2.2.1 Deklaratorischer Charakter

 

Rz. 7

Nach Abs. 2 kann das LSG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, wenn es die Berufung aus den schon den Beteiligten bekannten Gründen zurückweisen will. Die Regelung hat deklaratorischen Charakter, denn hierzu war das Berufungsgericht schon zuvor befugt (BSG, Beschluss v. 20.1.2000, B 7 AL 116/99 B, SozR 3-1500 § 153 Nr. 10; BVerwG, Beschluss v. 20.7.1979, 7 CB 21/79, NJW 1980 S. 953; Rohwer-Kahlmann, SGG, VII/2000, § 153 Rn. 11; Knecht, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2009, § 153 Rn. 11). Eine vergleichbare Regelung für das erstinstanzliche Verfahren enthält § 136 Abs. 3 SGG; diese Norm ist über § 155 Abs. 1 SGG im Berufungsverfahren anwendbar (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 153 Rn. 5). Soweit allerdings das LSG funktionell erstinstanzlich entscheidet (hierzu § 29 SGG), finden die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug (§§ 87 bis 122 SGG) unmittelbar Anwendung.

2.2.2 Umfang und Grenzen der Bezugnahme

 

Rz. 8

Die Vorschrift des § 153 Abs. 2 gilt nicht für Vereinfachungen im Tatbestand. Maßgebend ist vielmehr § 153 Abs. 1 i. V. m. § 136 Abs. 2 SGG. Hiernach kann das LSG auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug nehmen und erreichen, dass die Feststellungen des SG eigene Feststellungen des LSG werden. Allerdings ist das LSG dann gehalten, den Tatbestand um die Elemente des § 136 Abs. 2 Satz 2 SGG für das Berufungsverfahren zu ergänzen (Zeihe, § 153 Rn. 6b). Das über das Klagevorbringen hinausgehende Berufungsvorbringen ist im Tatbestand zu dokumentieren. Gleichermaßen muss das Ergebnis einer vom LSG durchgeführten Beweisaufnahme mitgeteilt werden (Keller, SGG, § 136 Rn. 6; LSG NRW, Urteil v. 20.2.2002, L 10 SB 141/01; Urteil v. 20.2.2002, L 10 V 41/01; Urteil v. 23.1.2002, L 10 SB 142/01, juris; Urteil v. 5.9.2001, L 10 SB 70/01; Urteil v. 23.1.2002, L 10 SB 145/01). Eine Teilbezugnahme ist möglich. Die in Bezug genommenen Teile sind dann genau zu bezeichnen. Hat das SG bereits nach § 136 Abs. 3 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen, hindert dies das LSG nicht, nach § 153 Abs. 2 zu verfahren. Da § 136 Abs. 3 SGG über § 153 Abs. 1 auch im Berufungsverfahren anwendbar ist, gesteht § 153 Abs. 2 dem LSG – zusätzlich zu den Inbezugnahmemöglichkeiten des SG – auch die Verweisung auf Ausführungen im SG-Urteil zu (BSG, Beschluss v. 20.1.2000, B 7 AL 116/99 B, SozR 3-1500 § 153 Nr. 10). Allerdings wird diese "doppelte Bezugnahme" selten zweckmäßig und allenfalls in Fällen einer offenkundig aussichtslosen Berufung eines querulatorischen Klägers angemessen sein. Die Bezugnahmebefugnis findet ihre äußere Grenze darin, dass das Urteil nicht unverständlich werden darf. Die Vorschrift erlaubt es nicht, von der nach § 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG notwendigen Darstellung der Entscheidungsgründe ganz abzusehen (Wagner, in: Hennig, SGG, § 153 Rn. 37). Dies folgt schon aus dem insoweit unmissverständlichen Wortlaut; danach ist das LSG nur befugt, von einer "weiteren" Darstellung der Entscheidungsgründe abzusehen, nicht jedoch hierauf ganz zu verzichten. Das LSG muss in jedem Fall die Gesichtspunkte wiedergeben, die für seine Überzeugungsbildung maßgebend waren (Wagner, in: Hennig, SGG, § 152 Rn. 36; Fichte, SGb 1994 S. 264).

 

Rz. 9

Entscheidungsgründe fehlen, wenn und soweit in der Urteilsbegründung selbst oder durch Bezugnahme gemäß § 153 Abs. 2 nicht mindestens die Überlegungen zusammengefasst worden sind, auf denen die Entscheidung über jeden einzelnen für den Urteilsausspruch rechtserheblichen Streitpunkt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beruht (BSG, Urteil v. 29.3.2007, B 9a SB 4/06 R, USK2007-128). Ungeachtet der Bezugnahme müssen die Entscheidungsgründe erkennen lassen, welche Überlegungen für die richterliche Überzeugungsbildung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht maßgeblich gewesen sind (BSG, Urteil v. 11.3.1998, B 9 SB 6/97 R). Nachdrücklich hierzu BSG, Urteil v. 19.6.1997, 13 RJ 1/97: "Es kann nicht dem Sinn und Zweck der in § 153 Abs. 2 vorgesehenen Möglichkeit einer Verweisung auf die Begründung der Entscheidung erster Instanz entsprechen, dass der Leser regelrecht gezwungen wird, aus den insgesamt nicht passenden Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils einzelne – möglicherweise aus ihrem Zusammenhang zu reißende – Sätze herauszusuchen, die geeignet sein könnten, im Berufungsurteil als tragfähige Begründungselemente zu dienen".

Neuen Tatsachen und Beweismitteln muss das LSG mit eigenen Erwägungen begegnen (vgl. BSG, Urteil v. 10.9.1997, 9 RV 8/96). Nach Beweisaufnahme muss das LSG eine eigenständige Beweiswürdigung durchführen. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist zu besorgen, wenn das LSG auf neues und rechtserhebliches Vorbringen nicht mit einer – ggf. knappen – Begründung eingeht, sich vielmehr ausschließlich auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung bezieht (BGH, Beschluss v. 20.7.1979, 7 CB 21/79, NJW 1980 S. 953, 954). Das LSG ist allerdings nicht verpflichtet, einen rechtswissenschaftlichen Streitstand in den Ur...

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