Rz. 35

Zur Abgrenzung zwischen Gutachten und beratungsärztlicher Stellungnahme ist auf Folgendes hinzuweisen: Der Begriff des Gutachtens in Abs. 2 ist eng auszulegen (BSG, Urteile v. 5.2.2008, B 2 U 8/07 R, BSGE 100 S. 25, und B 2 U 10/07 R, UV-Recht Aktuell 2008 S. 917; Urteil v. 11.4.2013, B 2 U 34/11 R, NZS 2013 S. 710). Danach liegt ein Gutachten i. S. d. § 200 Abs. 2 zunächst aufgrund einer ersten formalen Betrachtungsweise bereits dann vor, wenn ein solches angefordert oder ausweislich einer Selbstbezeichnung "Gutachten" erstellt und übersandt oder abgerechnet worden ist. In der Tat spricht einiges dafür, bei einer übereinstimmenden Bezeichnung als Gutachten durch die anfordernde Stelle und den die Äußerung verfassenden Mediziner bereits aufgrund dieser formalen Betrachtungsweise vom Vorliegen eines Gutachtens auszugehen; denn insofern sollte auch von der Zielrichtung der Beteiligten bereits eine Stellungnahme vorgelegt werden, welche die Definition des Gutachtens erfüllt.

 

Rz. 35a

Der Begriff des Gutachtens wird im Gesetz selbst nicht definiert. Dem allgemeinen Sprachverständnis folgend fällt darunter nicht jedwede Äußerung oder Stellungnahme eines medizinischen oder technischen Sachverständigen zu einzelnen Aspekten des Verfahrensgegenstandes, sondern nur die umfassende wissenschaftliche Bearbeitung einer im konkreten Fall relevanten fachlichen Fragestellung durch den Sachverständigen (BSG, Urteil v. 11.4.2013, B 2 U 34/11 R, NZS 2013 S. 710, mit Hinweis auf BSG, Urteil v. 5.2.2008, B 2 U 8/07 R, a. a. O.). Ein Gutachten liegt nur vor, wenn die Beantwortung der Fragen durch einen externen Sachverständigen, d. h. durch eine Person erfolgt, die dem Unfallversicherungsträger nicht angehört und mit diesem auch keinen Dienst- oder Beratungsvertrag abgeschlossen hat (BSG, a. a. O., Rz. 19; so auch Kranig, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 200 Rz. 17).

 

Rz. 36

Zur weiteren Unterscheidung ist vom Bezugspunkt der schriftlichen Äußerung des Sachverständigen auszugehen. Enthält sie vornehmlich eine eigenständige Bewertung der verfahrensentscheidenden Tatsachenfragen, z. B. des Ursachenzusammenhangs, ist sie ein Gutachten. Setzt sich die schriftliche Äußerung des Sachverständigen im Wesentlichen mit dem eingeholten Gerichtsgutachten auseinander, insbesondere im Hinblick auf dessen Schlüssigkeit, Überzeugungskraft und Beurteilungsgrundlage, ist es nur eine beratende Stellungnahme und in der Konsequenz Abs. 2 nicht anwendbar. Maßgebliches Kriterium ist danach, ob die Äußerung alleine für sich stehen könnte, weil sie den Sachverhalt umfassend wissenschaftlich würdigt, oder ob die Äußerung im Wesentlichen eine Reaktion auf ein früheres Gutachten oder eine vorausgehende Äußerung ist, an die sich im Wesentlichen angelehnt wird.

 

Rz. 37

 
Praxis-Beispiel
  • Beschränkt der Beratungsarzt sich nicht auf eine kritische Auseinandersetzung mit dem gerichtlichen Gutachten, sondern verweist er zusätzlich (auch) auf Befundberichte und Röntgenaufnahmen, die der Vorgutachter nicht berücksichtigt hat, und kommt er sodann deswegen zu einer anderen medizinischen Einschätzung, etwa dass nur eine Gelegenheitsursache bei einer erheblichen Vorschädigung vorgelegen hat, liegt ein über eine beratungsärztliche Stellungnahme hinausgehendes Gutachten vor (vgl. Thüringer LSG, Urteil v. 22.1.2009, L 1 U 1089/06, UV-Recht Aktuell 2009 S. 630).
  • Anderes gilt hingegen, wenn ausschließlich bereits ausgewertete Röntgenaufnahmen anders als von dem Vorgutachter, auf den hinreichend genau eingegangen wird, bewertet werden (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 30.1.2009, L 2 U 198/04).

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