Entscheidungsstichwort (Thema)

Zurückweisung der Berufung durch Beschluss. Ermessen. Überprüfung. rechtliches Gehör

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Im Revisionsverfahren kann nur überprüft werden, ob das Berufungsgericht von seinem Ermessen, die Berufung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 153 Abs. 4 S. 1 SGG durch Beschluss zurückzuweisen, erkennbar fehlerhaften Gebrauch gemacht hat, etwa wenn der Beurteilung sachfremde Erwägungen oder eine grobe Fehleinschätzung zu Grunde liegen.

2. Bei der Prüfung der Ermessensentscheidung sind grundsätzlich auch folgende Fragen eingeschlossen: Ob das Berufungsgericht die Schwierigkeit des Falls sowie die Bedeutung von Tatsachenfragen berücksichtigt und insoweit die Anforderungen von Art. 6 Abs. 1 EMRK beachtet hat.

3. Wird eine Verletzung des Anspruchs eines Verfahrensbeteiligten auf rechtliches Gehör gerügt, so muss vorgetragen werden, welchen erheblichen Vortrag das Gericht nicht zur Kenntnis genommen hat oder welches Vorbringen durch die Verfahrensweise des Gerichts verhindert worden ist und inwiefern das Urteil darauf beruhen kann. Voraussetzung für den Erfolg einer solchen Rüge ist darüber hinaus, dass der Beschwerdeführer darlegt, seinerseits alles getan zu haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen.

 

Normenkette

SGG §§ 62, 128 Abs. 2, § 153 Abs. 4 S. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 3; VwGO § 130a; EMRK Art. 6 Abs. 1; GG Art. 103 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Beschluss vom 09.04.2003)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 9. April 2003 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

 

Gründe

Der Rechtsstreit betrifft die Anerkennung von Schädigungsfolgen und Gewährung von Versorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz iVm dem Bundesversorgungsgesetz.

Der 1941 geborene Kläger beantragte im April 1999 Versorgung wegen eines beidseitigen Knieschadens, den er auf einen Wehrdienstunfall im Februar 1963 – Sprung von einer LKW-Ladepritsche – zurückführt. Damit ist er erfolglos geblieben (Bescheid des Beklagten vom 8. November 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juli 2000; Urteil des Sozialgerichts Speyer ≪SG≫ vom 13. Juni 2002; Beschluss des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz ≪LSG≫ vom 9. April 2003). Seine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im vorgenannten Beschluss stützt der Kläger auf § 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Das LSG habe von seinem Ermessen, durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden (§ 153 Abs 4 SGG), fehlerhaft Gebrauch gemacht.

Die Beschwerde ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG.

Nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG kann das LSG, außer in den Fällen, in denen das SG durch Gerichtsbescheid entschieden hat, die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) und des Bundesverwaltungsgerichts (dieses zur entsprechenden Vorschrift in § 130a Verwaltungsgerichtsordnung) kann im Revisionsverfahren nur überprüft werden, ob das Berufungsgericht von seinem Ermessen erkennbar fehlerhaften Gebrauch gemacht hat, etwa wenn der Beurteilung sachfremde Erwägungen oder eine grobe Fehleinschätzung zu Grunde liegen (vgl nur BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 13 S 35, 38 mwN). Bei der Prüfung der Ermessensentscheidung sind grundsätzlich auch die Fragen eingeschlossen, ob das Berufungsgericht die Schwierigkeit des Falles sowie die Bedeutung von Tatsachenfragen berücksichtigt und insoweit die Anforderungen von Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention beachtet hat (vgl BSG aaO Nr 1 S 1, 3 f mwN). Unverzichtbare Voraussetzung für die Anwendung des vereinfachten Verfahrens ist, dass die Beteiligten vorher gehört werden (§ 153 Abs 4 Satz 2 SGG), um sicherzustellen, dass durch den Wegfall der mündlichen Verhandlung das rechtliche Gehör nicht verkürzt wird (BSG aaO Nr 11 S 30, 32 unter Hinweis auf das Senatsurteil vom 22. April 1998, aaO Nr 7 S 17 ff).

Wird – wie sinngemäß hier – eine Verletzung des Anspruchs eines Verfahrensbeteiligten auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 Grundgesetz; §§ 62, 128 Abs 2 SGG, in Fällen wie hier iVm § 153 Abs 4 SGG) gerügt, so muss vorgetragen werden, welchen erheblichen Vortrag das Gericht nicht zur Kenntnis genommen hat oder welches Vorbringen durch die Verfahrensweise des Gerichts verhindert worden ist und inwiefern das Urteil darauf beruhen kann (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 36; BSGE 69, 280, 284 = SozR 3-4100 § 128a Nr 5). Voraussetzung für den Erfolg einer solchen Rüge ist darüber hinaus, dass der Beschwerdeführer darlegt, seinerseits alles getan zu haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl BSG vom 5. Oktober 1998 – B 13 RJ 285/97 B –; Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 7. Aufl, § 62 RdNr 11c).

Die Beschwerdebegründung des Klägers, dessen Rüge gerade auf diese Verkürzung des rechtlichen Gehörs durch das Übergehen der mündlichen Verhandlung abhebt, genügt den genannten Voraussetzungen nicht. Das rechtliche Gehör wird zwar im sozialgerichtlichen Verfahren in erster Linie in der mündlichen Verhandlung gewährt; der Kläger hat jedoch schon nicht dargelegt, inwieweit er gehindert gewesen sein könnte, durch seinen rechtskundigen Prozessbevollmächtigten im schriftlichen Verfahren alles vortragen zu lassen, was ihm wesentlich erschien. Darüber hinaus hat er bei seiner Beschwerdebegründung nicht berücksichtigt, dass die Rüge in Fällen, in denen die Vorinstanz dem Vortrag des Beteiligten allein durch weitere Beweiserhebung hätte entsprechen können, jedenfalls bei rechtskundiger Vertretung – wie hier durch den Sozialverband VdK – nur dann durchgreift, wenn auch ein entsprechender Beweisantrag gestellt wurde (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 22); diesen Maßstab verfehlt seine Rüge, ein ermessensfehlerhaftes Handeln des LSG sei schon durch die Unterlassung der gebotenen Ermittlungen erfüllt.

Der weitere Hinweis des Klägers auf die Zurückweisung seines persönlichen Schreibens vom 18. Februar 2003, womit er um mündliche Verhandlung zwecks Gelegenheit für Richtigstellungen gebeten hatte, durch die Verfügung des LSG vom 1. April 2003 genügt ebenfalls nicht den Darlegungsanforderungen, weil er insoweit keine Begründung dafür gibt, warum allein aus dieser Zurückweisung auf sachfremde Erwägungen oder eine grobe Fehleinschätzung geschlossen werden könnte.

Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG entsprechend § 169 Satz 3 SGG ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1176725

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