Rz. 81

Das geltende Verfahrensrecht ist von dem Gedanken geprägt, dass ein Richter grundsätzlich selbst dann unvoreingenommen an die Beurteilung einer Sache herantritt, wenn er bereits früher mit der Sache befasst war (BSG, Beschluss v. 10.1.2018, B 5 R 301/17 B). Ausnahmen hiervon sind in § 60 SGG i. V. m. § 41 Nr. 6 ZPO abschließend normiert. In den nicht erfassten Fällen setzt der Gesetzgeber voraus, dass der Prozessbeteiligte grundsätzlich annehmen wird und muss, der Richter genüge seiner Pflicht zur unbefangenen Entscheidung. Um in diesen Fällen die Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen, müssen daher besondere Umstände hinzutreten, da andernfalls ein gesetzlich nicht vorgesehener Ausschließungsgrund geschaffen würde (vgl. BSG, Beschluss v. 19.1.2010, B 11 AL 13/09 C; BGH, Beschluss v. 10.12.2007, AnwZ [B] 64/06; BVerwG, Urteil v. 2.7.1976, VI C 109.75; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 22.11.2007, OVG 3 N 131.07). Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn Äußerungen in früheren Entscheidungen unnötige und sachlich unbegründete Werturteile über den Antragsteller enthalten oder wenn ein Richter sich bei einer Vorentscheidung in sonst unsachlicher Weise zum Nachteil des Antragstellers geäußert hat (BGH, Urteil v. 29.6.2006, 5 StR 485/05; vgl. auch Zöller/Vollkommer, ZPO, § 42 Rn. 15, 17).

 

Rz. 82

Eine Vorbefassung vermag für sich genommen daher die Besorgnis der Befangenheit nicht zu begründen (BSG, Beschluss v. 10.1.2018, B 5 R 301/17 B; BGH, Beschluss v. 10.12.2007, AnwZ [B] 64/06; OLG Oldenburg, Beschluss v. 26.1.2015, 10 W 21/14; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 30.3.2011, L 11 SF 66/11 AB). Die Mitwirkung eines abgelehnten Richters an einem früheren Verfahren, auch über den gleichen Sachverhalt, das zu einer der Partei ungünstigen Entscheidung geführt hat, genügt daher grundsätzlich nicht als Ablehnungsgrund (FG Hamburg, Beschluss v. 28.11.2016, 3 K 24/16; OLG Köln, Beschluss v. 1.7.2009, 4 W 3/09; vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 23.3.2011, L 11 SF 14/11 AB: Vorbefassung durch Eilverfahren). Die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit kann im Rahmen einer Anhörungsrüge, die gerade der Selbstkorrektur des Gerichts dienen soll, nicht allein darauf gestützt werden, dass der Richter mit der Sache vorbefasst war (BVerwG, Beschluss v. 28.5.2009, 5 PKH 6/09, 5 PKH 1/09).

 

Rz. 83

Auch eine atypische Vorbefassung begründet als solches nicht die Besorgnis der Befangenheit. Diese wird angenommen, wenn der Richter in einer anderen Rolle wiederholt mit dem Streitstoff beschäftigt war (vgl. OLG München, Beschluss v. 6.4.2009, 1 W 1068/09; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 42 Rn. 17). Abgesehen von den gesetzlich unter anderem in § 41 Nr. 6 ZPO anders geregelten Fällen unterstellt das Gesetz auch bei einer atypischen Vorbefassung, dass ein Richter zu einer unvoreingenommenen Prüfung in der Lage ist, wenn er mit einer Rechtssache erneut befasst wird (vgl. BGH, Beschluss v. 24.7.2012, II ZR 280/11; OLG Hamm, Beschluss v. 21.8.2013, I 32 W 11/13). Es müssen vielmehr objektive Umstände hinzutreten, die nach der Meinung einer ruhig und vernünftig denkenden Partei Anlass geben, die Unparteilichkeit in Zweifel zu ziehen (vgl. OLG München, Beschluss v. 6.4.2009, 1 W 1068/09). Rein subjektive Gründe und Überlegungen der Partei scheiden bei dieser Betrachtung aus (OLG Oldenburg, Beschluss v. 26.1.2015, 10 W 21/14). Demzufolge rechtfertigt die Tatsache, dass ein Richter an Entscheidungen in einem anderen Verfahren, das den im Wesentlichen gleichen Lebenssachverhalt betrifft, beteiligt war, für sich genommen noch kein Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit. Voraussetzung hierfür ist stattdessen, dass Tatsachen den Eindruck begründen, der Richter habe sich aufgrund seiner Vorbefassung endgültig festgelegt und sei deshalb Argumenten nicht mehr zugänglich (BVerwG, Beschluss v. 20.11.2017, 6 B 47/17; vgl. auch FG Hamburg, Beschluss v. 28.11.2016, 3 K 24/16).

 

Rz. 84

Ein auf bloße Vorbefassung mit Verfahren des Beteiligten oder mit Parallelverfahren oder ähnlichen Fragen gestützter Befangenheitsantrag ist als unzulässig zu verwerfen (BVerfG, Beschluss v. 27.4.2016, 2 BvC 36/14; BGH, Beschluss v. 7.8.2012, 1 StR 212/12) jedenfalls aber als unbegründet abzulehnen (BGH, Beschluss v. 20.11.2017, IX ZR 80/15; Beschluss v. 27.12.2011, V ZB 175/11; BFH, Beschluss v. 29.7.1998, VII S 11/98; OLG Frankfurt, Beschluss v. 12.8.2013, 19 W 136/13).

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