Rz. 108

In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Erstattung einer Strafanzeige gegen eine Partei oder deren Ankündigung durch einen Richter nicht ohne Weiteres die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigt, weil das Gesetz selbst die Erstattung einer Anzeige durch das Gericht ermöglicht (§ 149 ZPO) und in einigen Fällen auch verlangt (§ 183 GVG). Anerkannt ist aber auch, dass sich aus den konkreten Umständen der Anzeigeerstattung oder deren Ankündigung die Besorgnis der Befangenheit ergeben kann.

 

Rz. 109

So stellt eine Strafanzeige nur dann keinen Befangenheitsgrund dar, wenn der Richter zuvor die vorhandenen Verdachts- und Entlastungsumstände sorgfältig geprüft und abgewogen, dabei einen nicht von der Hand zu weisenden Verdacht geschöpft und dem Beteiligten, der durch die Strafanzeige dem Verdacht ausgesetzt wird, eine Straftat begangen zu haben, Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt hat (hierzu BVerfG, Beschluss v. 25.7.2012, 2 BvR 615/11; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 21.9.2011, L 11 SF 294/11 AB; OLG Naumburg, Beschluss v. 2.6.2005, 10 W 26/05; Beschluss v. 18.1.2005, 10 W 82/04; OLG Brandenburg, Beschluss v. 27.5.1997, 1 W 14/97; OLG Hamburg, Beschluss v. 28.7.1989, 12 W 72/89; OLG Frankfurt, Beschluss v. 28.7.1986, 22 W 23/86). Entsprechendes gilt für die Ankündigung einer solchen Anzeige (BVerfG, Beschluss v. 25.7.2012, 2 BvR 615/11 m. w. N. zu LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 21.9.2011, L 11 SF 294/11 AB; OLG Hamburg, Beschluss v. 28.7. 1989, 12 W 72/89). Maßgebend ist, dass bereits ein Anfangsverdacht (§ 152 Abs. 2 StPO) ausreicht, um die weitergehende Prüfung und Ermittlung eines Tatvorwurfes der hierfür zuständigen Staatsanwaltschaft zu überlassen. Ein Anfangsverdacht bedeutet lediglich, dass eine Straftat möglicherweise vorliegt, sofern die Anknüpfungstatsachen als wahr unterstellt werden (OLG Naumburg, Beschluss v. 2.6.2005, 10 W 26/05).

 

Rz. 110

Ausnahmen bestätigen die Regel, was das OLG Brandenburg (Beschluss v. 17.3.2015, 10 WF 11/15) zutreffend herausarbeitet. Zunächst legt das OLG dar, die Tatsache allein, dass ein Richter gegen einen Verfahrensbeteiligten Strafanzeige erstattet hat, rechtfertige grundsätzlich nicht die Annahme, er sei gegenüber dem Beteiligten befangen. Indessen seien weitere Umstände zu berücksichtigen. So habe der nicht als Zeuge geladene Richter die Strafverhandlung gegen den Antragsgegner im Sitzungssaal als Zuschauer verfolgt, sich während der Vernehmung des Antragsgegners als Geschädigter zu erkennen gegeben und mitgeteilt, einen Adhäsionsantrag stellen zu wollen. Ferner habe er geäußert, eine von der Staatsanwaltschaft angeregte Einstellung des Verfahrens fände er allenfalls gegen eine Geldauflage in Ordnung. Nicht ganz zu Unrecht nimmt das OLG an, die Intensität, mit welcher der Richter seine Strafanzeige weiterverfolgt habe, rechtfertige aus Sicht eines objektiven Beobachters durchaus, seiner Unparteilichkeit zu misstrauen.

Besorgnis der Befangenheit kann auch dann angenommen werden, wenn die Begründung des Richters für den behaupteten Verdacht offensichtlich unzureichend ist, weil sich nicht einmal ansatzweise erschließt, wie die Umstände des vorliegenden Falles einen Straftatverdacht begründen sollen, der es rechtfertigen könnte, der betroffenen Prozesspartei die Erstattung einer Strafanzeige in Aussicht zu stellen (BVerfG, Beschluss v. 25.7.2012, 2 BvR 615/11). Die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit ist ferner begründet, wenn er nach Vernehmung eines Zeugen ankündigt, er werde die Akten wegen des Verdachts des versuchten Prozessbetruges der Staatsanwaltschaft zuleiten, und dabei den Eindruck erweckt, dass er sich bei der von ihm zu treffenden Entscheidung bereits zum Nachteil dieser Partei festgelegt hat, ohne dass er bereit gewesen wäre, die nach dem Inhalt der Akten keineswegs von vornherein abzutuende Möglichkeit eines Irrtums, Missverständnisses, einer Erinnerungslücke oder eines Versprechers zu überprüfen (OLG Hamburg, Beschluss v. 28.7.1989, 12 WF 72/89).

 

Rz. 112

Die Verwandtschaft mit einem Verfahrensbevollmächtigten führt nicht zur Ausschließung vom Richteramt (BFH, Beschluss v. 17.12.2002, IV B 108/02). Allerdings wird die Besorgnis der Befangenheit (§ 42 Abs. 2 ZPO) vielfach bei einer Verwandtschaft (§ 1589 BGB) oder Schwägerschaft (§ 1590 BGB) des Richters mit einem weiterem Grade als nach § 41 Nr. 3 ZPO (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 7.9.2011, L 11 SF 308/11 AB: der Bevollmächtigte des Klägers ist Vater des Richters), bei Verlöbnis oder früherem Verlöbnis sowie bei Verwandtschaft usw. mit dem Prozessbevollmächtigten einer Partei zu bejahen sein (vgl. BFH, Beschluss v. 17.12.2002, IV B 108/02 – Prozessbevollmächtigter als Vetter des Richters; LAG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 14.12.2001, 6 Sa 523/01 – Richter als Onkel des Prozessbevollmächtigten; OLG Celle, Beschluss v. 5.4.2001, 9 W 94/01 – Befangenheit des Richters wegen Pressegesprächs über den Prozessausgang und Verwandtschaft m...

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