Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. haftungsausfüllende Kausalität. Gelenkarthrose. Glaubhaftmachung. hinreichende Wahrscheinlichkeit. Anwendbarkeit des § 200 Abs 2 SGB 7 im sozialgerichtlichen Verfahren. gerichtlich bestellter Sachverständiger. beratungsärztliche Stellungnahme eines Unfallversicherungsträgers. formeller Beweiswert

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Unterscheidung von Gewissheit, an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, hinreichender Wahrscheinlichkeit, Glaubhaftmachung und (bloßer) Möglichkeit, insbesondere zur Abgrenzung von hinreichender Wahrscheinlichkeit und Glaubhaftmachung.

2. Zur Anwendung des § 200 Abs 2 SGB 7 im sozialgerichtlichen Verfahren (Anschluss an BSG vom 5. Februar 2008 - B 2 U 8/07 R = SozR 4-2700 § 200 Nr 1).

3. Die Ausführungen eines gerichtlich bestellten Sachverständigen können durch die beratungsärztliche Stellungnahme eines Versicherungsträgers erschüttert werden. Einem Gerichtsgutachten ist daher nicht schon allein deshalb zu folgen, weil dem dagegen gerichteten Beteiligtenvortrag formell kein Beweiswert zukommt.

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 27. Oktober 2006 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Anerkennung von Folgen eines Unfalls und deren Entschädigung.

Der 1962 geborene Kläger ist als Belader eines Müllfahrzeuges bei einem städtischen Unternehmen beschäftigt. Zu seinen Aufgaben gehört es, die Hausmülltonnen an das Müllfahrzeug heranzuführen, zu entleeren und sodann wieder an ihren Standplatz zu verbringen; die Hausmülltonnen sind vielfach in sogenannten Hausmüllboxen untergestellt.

Am 5. April 2001 geriet der Kläger beim Passieren des schmalen Eingangsbereichs einer Hausmüllbox mit seiner rechten Hand zwischen Müllbehälter und Müllboxwand. Der Kläger, der bei diesem Vorgang Arbeitshandschuhe trug, arbeitete an diesem und an den nachfolgenden Tagen weiter, ohne bei einem Arzt vorstellig zu werden. Am Tag des Geschehens trug der Kläger in das Unfallbuch seines Arbeitgebers folgende Anzeige ein: “Am 5.4.01 zwischen 7.00 Uhr und 7.15 Uhr quetschte ich mir beim Zurückstellen des HM-Kübels die rechte Hand.„

Auf Grund von belastungsabhängigen Beschwerden im Bereich der rechten Hand wurde der Kläger am 12. Februar 2002 erstmals bei einem Arzt vorstellig. Nach röntgenologischer Untersuchung diagnostizierte Dipl.-Med. K. in seinem H-Arztbericht multiple Exostosen im Bereich des Grundgelenks des Mittelfingers nach einer Grundgelenksfraktur. Erst durch diesen H-Arztbericht erhielt die Beklagte Kenntnis vom Geschehen am 5. April 2001.

Im Folgenden wurde der Kläger im Universitätsklinikum J. mehrfach an der Hand operiert; im Zwischenbericht der Klinik vom November 2002 wurde angenommen, dass es sich bei den Beschwerden des Klägers um Folgeschäden aus der Verletzung vom April 2001 handele. Denn eine solch schwere Fingergrundgelenksarthrose sei ohne einwirkende Traumatisierung unwahrscheinlich.

Mit Bescheid vom 13. Juni 2003 erkannte die Beklagte das Ereignis vom 5. April 2001 als Arbeitsunfall an, verneinte indessen einen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente. Zur Begründung verwies die Beklagte darauf, dass eine Verletzung des Grundgelenks des Mittelfingers nicht zeitnah durch einen ärztlichen Befund gesichert worden sei, so dass es nicht möglich sei, die posttraumatische Gelenksarthrose auf das Unfallereignis vom 5. April 2001 zurückzuführen.

Im Rahmen des sich anschließenden Widerspruchsverfahrens hat die Beklagte ein handchirurgisches Zusammenhangsgutachten des Dr. med. L. eingeholt. Der Mediziner, der den Kläger im Dezember 2003 untersuchte, diagnostizierte eine schwere posttraumatische Arthrose im Grundgelenk des rechten Mittelfingers mit starker schmerzhafter Bewegungseinschränkung und Instabilität. Er kam zu dem Schluss, dass diese Gesundheitsschäden Folge des Unfallereignisses vom 5. April 2001 seien. Die Beklagte holte daraufhin eine beratungsärztliche Stellungnahme ein. In dieser traf Dr. Lu. die Einschätzung, dass der Gesundheitsschaden des Klägers nicht als Folge des Arbeitsunfalls vom 5. April 2001 angesehen werden könne. Mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Mit der hiergegen erhobenen Klage vor dem Sozialgericht Altenburg hat der Kläger die Auffassung vertreten, die Grundgelenksfraktur des rechten Mittelfingers, dessen dadurch verursachte gestörte Funktion sowie die multiplen posttraumatischen Exostosen seien Folgen des Arbeitsunfalls vom 5. April 2001. Dies werde überzeugend vom behandelnden Arzt Dipl.-Med. K. herausgestellt; die große Zeitspanne zwischen Arbeitsunfall und der Vorstellung beim Arzt habe Dipl.-Med. K. in seinem Bericht dokumentiert. Die zeitliche Spanne zwischen dem Arbeitsunfall und dem Auftreten der Beschwerden sei aber nicht geeignet, den ursächlich...

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