Rz. 22

Unter besonderen Voraussetzungen kann die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden. Das ist gemäß § 171b Abs. 1 GVG dann der Fall, wenn Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich eines Beteiligten, Zeugen oder eines durch eine rechtswidrige Tat Verletzten zur Sprache kommen, deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen verletzen würde, soweit nicht das Interesse an der öffentlichen Erörterung dieser Umstände überwiegt. Eine solche Fallkonstellation kann dann gegeben sein, wenn gesundheitliche Einschränkungen, Familienverhältnisse oder wirtschaftliche Verhältnisse erörtert werden. Die Vorschrift ist nicht abschließend. Andere Ausschließungsgründe stehen daneben (Kissel/Mayer, GVG, § 171b Rn. 1).

 

Rz. 23

Erforderlich ist eine Interessenabwägung, weil der Ausschluss der Öffentlichkeit nur zulässig ist, wenn die schutzwürdigen Interessen des Einzelnen das Öffentlichkeitsinteresse überwiegen. In der Praxis kommt ein Ausschluss der Öffentlichkeit nur selten vor. Soweit etwa zur Begründung eines Klagebegehrens besondere wirtschaftliche Verhältnisse vorgetragen werden, berechtigt deren Erörterung – auch wenn damit möglicherweise der Einblick von Konkurrenten in die Einkommenssituation eines Beteiligten verbunden ist – nicht ohne weiteres den Ausschluss der Öffentlichkeit. Das Gleiche gilt für die Erörterung gesundheitlicher Verhältnisse etwa in Renten- oder Unfallversicherungsverfahren. Geburtsdatum, Beruf und ärztliche Diagnosen sind i. d. R. keine Umstände, deren öffentliche Erörterung geeignet ist, den Betroffenen bloßzustellen, im Ansehen herabzuwürdigen oder seine Ehre oder berufliche Stellung zu gefährden und deshalb ein schutzwürdiges Interesse am Ausschluss der Öffentlichkeit zu begründen (vgl. BSG, Beschluss v. 16.1.2007, B 5 R 96/06 B, SGb 2007 S. 564 = SozR 4-1720 § 171b Nr. 1). Dass die Nennung von Daten unangenehm oder peinlich sein könnte, reicht zur Annahme schutzwürdiger Interessen nicht aus (BSG, a. a. O.). Anders kann es allerdings zu beurteilen sein, wenn in einem Verfahren nach dem OEG Ansprüche wegen eines Gewaltverbrechens zu verhandeln sind.

 

Rz. 24

Die Grundregel des § 171 Abs. 1 Satz 1 GVG wird durchbrochen, wenn die Personen, deren Lebensbereich betroffen sind, in der Hauptverhandlung dem Ausschluss der Öffentlichkeit widersprechen (§ 171b Abs. 1 Satz 2 GVG). Auf Antrag des Betroffenen besteht beim Vorliegen der Voraussetzungen des Abs. 1 Satz 1 eine Verpflichtung, die Öffentlichkeit auszuschließen (§ 171b Abs. 2 GVG). Die Entscheidung nach Abs. 2 ist ebenso wie die im pflichtgemäßen Ermessen stehende Entscheidung nach Abs. 1 (vgl. BSG, Beschluss v. 16.1.2007, B 5 R 96/06 B, SGb 2007 S. 564 = SozR 4-1720 § 171b Nr. 1) unanfechtbar (§ 171b Abs. 3 GVG). Die Entscheidung unterliegt auch nicht der Beurteilung durch das Rechtsmittelgericht (betreffend Revisionsgericht: BGH, Urteil v. 19.12.2006, 1 StR 583/06, NVwZ-RR 2015 S. 136; Beschluss v. 31.8.1999, 1 StR 410/99, BGH NJW 2007 S. 709).

 

Rz. 25

§ 172 GVG nennt Gründe des öffentlichen Interesses, die zum Ausschluss der Öffentlichkeit führen können. Die Entscheidung steht im Ermessen des Gerichts. Im Ermessen steht auch die Beschränkung des Zutritts zur Verhandlung (§ 175 GVG). Die Vorschriften sind von geringer praktischer Bedeutung.

 

Rz. 26

Der Ausschluss kann jeweils nur für die mündliche Verhandlung ausgesprochen werden, nicht für die Urteilsverkündung (§ 173 Abs. 1 GVG). Nur durch besonderen Beschluss kann für die Mitteilung der Urteilsgründe die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden (§ 173 Abs. 2 GVG). Ausgeschlossen werden können nur Zuhörer, nicht aber Beteiligte und ihre Vertreter.

 

Rz. 27

Der Beschluss über den Ausschluss der Öffentlichkeit ist grundsätzlich öffentlich zu verhandeln, in nichtöffentlicher Sitzung nur, wenn ein Beteiligter dies beantragt oder das Gericht es für angemessen hält (§ 174 Abs. 1 Satz 1 GVG). Die Beteiligten müssen Gelegenheit zur Stellungnahme haben. Von dem in § 174 Abs. 1 Satz 2 HS 2 GVG genannten Ausnahmefall abgesehen, muss der Beschluss öffentlich verkündet werden, wobei der Grund für den Ausschluss der Öffentlichkeit anzugeben ist.

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