesetzt" werden (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 7.4.2011, 12 B 392/11). Die Vorschrift gilt insbesondere auch für die Betreuung in der Kindertagespflege sowie in Kindertageseinrichtungen, weil es sich hierbei ebenfalls um "Leistungen" i. S. d. § 2 Abs. 2 handelt, ungeachtet ihrer etwaigen landesrechtlich unterschiedlich geregelten Finanzierungsform (vgl. hierzu auch BVerwG, Urteil v. 14.11.2002, 5 C 57/01). Der zum Zeitpunkt des Wechsels der örtlichen Zuständigkeit bis dahin zuständige Träger wird so lange zur Gewährung der bisherigen Leistung weiterverpflichtet, bis der nunmehr zuständige Jugendhilfeträger sie entweder fortsetzt oder eine Weitergewährung aus materiell-rechtlichen Gründen ablehnt (vgl. hierzu auch BVerwG, Urteil v. 14.11.2002, 5 C 51/01). Im Falle einer solchen auf inhaltlichen Gründen basierenden Ablehnung endet die fortgesetzte Leistungspflicht des bis dahin "an sich unzuständigen" Trägers. In der Rechtsprechung des BVerwG ist damit inzwischen geklärt, dass eine die Weiterleistungspflicht des bisher zuständig gewesenen örtlichen Jugendhilfeträgers aus § 86c Abs. 1 Satz 1 beendende "Fortsetzung" der Leistung durch den zuständig gewordenen örtlichen Träger auch in dessen Leistungsablehnung bestehen kann, weil der durch § 86c bezweckte verfahrensrechtliche Schutz der Leistungsberechtigten vor den Folgen eines Zuständigkeitswechsels sich nicht auf den Schutz vor den materiell-rechtlichen Folgen eines Ortswechsels erstreckt. Hieraus ergibt sich aber zugleich auch, dass der durch einen Ortswechsel örtlich zuständig gewordene Jugendhilfeträger in eigener Zuständigkeit über die Hilfegewährung zu entscheiden und insofern auch die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen hat. Das gilt konsequenter Weise beispielsweise auch für diejenigen Fälle, in denen er der Auffassung ist, es bestehe aus seiner Sicht ein gegenüber der Jugendhilfe vorrangiger Anspruch auf Sozialhilfeleistungen (z. B. auf Gewährung von Eingliederungshilfe nach SGB IX). Übernimmt er ungeachtet bestehender örtlicher Zuständigkeit den Jugendhilfefall nicht, kann er sich im Erstattungsrechtsverhältnis (§ 89 c) gegenüber dem deswegen nach § 86c fortdauernd leistungsverpflichteten Jugendhilfeträger nicht darauf berufen, dass dieser nach Maßgabe seiner eigenen Rechtsauffassung gegenüber dem Sozialhilfeträger hätte tätig werden können oder müssen (vgl. auch: BVerwG, Beschluss v. 22.5.2008, 5 B 203/07). Die Vorschrift gilt auch dann, wenn sich der neu zuständige Träger – aus Gründen, die nicht in einer Leistungsablehnung liegen – zunächst weigert, die Leistung in eigener Regie weiterzuführen. § 86 d findet hier keine Anwendung. § 86 c Abs. 1 Satz 1 findet zudem in den Fällen Anwendung, in denen der bisher örtlich zuständige Jugendhilfeträger mangels Kenntnis einer den Zuständigkeitswechsel auslösenden Tatsache von seiner weiteren Zuständigkeit ausgehen durfte, weil beispielsweise die Eltern bzw. der maßgebliche Elternteil, nach denen bzw. dem sich die örtliche Zuständigkeit richtet, einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt begründet haben, ohne den Jugendhilfeträger hiervon im Vorfeld zeitnah zu unterrichten.

 

Rz. 3a

Abs. 1 Satz 2 verpflichtet den neu zuständig gewordenen Jugendhilfeträger zudem, dafür Sorge zu tragen, dass der Hilfeprozess und die im Rahmen der Hilfeplanung vereinbarten Hilfeziele durch den Zuständigkeitswechsel nicht gefährdet werden. Das bedeutet hier konkret, jegliche Handlungen zu unterlassen, die eine Belastung des Hilfeprozesses durch den Zuständigkeitswechsel nach sich ziehen könnte. Für das Kindeswohl ist es nämlich i. d. R. förderlich, dass die Hilfekontinuität i. S. e. Beständigkeit nicht nur im "Ob", sondern auch im "Wie" einer rechtmäßigen Leistungserbringung nicht ohne Not gestört wird, wenn die örtliche Zuständigkeit wechselt (BT-Drs. 17/6256 S. 28, mit Verweis auf das BGH-Urteil v. 21.10.2004, III ZR 254/03). Dies gelte im besonderen Maße für Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege, aber auch für andere Hilfeprozesse. Daher solle nach einem Zuständigkeitswechsel die bisherige Zielrichtung des gemeinsamen Hilfeprozesses nur dann geändert werden, wenn das Wohl des Kindes oder Jugendlichen dies erfordere.

 

Rz. 4

Der nach § 86c Abs. 1 Satz 1 zur fortgesetzten Leistung verpflichtete Träger hat einen Kostenerstattungsanspruch gegenüber dem neu zuständig gewordenen Jugendhilfeträger. Im Fall einer Pflichtverletzung kommt der Kostenzuschlag gemäß § 89c Abs. 2 hinzu (vgl. hierzu § 89 c und die dortig...

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