Rz. 1

Die Vorschrift ist durch Gesetz v. 9.12.2004 (BGBl. I S. 3220) mit Wirkung ab 1.1.2005 in das SGG eingefügt worden. Die anderen Verfahrensordnungen sind gleichermaßen betroffen (§§ 33a, 356a StPO; § 55 Abs. 4 JGG; § 29a GBO; § 78a ArbGG; § 152a VwGO, § 133a FGO; § 69a GKG; § 157a KostO; § 4a JVEG u. a.). Eine Sondersituation ergab sich für die Zivilprozessordnung, weil hierin mit § 321a ZPO bereits eine vergleichbare Vorschrift enthalten war. Dennoch hat der Gesetzgeber auch § 321a ZPO angepasst, indem der Anwendungsbereich erweitert wurde. Dem liegt Folgendes zugrunde:

Gegen unanfechtbare Urteile, die auf einer Verletzung von Verfahrensgrundrechten (Art. 101 Abs. 1 GG, Art. 103 Abs. 1 GG) beruhen, war zunächst nur die Verfassungsbeschwerde gegeben (vgl. BVerfG, Beschluss v. 11.7.2002, 1 BvR 226/02, NJW 2002 S. 3387). Ob und inwieweit daneben weitere außerordentliche Rechtsbehelfe oder sonstige Überprüfungsmöglichkeiten bestanden, war umstritten. Die Rechtsprechung hat vom Grundsatz der Unabänderbarkeit unanfechtbarer Beschlüsse Ausnahmen zugelassen, um zu verhindern, dass die Unanfechtbarkeit der Entscheidung zu einem anders nicht zu beseitigenden groben prozessualen Unrecht führt. Das hierzu entwickelte außergerichtliche Rechtsinstitut der Gegenvorstellung (s. vor § 143 Rz. 2b und § 172 Rz. 14 f. sowie unten Rn. 6) konnte indes, sofern es überhaupt anerkannt wurde, nur dann zu einer Selbstkorrektur des Gerichts führen, wenn das rechtliche Gehör verletzt wurde oder Wiedereinsetzungsgründe oder Wiederaufnahmegründe (§§ 578 ff. ZPO) vorgebracht wurden. Die Gegenvorstellung ist kein außerordentlicher Rechtsbehelf, mit dem eine Überprüfung der ergangenen nicht rechtsmittelfähigen Entscheidung erreicht werden kann (so OLG Köln, Beschluss v. 25.1.1996, 14 WF 126/95, FamRZ 1996, 809; BSG, Beschluss v. 10.3.1998, B 8 KN 4/98 B, SozR 3-1500 § 160a Nr. 24; LSG NRW, Beschluss v. 23.11.2000, L 10 AR 25/00 AB; Beschluss v. 30.3.2001, L 10 B 1/01 SB). Folgerichtig hat das BVerfG angesichts der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde die Forderung aufgestellt, dass der Beschwerdeführer von jedem nicht offensichtlich aussichtslosen Rechtsbehelf Gebrauch machen muss (BVerfG, Beschluss v. 26.4.2004, 1 BvR 138/04, NJW 2004 S. 3029; Beschluss v. 27.9.2002, 2 BvR 855/02, NJW 2003 S. 575, zur Gegenvorstellung und Frist für die Verfassungsbeschwerde; BVerfG, Beschluss v. 11.7.2002, 1 BvR 226/02, NJW 2002 S. 3387). Zur Erschöpfung des Rechtswegs gegen eine gerichtliche Entscheidung gehört allerdings nicht die Einlegung einer Dienstaufsichtsbeschwerde (hierzu vor § 172 Rz. 3). Zwar besagt der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, dass ein Beschwerdeführer über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen muss, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erwirken. Dieses Ziel ist mit Dienstaufsichtsbeschwerden jedoch nicht zu erreichen. Die Dienstaufsicht gemäß § 26 DRiG erstreckt sich allein auf die äußere Wahrnehmung der dienstlichen Aufgaben, nicht auf die Ausübung der den Richtern in voller Unabhängigkeit anvertrauten rechtsprechenden Gewalt. Sie ermöglicht daher nicht die Beseitigung einer rechtskräftigen richterlichen Entscheidung (BVerfG, Beschluss v. 9.6.2004, 1 BvR 872/04, NJW 2004 S. 2891).

 

Rz. 2

Durch das am 1.1.2002 in Kraft getretene ZPO-Reformgesetz (BGBl. I 1887 ff.) ist ein erster Schritt in Richtung Anhörungsrüge gemacht worden. § 321a ZPO i. d. F. des ZPO-RG sah vor, dass derjenige, der durch ein nicht berufungsfähiges Urteil beschwert war, eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör binnen zwei Wochen beim erstinstanzlichen Gericht geltend machen kann (zu den Einzelheiten vgl. Müller, NJW 2002 S. 2743 ff., Greger, NJW 2002 S. 3049). Die Vorschrift war über § 202 entsprechend auch auf das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit anzuwenden (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, 62. Aufl. 2004, § 321a Rn. 4). Ausgehend vom Wortlaut des § 321a ZPO i. d. F. des ZPO-RG wurde teilweise die Auffassung vertreten, diese Vorschrift gelte nur für das erstinstanzliche Verfahren (OLG Oldenburg, Beschluss v. 14.10.2002, 11 UF 208/01, NJW 2003 S. 149, 150; OLG Rostock, Beschluss v. 9.4.2003, 6 U 101/02, NJW 2003 S. 2105; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a. a. O., § 321a Rn. 4; Voßkuhle, NJW 2003 S. 2193, 2198), während sie nach a. A. auch im Berufungs- bzw. Revisionsverfahren anwendbar sein sollte (Müller, NJW 2002 S. 2746; OLG Celle, Beschluss v. 4.12.2002, 13 U 77/02, NJW 2003 S. 906; zum Streitstand: Zöller/Vollkommer, 24. Aufl., 2004, § 321a Rn. 3a).

 

Rz. 3

Weitere Komplikationen ergaben sich daraus, dass nach der Neuregelung des Beschwerderechts durch das ZPO-RG ab 1.1.2002 der BGH die Möglichkeit beseitigte, nicht anfechtbare Beschlüsse mittels außerordentlicher Beschwerde zum BGH wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit anzufechten (BG...

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