Rz. 14a

Nähere Einzelheiten dazu, wann eine Arbeitsgelegenheit zumutbar ist, wurden erst mit dem Integrationsgesetz v. 29.7.2016 (sog. Asylpaket III, BGBl. I S. 1939) mit Wirkung zum 6.8.2016 geschaffen. In Satz 2 wird angeordnet, dass § 11 Abs. 4 SGB XII entsprechend gilt. Die bisherige Fassung von § 11 Ab. 4 SGB XII wurde jedoch durch Art. 5 Nr. 2 Bürgergeld-Gesetz v. 16.12.2022 (BGBl. I S. 2328) mit Wirkung zum 1.1.2023 gestrichen und durch eine gänzlich andere Fassung zur Möglichkeit der Beratung und Unterstützung durch Verbände der freien Wohlfahrtspflege, durch Angehörige der rechtsberatenden Berufe und durch sonstige Stellen ersetzt. Abs. 3 Satz 2 wurde hingegen nicht geändert. Hier wird die gesetzgeberische Flickschusterei der letzten Jahre deutlich.

In der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/8613 S. 36 f., Begründung des Gesetzentwurfes zu § 5 Abs. 3 = Nr. 3 Buchst. b der Anmerkungen im Gesetzentwurf) wird ausgeführt:

"Die Zumutbarkeitsgrenzen gelten auch weiterhin; durch den in Satz 2 aufgenommenen Verweis auf § 11 Abs. 4 SGB XII werden die Anforderungen an die Zumutbarkeit einer angebotenen Arbeitsgelegenheit nunmehr näher konkretisiert. Die dort näher bestimmten Zumutbarkeitskriterien für eine vom Sozialhilfeträger angebotene Tätigkeit gelten künftig entsprechend für die Beurteilung, ob eine angebotene Arbeitsgelegenheit nach § 5 Absatz 1 AsylbLG zumutbar ist."

§ 11 Abs. 4 in der bis zum 31.12.2022 geltenden Fassung lautet:

Zitat

Den Leistungsberechtigten darf eine Tätigkeit nicht zugemutet werden, wenn

  1. sie wegen Erwerbsminderung, Krankheit, Behinderung oder Pflegebedürftigkeit hierzu nicht in der Lage sind oder
  2. sie ein der Regelaltersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 35 des Sechsten Buches) entsprechendes Lebensalter erreicht oder überschritten haben oder
  3. der Tätigkeit ein sonstiger wichtiger Grund entgegensteht.

Ihnen darf eine Tätigkeit insbesondere nicht zugemutet werden, soweit dadurch die geordnete Erziehung eines Kindes gefährdet würde. Die geordnete Erziehung eines Kindes, das das dritte Lebensjahr vollendet hat, ist in der Regel nicht gefährdet, soweit unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse in der Familie der Leistungsberechtigten die Betreuung des Kindes in einer Tageseinrichtung oder in Tagespflege im Sinne der Vorschriften des Achten Buches sichergestellt ist; die Träger der Sozialhilfe sollen darauf hinwirken, dass Alleinerziehenden vorrangig ein Platz zur Tagesbetreuung des Kindes angeboten wird. Auch sonst sind die Pflichten zu berücksichtigen, die den Leistungsberechtigten durch die Führung eines Haushalts oder die Pflege eines Angehörigen entstehen.

 

Rz. 14b

Ergänzend zu der Regelung in § 11 Abs. 4 SGB XII bestimmt Abs. 3 Satz 3, dass ein sonstiger wichtiger Grund i. S. d. § 11 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 SGB XII insbesondere dann vorliegen kann, wenn der Leistungsberechtigte eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, eine Berufsausbildung oder ein Studium aufnimmt oder aufgenommen hat. Ein wichtiger Grund kann auch dann vorliegen, wenn der Leistungsberechtigte trotz Berechtigung an der Teilnahme an einem Integrationskurs oder der Teilnahme an einer berufsbezogenen Deutschsprachförderung oder an der Teilnahme an einer Maßnahme der aktiven Arbeitsförderung i. S. d. SGB III gehindert würde. Dies gilt auch für Maßnahmen, die den Leistungsberechtigten auf die Aufnahme einer beruflichen Ausbildung oder eines Studiums (z. B. Studienkolleg, studienvorbereitende Sprachkurse an Hochschulen) vorbereiten sollen. Auch die Möglichkeit der Teilnahme an Bildungsmaßnahmen, die Inhabern ausländischer Berufsqualifikationen den Berufszugang oder die Feststellung der Gleichwertigkeit dieser Qualifikationen ermöglichen (Anpassungslehrgänge, berufsbezogene Weiterbildungsangebote, Vorbereitungskurse auf Kenntnis- und Eignungsprüfungen und berufsbezogene Sprachkurse), können wichtige Gründe darstellen (vgl. Deibel, ZFSH/SGB 2016, 526, unter Hinweis auf BT-Drs. 18/8615 S. 37). Bei Vorliegen der o. g. Sachlagen wird die Leistungsbehörde i. d. R. vom Vorliegen eines wichtigen Grundes auszugehen haben.

 

Rz. 14c

Im Übrigen ist bei der Prüfung des wichtigen Grundes eine Interessenabwägung anhand aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmen. Im Rahmen einer solchen Interessenabwägung gelangt Deibel (ZFSH 2016, 526) zu der Einschätzung, dass eine Arbeitsgelegenheit nicht mit dem Argument abgelehnt werden kann, dort sei das Tragen einer Burka nicht erlaubt, die aber aus religiösen Gründen getragen werden müsse. Es erscheint zweifelhaft, ob dies in dieser Allgemeinheit so zutreffend ist. Vorzugswürdig dürfte eine Beurteilung sein, die auf einer sorgfältigen Abwägung aller Umstände des Einzelfalls unter besonderer Berücksichtigung verfassungsrechtlich geschützter Rechtspositionen beruht.

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