1 Allgemeines

1.1 Entstehungsgeschichte

 

Rz. 1

Die Vorschrift ist mehrfach geändert und erweitert worden. Eine Beiladungsregelung enthielt bereits § 1652 Abs. 2 RVO. § 75 entsprach § 68 des VwGO-E v. 28.2.1952. In BT-Drs. Nr. 4357 wurde zu § 75 ausgeführt:

"Bei der Streithilfe (Nebenintervention) und der Streitverkündung ist eine eigene Regelung erforderlich, weil die Vorschriften der ZPO von dem Grundsatz der Herrschaft der Parteien über das Verfahren ausgehen." Die Funktion der Beiladung wurde in der Begründung zu § 68 VwGO-E wie folgt skizziert: "Die Beiladung ist das spezifisch prozessuale Mittel, im Verwaltungsgerichtsprozess ... eine Nichtpartei am Rechtsstreit zu beteiligen, wenn der Streit sie in Mitleidenschaft ziehen kann. Gleichzeitig ermöglicht sie dem Gericht eine allumfassende Untersuchung des Streitverhältnisses; die Beiladung liegt aber auch im Interesse der Prozessökonomie, da sie dazu dient, größere Streitkomplexe in einer Entscheidung zu erledigen und widersprechende Entscheidungen zu verhindern."

(hierzu auch Peters/Sautter/Wolff, SGG, 4. Aufl. 4/2007, § 75 Anm. 3).

 

Rz. 2

§ 75 Abs. 1, 2 und 5 wurden durch Art. 1 Nr. 30 Buchst. a, b und d nach Maßgabe von Art. 17 des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes (6. SGGÄndG) v. 17.8.2001 (BGBl. I S. 2144) mit Wirkung zum 2.1.2002 dahin geändert, dass in Abs. 1, 2 und 5 jeweils die Wörter "der Kriegsopferversorgung" durch die Wörter "des sozialen Entschädigungsrechts" ersetzt wurden. Ferner wurde mittels Art. 1 Nr. 30 Buchst. c der Abs. 2a eingefügt. Art. 4 des Gesetz über die Verwendung elektronischer Kommunikationsformen in der Justiz (Justizkommunikationsgesetz – JKomG) v. 22.3.2005 (BGBl. I S. 837, 846) hat in Abs. 2a das Wort "Bundesanzeiger" durch die Wörter "elektronischer Bundesanzeiger" ersetzt (Nr. 5a) und nach Satz 4 einen neuen Satz 5 über die Bekanntmachung in einem vom Gericht bestimmten Informations- und Kommunikationssystem eingefügt (Nr. 5b). In der Folge wurden die bisherigen Sätze 5 bis 8 zu den Sätze 6 bis 9. Durch Art. 9 des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende v. 20.7.2006 (BGBl. I S. 1706, 1718) sind in Abs. 2 und 5 nach dem Wort "Versicherungsträger" jeweils die Wörter "ein Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende, ein Träger der Sozialhilfe" mit Wirkung zum 1.8.2006 eingefügt worden.

Durch Art. 2 Abs. 33 des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften über Verkündung und Bekanntmachungen sowie der Zivilprozessordnung, des Gesetzes betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung und der Abgabenordnung (BAnzDiG) v. 22.12.2011 (BGBl. I S. 3044) ist Abs. 2a Satz 3 mit Wirkung zum 1.4.2012 (Art. 6 Abs. 1) dahin geändert, dass vor dem Wort "Bundesanzeiger" das Wort "elektronischen" gestrichen wird.

1.2 Grundsatz

 

Rz. 3

Die Beiladung ist die besondere Form der Beteiligung Dritter am Verfahren in der allgemeinen und besonderen Verwaltungsgerichtsbarkeit. Sie tritt an die Stelle der Nebenintervention und Streitverkündung gemäß §§ 66 bis 74 ZPO (vgl. BSG, Urteil v. 8.8.1975, 6 RKa 9/74, BSGE 40 S. 130, 132). Voraussetzung ist stets, dass ein Rechtsstreit zwischen anderen Personen rechtshängig ist. Eine Beiladung kann auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erfolgen. Sie ist bis zur rechtskräftigen Erledigung des Rechtsstreits möglich (dazu unten), im Revisionsverfahren allerdings nur nach § 168 SGG. Durch die Beiladung werden weitere Verfahren mit eventuell widerstreitenden Entscheidungen vermieden, weil eine Entscheidung auch den Beigeladenen bindet (§ 141 SGG).

2 Rechtspraxis

2.1 Einfache Beiladung

 

Rz. 4

§ 75 Abs. 1 Satz 1 betrifft die einfache Beiladung. Sie setzt voraus, dass berechtigte Interessen Dritter durch die Entscheidung berührt werden. Ein berechtigtes Interesse besteht dann, wenn der Ausgang des Rechtsstreits für den Dritten in rechtlicher, wirtschaftlicher oder schützenswert ideeller Hinsicht von Bedeutung sein kann (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. § 75 Rn. 8; Zeihe, SGG, 8. Aufl. 11/2010, § 75 Rn. 7a; Peters/Sautter/Wolff, SGG, § 75 Anm. 3b). So hält es etwa das BSG in ständiger Rechtsprechung für sachgerecht, die Partner der Bundesmantelverträge zu solchen Streitverfahren einfach beizuladen, in denen inzident über die Gültigkeit einer Bestimmung dieser Verträge gestritten wird (vgl. BSG, Urteil v. 24.9.2003, B 6 KA 37/02 R, SozR 4-2500 § 87 Nr. 3). Die Entscheidung über die Beiladung steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Es besteht kein Rechtsanspruch auf eine einfache Beiladung. Demzufolge ist es kein Verfahrensfehler, wenn eine einfache Beiladung unterbleibt.

2.2 Notwendige Beiladung

 

Rz. 5

Eine notwendige Beiladung sieht das Gesetz in 3 Fällen vor (§ 75 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2); jeweils besteht ein Rechtsanspruch auf Beiladung.

 

Rz. 6

Nach § 75 Abs. 1 Satz 2 ist in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts auf Antrag die Bundesrepublik Deutschland beizuladen. Sie wird durch das zuständige Bundesministerium vertreten. Durch die Beiladung soll die Bundesrepublik, die die Kosten des sozialen Entschädigungsrechts trägt, Einfluss auf...

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