Rz. 25

Die Rüge muss binnen zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs erhoben und begründet werden (BSG, Beschluss v. 18.5.2009, B 3 KR 1/09 C, SozR 4-1500 § 178a Nr. 8). Die Frist ist nach § 64 zu berechnen (LSG NRW, Beschluss v. 25.5.2009, L 11 KA 78/08, juris). Das Gesetz weicht hier von den Vorgaben des BVerfG ab. Dieses hatte bestimmt, dass der Antrag binnen 14 Tagen seit Zustellung der Entscheidung zu stellen ist, weil dies im Interesse der Rechtssicherheit läge. Der Gesetzentwurf hat das nicht aufgenommen. Ausweislich der Begründung zum Gesetzentwurf liegt dem die Erwägung zugrunde, dass sich die Vorschrift insoweit an die entsprechenden Regelungen in den ebenfalls rechtskraftdurchbrechenden Rechtsbehelfen der Wiedereinsetzung und Wiederaufnahme anlehnt (BT-Drucks. 15/3706). Das überzeugt nicht. Auf "Kenntnis" stellt § 67 nicht ab. Die Monatsfrist läuft ab Wegfall des Hindernisses, was schon dann der Fall ist, wenn der Beteiligte Kenntnis hätte haben müssen. Lediglich § 586 Abs. 1 ZPO schreibt für die Wiederaufnahmeklage vor, dass die Klagefrist mit dem Tage beginnt, an dem die Partei von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erhalten hat. Hierdurch werden eine Reihe von Unsicherheiten geschaffen, die das nachgängige Anhörungsverfahren erheblich belasten können. Dabei stellt sich die Frage, auf wessen Kenntnis abzustellen ist. Bei Naturalbeteiligten lässt sich die Frage relativ einfach beantworten. Komplikationen entstehen spätestens dann, wenn die Entscheidung einer Behörde oder einem Unternehmen zugeht. Angesichts der knappen Frist von zwei Wochen kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob für den Beginn der Frist auf die Kenntnis (nicht das intellektuell-inhaltliche Verstehen) irgendeines Mitarbeiters (z. B. in der Poststelle) oder auf die des zuständigen Sachbearbeiters oder aber auf die des vertretungsberechtigten Organs abzustellen ist. Zur Lösung dieser Schwierigkeiten kann auf die von der Rechtsprechung zu § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden.

 

Rz. 26

Da es naturgemäß schwierig ist, den Fristbeginn bei formlos mitgeteilten Entscheidungen zu bestimmen, sieht das Gesetz vor, dass derartige Entscheidungen mit dem dritten Tag nach der Ausgabe zur Post als bekannt gegeben gelten. Dies führt zu weiteren Ungewissheiten. Die Regelung ist vergleichbar mit § 37 Abs. 2 SGB X (Bekanntgabe eines Verwaltungsakts). Der tatsächliche Zugang ist nur nach Ablauf der drei Tage von Bedeutung. Im Verwaltungsverfahren gilt, dass die Behörde den Nachteil trägt, wenn ein Beteiligter nachvollziehbar behauptet, der Verwaltungsakt sei nicht oder nicht innerhalb des Drei-Tages-Zeitraums zugegangen und dessen Zugang oder Zugangszeitpunkt ist nicht nachweisbar (Engelmann, in: von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 37 Rn. 13). Übertragen auf das Verfahren nach § 178a würde dies bedeuten, dass das Gericht einem substantiiert bestreitenden Beteiligten nachweisen müsste, dass und wann die Entscheidung zugegangen ist. Das ist ohne Zugangsnachweis i. d. R. nicht möglich. In der Konsequenz hat jeder Beteiligte es in der Hand, den Fristbeginn mittels Zugangbestreitens selbst zu bestimmen. Hieraus kann nur gefolgert werden, dass das Gericht den Beteiligten jegliche - auch unanfechtbare - Entscheidungen (Urteile, Beschlüsse) zustellen sollte (vgl. Engelmann, a. a. O., § 37 Rn. 13a), sofern diese einer Anhörungsrüge zugänglich sind.

 

Rz. 27

Macht der Kläger geltend, das Gericht habe sein Vorbringen nicht ausreichend in seine Erwägungen einbezogen und seiner Entscheidung nicht zugrunde gelegt, kann er dies erst mit Vorliegen der schriftlichen Urteilsgründe erkennen; daher beginnt in solchen Fallgestaltungen die Rügefrist des § 178a Abs. 2 Satz 1 erst mit Kenntnisnahme der schriftlich abgefassten Entscheidung zu laufen (BSG, Beschluss v. 3.8.2005, B 6 KA 22/05 R; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 29.4.2009, L 27 R 55/09 B RG, juris; Leitherer, § 178a Rn. 7). Richtet sich die Anhörungsrüge gegen einen in der mündlichen Verhandlung verkündeten Beschluss, beginnt die Frist gem § 64 Abs. 1 Halbsatz 1 mit dem Tage nach der Verkündung (hierzu LSG NRW, Beschluss v. 25.5.2009, L 11 KA 78/08, juris).

 

Rz. 28

Im Übrigen stellt sich die Frage, was der Gesetzgeber inhaltlich unter "Kenntnis" versteht. Kenntnis ist begrifflich von Kennenmüssen zu unterscheiden. Wird nur auf die positive Kenntnis abgestellt, privilegiert das denjenigen, der die Akten nur oberflächlich liest (hierzu auch Schütze, in: von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 45 Rn. 83 ff.). Ob allerdings auf die aktenkundige Offensichtlichkeit der die Rüge rechtfertigenden Tatsachen abgestellt werden kann (hierzu Schütze, a. a. O., § 45 Rn. 85), erscheint zweifelhaft. Diese (umstrittene) Lösung passt für § 178a nicht. Etwaige Verstöße gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör können, müssen aber nicht aktenkundig sein. Deswegen wird man davon ausgehen müssen, dass einem Beteiligten eine Gehörsverletzung nur dann bekannt ist, wenn er ohne weiter...

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