Rz. 17

Die unzulässige Berufung kann durch Urteil oder durch Beschluss verworfen werden. Eine mündliche Verhandlung ist fakultativ. Das Urteil wird auf Grund mündlicher Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 1 SGG) oder mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG); durch den vollbesetzten Senat mit drei Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern (§ 33 Abs. 1 SGG) gefällt. Der Beschluss ergeht ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 3 SGG); an ihm wirken die ehrenamtlichen Richter nicht mit (§§ 33 Abs. 2, 12 Abs. 1 Satz 2 SGG). Das LSG hat insoweit ein Ermessen (BSG, Urteil v. 8.11.2005, B 1 KR 76/05 B, SozR 4-1500 § 158 Nr. 2). Die Befugnisse aus Satz 2 sind eng und in einer für die Beteiligten möglichst schonenden Weise auszulegen und anzuwenden (BSG, a. a. O.). Können nur in einer mündlichen Verhandlung die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist geklärt werden, kann nur durch Urteil entschieden werden. Allerdings wäre vorab zu prüfen sein, ob die Klärung nicht auch in einem Erörterungstermin (§ 153 Abs. 1, § 155 Abs. 1, § 106 Abs. 2 Nr. 7 SGG) möglich ist, sodass im Anschluss an diesen Termin der Weg zu einem Beschluss nach § 158 Satz 2 offen bleibt (Rohwer-Kahlmann, SGG, § 158 Rn. 6). Auch soweit eine Berufung teils unzulässig, teils begründet und/oder unbegründet ist, wird durch Urteil zu entscheiden sein, da insoweit die Voraussetzungen des § 158 ausweislich des Wortlauts nicht gegeben sind. Anders mag dann verfahren werden, wenn hinsichtlich des sachlich zu entscheidenden Teils der Berufung ebenfalls mittels eines Beschlusses (§ 153 Abs. 4 SGG) entscheiden werden kann (Rohwer-Kahlmann, a. a. O.).

 

Rz. 18

Im Revisionsverfahren kann eine Ermessensentscheidung nur darauf überprüft werden, ob das Berufungsgericht von seinem Ermessen die Berufung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 158 Satz 2 zurückzuweisen, erkennbar fehlerhaften Gebrauch gemacht hat, d. h. sachfremde Erwägungen oder eine grobe Fehleinschätzung zugrunde gelegt hat (BSG, Beschluss v. 9.12.2008, B 8 SO 13/08 B; Beschluss v. 9.9.2003, B 9 VS 2/03 B, SozR 3-1500 § 153 Nr. 13). Das Ermessen kann im Einzelfall dahingehend reduziert sein, dass nur Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung und mit ehrenamtlichen Richtern in Betracht kommt. Nicht anders als bei § 153 Abs. 4 Satz 1 SGG führt die Verletzung des § 158 Satz 2 zur unvorschriftsmäßigen Besetzung des LSG nur mit den Berufsrichtern und damit zum Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes gemäß § 202 SGG i. V. m. § 551 Nr. 1 ZPO (vgl. zu § 153 Abs. 4 Satz 1 SGG: BSG, Urteil v. 2.5.2001, B 2 U 29/00 R, SozR 3-1500 § 153 Nr. 13; Urteil v.8 11. 2001, B 11 AL 37/01 R).

 

Rz. 19

Umstritten ist, ob eine Entscheidung durch Beschluss ausgeschlossen ist, wenn das SG durch Gerichtsbescheid (§ 105 SGG) entschieden hat. Nach Auffassung des BSG ist die Möglichkeit nach § 158 Satz 2 ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden nicht grundlegend anders als im Rahmen von § 153 Abs. 4 Satz 1 SGG eng und in einer für die Beteiligten möglichst schonenden Weise auszulegen und anzuwenden. Schon nach der prozessrechtlichen Garantie des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, der auf Streitigkeiten aus der Sozialversicherung anwendbar sei, habe jede Person ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre Ansprüche in einem Verfahren öffentlich verhandelt werde. Diese Vorgaben seien auch bei der Ermessensentscheidung nach § 158 Satz 2 zu berücksichtigen. Die unterschiedliche Fassung von § 158 Satz 2 und § 153 Abs. 4 Satz 1 SGG erlaube nicht die Schlussfolgerung, § 158 Satz 2 gelte ohne Einschränkungen auch in solchen Fällen, in denen erstinstanzlich durch Gerichtsbescheid entschieden worden sei; vielmehr geböten es das Gebot des fairen und effektiven Rechtsschutzes sowie das Recht auf eine mündliche Verhandlung, von einer Entscheidung durch Beschluss nach § 158 Satz 2 abzusehen, wenn sich die Berufung gegen einen Gerichtsbescheid richte (BSG, Beschluss v. 9.12.2008, B 8 SO 13/08 B; Urteil v. 8.11.2005, B 1 KR 76/05 B, SozR 4-1500 § 158 Nr. 2; so auch LSG Sachsen, Urteil v. 6.5.2010, L 3 AS 588/09; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Aufl. 2008, VIII Rn. 77; Keller, SGG, § 158 Rn. 6; Wolff-Dellen, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, § 158 Rn. 6; Meßling, in: Henning, SGG, § 157 Rn. 23; Vorauflage § 157 Rn. 3).

 

Rz. 20

Nach anderer Auffassung steht der Gerichtsbescheid einem Beschluss nach § 158 nicht entgegen (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 16.11.2010, L 3 R 362/09; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 10.6.2010, L 10 AS 779/10; LSG NRW, Beschluss v. 13.8.2007, L 9 SO 12/07; Beschluss v. 5.2.2007, L 2 (18) KN 25/06; LSG Berlin, Beschluss v. 19.3.2004, L 13 VG 25/03; Rohwer-Kahlmann, SGG, § 158 Rn. 5; Peters/Sautter/Wolff, SGG, § 158 Rn. 17; Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl. 2005, § 158 Rn 6). Dem ist zuzustimmen. Zutreffend ist zwar der Ansatz des BSG, dass sich die Ausges...

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