4.2.1 Grundsätzliche Bedeutung

 

Rz. 10

Die Grundsatzrevision nach Abs. 2 Nr. 1 setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl. BSG, Beschluss v. 29.11.2006, B 6 KA 23/06 B). Grundsätzliche Bedeutung hat die Rechtssache, wenn es geboten ist, im Interesse der Fortbildung des Rechts oder seiner einheitlichen Auslegung eine klärungsbedürftige Rechtsfrage zum revisiblen Recht zu klären, wenn also die Entscheidung dazu führen kann, dass die Rechtseinheit erhalten bleibt oder die Weiterentwicklung des Rechts gefördert wird (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, § 160 Rz. 6). Nicht ausreichend ist, dass der Rechtsfrage nur in tatsächlicher Hinsicht eine über den zu entscheidenden Fall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. BSG, Beschluss v. 4.4.2018, B 12 KR 97/17 B). Diese Voraussetzungen sind beispielsweise erfüllt, wenn eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage nicht nur den Einzelfall betrifft, sondern – absehbar – für eine Vielzahl von Fällen relevant werden kann, also von der derzeitigen Unsicherheit eine nicht unbeträchtliche Personenzahl betroffen ist oder die tatsächlichen Auswirkungen über den Einzelfall weit hinausgehen (vgl. BSGE 2 S. 129, 132; BSGE 15 S. 17, 19; vgl. auch BGH, NJW 2003 S. 65, 66; BGH, NJW 2003 S. 831 ff.).

4.2.2 Klärungsfähigkeit

 

Rz. 11

Die Rechtsfrage muss klärungsfähig sein. Das ist der Fall, wenn der Ausgang des Rechtsstreits maßgebend von der Beantwortung dieser Rechtsfrage abhängt. Daran fehlt es, wenn die Entscheidung des LSG mit einer anderen rechtlichen Begründung bestätigt werden kann (vgl. BSG, Beschluss v. 30.8.2004, B 2 U 401/03 B). Das Revisionsverfahren ist weder ein abstraktes Normenkontrollverfahren noch dient es dazu, abstrakte Rechtsfragen ohne Bezug zum konkreten Fall zu klären (vgl. BSG, Beschluss v. 10.10.2007, B 12 R 24/07 B).

 

Rz. 12

Klärungsfähig ist die Rechtsfrage, wenn sie nach den Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz beantwortbar ist (Zeihe, § 160 Rz. 12g; BSG, Beschluss v. 16.12.1993, 7 BAr 126/93). Die Rechtsfrage ist nicht klärungsfähig, wenn es sich um nichtrevisibles Recht handelt, insbesondere wenn sich die Rechtsfrage auf die Auslegung von Landesrecht (§ 162) beschränkt (vgl. BSG, Urteil v. 27.6.2001, B 6 KA 66/00 R; BSG, SozR 1500 § 160 Nr. 10; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, § 160 Rz. 9c). Materiell übereinstimmendes Landesrecht ist allerdings dann revisibel, wenn die Vereinheitlichung bewusst erfolgt ist (vgl. hierzu die Kommentierung zu § 162). Die Rechtsfrage ist auch dann nicht klärungsfähig, wenn Klage oder Berufung nicht zulässig waren (vgl. BSG, SozR 1500 § 160 Nr. 39) oder das BSG nach Zurückweisung infolge Selbstbindung (vgl. hierzu BSG, Urteil v. 12.11.2001, B 6 KA 8/01 R) von seiner Rechtsauffassung nicht abweichen kann. Sofern letztlich vom BVerfG die Verfassungswidrigkeit einer Vorschrift geklärt werden soll, steht dies der Klärungsfähigkeit nicht entgegen, denn der Rechtsweg ist auszuschöpfen (vgl. BVerfG, Beschluss v. 27.6.1996, 1 BvR 1979/95; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, Rz. 351; BSG, SozR 1500 § 160a Nr. 11, 17; Leitherer, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, § 160 Rz. 9a). Insofern ist allgemein anerkannt, dass die Frage der Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Norm die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung einer Rechtssache rechtfertigen kann (vgl. BSG, SozR 1500 § 160a Nr. 17 m. w. N.).

4.2.3 Klärungsbedürftigkeit

 

Rz. 13

Die Klärungsbedürftigkeit fehlt dann, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist und/oder wenn sie sich ohne weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder aus der bereits vorliegenden Rechtsprechung klar beantworten lässt (vgl. BSG, Beschluss v. 13.5.1997, 13 BJ 271/96). Eine vom BSG bereits entschiedene Rechtsfrage ist nicht mehr klärungsbedürftig (vgl. BSG, Beschluss v. 10.12.2003, B 6 KA 53/03 B; BSG, Beschluss v. 2.4.2003, B 6 KA 83/02 B). In diesem Sinn ist die Klärungsbedürftigkeit auch dann zu verneinen, wenn die Rechtsfrage zwar noch nicht ausdrücklich entschieden worden ist, für ihre Beantwortung die vorhandene Rechtsprechung jedoch hinreichende Anhaltspunkte gibt (vgl. BSG, Beschluss v. 16.5.2007, B 13 R 97/07 B; BSG, Beschluss v. 31.3.1993, 13 BJ 215/92; BSG, Beschluss v. 21.1.1993, 13 BJ 207/92; vgl. auch Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, Rz. 314). Umso weniger ist eine Rechtsfrage klärungsbedürftig, deren Beantwortung nach den maßgeblichen Rechtsvorschriften bzw. auf der Grundlage der dazu bereits vorliegenden höchstrichterlichen Rechtsprechung keinem Zweifel unterliegt (vgl. BSG, Beschluss v. 6.11.2002, B 6 KA 43/02 B; BSG, Beschluss v. 27.6.2001, B 6 KA 19/01 B). Sie kann somit keine grundsätzliche Bedeutung mehr haben. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Beantwortung der Frage dennoch aus besonderen Gründen klärungsbedürftig geblieben oder erneut geworden ist, etwa weil eine Rechtsänderung eingetreten oder erhebliche Einwände gegen die Rechtsprechung erhoben w...

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