Rz. 2

Eines Vorverfahrens bedarf es stets vor der Erhebung der Anfechtungsklage sowie der Verpflichtungsklage, und zwar auch dann, wenn sie mit einer anderen Klage verbunden ist (vgl. BSGE 3 S. 293, 296, 297). Entbehrlich ist das Vorverfahren bei einer – praktisch seltenen – reinen Leistungsklage oder Feststellungsklage, nicht hingegen bei einer Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 131 Abs. 1 Satz 3 nach Erledigung eines Verwaltungsaktes (str., vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 78 Rn. 8a). Der Abschluss des Vorverfahrens ist bei Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen eine unverzichtbare Sachurteilsvoraussetzung (BSG, SozR 3-1500 § 78 Nr. 5, 3), die in jedem Stadium des Verfahrens zu prüfen ist. Das gilt auch in den Fällen der Klageänderung, auch einer solchen durch Beteiligtenwechsel auf der Kläger- oder Beklagtenseite, wenn der ursprüngliche Verwaltungsakt den Widerspruchsführer und einen Dritten in gleicher Weise beschwert, jedoch nur der am Vorverfahren beteiligte Dritte klagt (vgl. BSG, SozR 4-2500 § 18 Nr. 5 für die Klage eines Familienversicherten, wenn der Widerspruchsbescheid nur gegenüber dem Stammversicherten ergangen ist).

 

Rz. 3

Ist das Vorverfahren bei Klageerhebung noch nicht durchgeführt worden, führt das im Regelfall nicht zur Abweisung einer Klage als unzulässig. Das Gericht muss vielmehr die Möglichkeit geben, das Vorverfahren nachzuholen und muss das Gerichtsverfahren analog § 114 Abs. 2 aussetzen (BSG, SozR 3-1500 § 78 Nr. 5; a. A. SG Stuttgart, Gerichtsbescheid v. 9.5.2011, S 20 SO 1922/11, juris; das Aussetzungserfordernis gilt ausnahmsweise nicht, wenn der Kläger auf einer sofortigen Entscheidung beharrt, LSG NRW, Beschluss v. 11.3.2010. L 9 SO 44/09, juris). Hat das Sozialgericht die Klage mangels Vorverfahren als unzulässig abgewiesen und erteilt die Behörde im Berufungsverfahren den Widerspruchsbescheid, so wird die ursprünglich unzulässige Klage zulässig (LSG NRW, Urteil v. 29.10.2009, L 2 KN 130/07 KR).

Der im Klageverfahren ergehende Widerspruchsbescheid wird gemäß § 96 Gegenstand des laufenden Verfahrens. Diese Verfahrensweise dient der Prozessökonomie, indem ein zweiter Prozess vermieden wird (kritisch: Zeihe, § 78 Rn. 6c). Weigert sich der Beklagte, das erforderliche Vorverfahren durchzuführen, kann das Prozessgericht eine entsprechende Verpflichtung in einem Zwischenurteil gemäß § 202 SGG i. V. m. § 303 ZPO aussprechen (BSG, SozR 1500 § 78 Nr. 16; BSG, SozR 3-5540 Anlage 1 § 10 Nr. 1; ablehnend: Zeihe, § 78 Rn. 6c). Wenn der Mangel der fehlenden Durchführung des Widerspruchsverfahrens erst im Revisionsverfahren erkannt wird, verweist das BSG den Rechtsstreit gemäß § 170 Abs. 2 Satz 2 an das LSG zurück, um den Beteiligten Gelegenheit zur Durchführung des Vorverfahrens zu geben (BSG, SozR 3-5540 Anlage 1 § 10 Nr. 1). Fehlt es bereits an einer Ausgangsentscheidung der Verwaltung, so kommt eine Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens nicht in Betracht. Die Klage ist unzulässig (vgl. BayLSG Urteil v. 20.1.2009, L 15 VG 20/08, juris). Bei sachdienlicher Auslegung kann aber eine Untätigkeitsklage gegeben sein.

 

Rz. 4

In der Klageerhebung liegt in aller Regel auch die Erhebung des Widerspruchs (vgl. BSG, SozR 3-1500 § 78 Nr. 5, 3 m. w. N.). Die Rechtsprechung, dass in der Klageerwiderung auch ein Widerspruchsbescheid gesehen werden kann, wenn Klagegegner und Widerspruchsbehörde identisch sind (BSG, SozR 3-1500 § 78 Nr. 3), hat das BSG modifiziert. Jedenfalls in Fällen, in denen eine Behörde sich sachlich mit dem Anliegen des Widerspruchsführers überhaupt nicht befasst hat, weil sie der Auffassung ist, diesem stehe kein Rechtsanspruch auf Überprüfung einer getroffenen Entscheidung zu, hat der Widerspruchsführer einen Anspruch darauf, dass die Behörde sich mit seinem Vorbringen in einem Widerspruchsbescheid auseinandersetzt (vgl. BSG, SozR 4-2700 § 34 Nr. 1 Rn. 29; BSG, SozR 3-5540 Anlage 1 § 10 Nr. 1).

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