Rz. 19

Umstritten ist auch, ob der Anspruch auf Hilfe auch Verwandten oder einem Vormund zusteht, wenn diese die Betreuung eines Kindes oder Jugendlichen übernommen haben. Diese Problematik entzündet sich vornehmlich an der Vollzeitpflege, § 33, durch Verwandte des Kindes, etwa die Großeltern, sog. Verwandtenpflege. Da hierfür nach § 44 Abs. 1 Nr. 3 keine Pflegeerlaubnis erforderlich ist, werden solche Maßnahmen nicht selten ohne Beteiligung des Jugendamtes begonnen, also im Wege der sog. Selbstbeschaffung. Generell ist bei der (nachträglichen) Bewilligung von Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege gem. § 33 eine restriktive Verwaltungspraxis zu beobachten, wobei Hintergrund insbesondere der Annexanspruch aus § 39, Gewährung von Pflegegeld, ist. Die Anspruchsberechtigung von Verwandten ist jedoch über diese Problematik hinaus von grundsätzlicher Bedeutung für alle Hilfsformen der §§ 27 ff. Durch die Einfügung des Abs. 2a durch das KICK (BGBl. I S. 2729) wurden wesentliche Streitpunkte geklärt (vgl. weitergehend unten die Kommentierung unter Rz. 35 ff., Erziehung außerhalb des Elternhauses nach Abs. 2a). Familienrechtlicher Ausgangspunkt ist zunächst, dass Pflege und Erziehung den leiblichen Eltern obliegt, § 1626 Abs. 1 Satz 1 BGB. Daneben sind Verwandte in gerader Linie verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren, § 1601 BGB. Als Unterhalt gilt hierbei einerseits Barunterhalt, anderseits die Pflege und Erziehung. Fallen die leiblichen Eltern aus, sind demnach grundsätzlich Großeltern verpflichtet, ihren Enkel zu unterhalten. Vor der Einführung des Abs. 2a durch das KICK stellte die Rechtsprechung darauf ab, ob die Großeltern die Betreuung und Pflege gerade in Erfüllung ihrer Unterhaltspflicht leisten und auch zur unentgeltlichen Pflege bereit sind. Ist dies der Fall – so die bisherige Rechtsprechung – sei kein Anspruch auf Hilfe zur Erziehung einschließlich der wirtschaftlichen Folgeleistungen gegeben. Denn deckt ein Verwandter im Einvernehmen mit dem Personensorgeberechtigten den erzieherischen Bedarf unentgeltlich, scheitere ein Anspruch des Personensorgeberechtigten auf öffentliche Jugendhilfe am fehlenden Bedarf (BVerwG, Urteil v. 15.12.1995, 5 C 2/94; BVerwG, Urteil v. 5.12.1996, 5 C 51/95, sowie BVerwG, Urteil v. 4.9.1997, 5 C 11/96).

Gegen diese Rechtsprechung und die daraus abgeleitete restriktive Verwaltungspraxis war vielfach Kritik laut geworden (etwa Happ, NJW 1998, 2409). Dieser Kritik hat der Gesetzgeber durch die Einfügung des Abs. 2a Rechnung getragen. Demnach entfällt der Anspruch auf Hilfe zur Erziehung nicht dadurch, dass eine andere unterhaltspflichtige Person bereit ist, die Aufgabe zu übernehmen. Dies ist eine Absage des Gesetzgebers an die unterhaltsrechtliche Betrachtungsweise des BVerwG. Die Neufassung der Vorschrift will bewusst die Vollzeitpflege für zum Unterhalt verpflichtete Verwandte offenhalten. Abs. 2a umfasst vornehmlich Großeltern, in Einzelfällen auch Urgroßeltern. Allein die Bereitschaft von Großeltern zur Pflege schließt den Anspruch nicht bereits aus. Es kommt nach Abs. 2a nur noch darauf an, dass die unterhaltspflichtige Person bereit und geeignet ist, den Hilfebedarf zu decken sowie hierbei auch mit dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe nach Maßgabe der §§ 36 f. zusammenzuarbeiten. Hieraus ist auch abzuleiten, dass die bloße Deckung eines wirtschaftlichen, nicht jedoch eines erzieherischen Bedarfs nicht ausreicht, um eine Hilfe zur Erziehung zu begründen (BT-Drs. 15/3767 S. 72). Die Rechtsprechung des BVerwG hat in der Entscheidung v. 1.3.2012 (5 C 12.11) betont, dass Vollzeitpflege nach § 33 von Großeltern nach den Erwägungen des Gesetzgebers unter erleichterten Bedingungen zu gewähren ist. Dies wurde sogar für den Fall bejaht, dass ein Zusammenleben der die Vollzeitpflege erbringenden Großeltern mit den Eltern des Kindes oder Jugendlichen in einem Haushalt gegeben ist (BVerwG, a. a. O.; vgl. auch Komm. zu § 33).

Selbstverständlich müssen auch bei Großeltern bzw. Urgroßeltern jeweils die Grundvoraussetzungen des § 27 vorliegen, die Hilfe also jeweils geeignet und erforderlich sein und eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet sein. Zur Geeignetheit gehört dabei, dass die Pflegeperson eine dem Wohl des Kindes oder Jugendlichen entsprechende Erziehung gewährleisten und sich zum anderen auf eine Kooperation mit dem Jugendamt einlassen kann. Außerdem müssen die Pflegepersonen zur Annahme unterstützender Leistungen bereit sein (Deutscher Verein, Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Fortschreibung der Pauschalbeträge in der Vollzeitpflege (§§ 33, 39 SGB VIII) für das Jahr 2022 – abrufbar im Internet: https://www.deutscher-verein.de/de/uploads/empfehlungen-stellungnahmen/2021/dv-13-21_pauschalbeitraege-vollzeitpflege.pdf – zuletzt abgerufen am 19.3.2024; für das Jahr 2023 – abrufbar im Internet: https://www.deutscher-verein.de/de/download.php?file=uploads/empfehlungen-stellungnahmen/2023/dv-9-22_vollzeitpflegesaetze.p...

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