Rz. 6

Ist die Klage weder auf eine Geld- noch auf eine Sachleistung gerichtet, greift kein Berufungsausschluss. Demgemäß sind Eintragungen in Ärzteverzeichnisse, Disziplinarsachen (vgl. BSG, Urteil v. 11.9.2002, B 6 KA 36/01 R, MedR 2003 S. 357 = Breithaupt 2003 S. 489), Zulassungs- und Ermächtigungsstreitigkeiten, Versagungen von Arbeitserlaubnissen, der Streit um die Anerkennung von Unfall- oder Schädigungsfolgen oder Streitigkeiten nach dem SGB IX uneingeschränkt berufungsfähig (weitere Beispiel bei Zeihe, SGG, § 144 Rn. 8e).

 

Rz. 6a

Vertragsärztliche Disziplinarmaßnahmen bilden oftmals die Vorstufe vor einer Zulassungsentziehung. Ihnen kommt eine andere Qualität zu als den im Sozialrecht ansonsten verhängten Geldbußen wegen begangener Ordnungswidrigkeiten (vgl. z. B. § 111 SGB IV, § 307 SGB V, § 320 SGB VI, §§ 209 ff. SGB VII). Ein Disziplinarbescheid im Vertragsarztrecht, mit dem eine Geldbuße auferlegt wird, ist nicht lediglich auf die Festsetzung einer Geldleistung gerichtet. In erster Linie hat er zum Ziel, eine schwerwiegende Verletzung vertragsärztlicher Pflichten zu missbilligen. Er ist damit auf die Aufrechterhaltung des Systems der vertragsärztlichen Versorgung gerichtet, das der Erfüllung der Leistungsansprüche der Versicherten dient. Eine disziplinarrechtliche Geldbuße wird mithin von der Regelung des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, die nach ihrem Sinngehalt bloße vermögensrechtliche Streitigkeiten mit Bagatellcharakter von der generellen Berufungsfähigkeit ausnehmen soll, nicht erfasst (BSG, Urteil v. 11.9.2002, B 6 KA 36/01 R, SozR 3-2500 § 81 Nr. 8). Eine "einmalige Leistung" für Zwangs- und Ordnungsstrafen verneinen: BSG, Urteil v. 28.12.1955, 1 RA 71/55, SozR Nr. 3 zu § 144 SGG, und LSG NRW, Urteil v. 24.9.1958, LS 14 U 17/56, SGb 1960 S. 115, 116. Eine (auch) gegen die Minderung der Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld bei Sperrzeit nach § 128 Abs. 1 Nr. 3 SGB III gerichtete Klage betrifft keine Geld-, Sach- oder Dienstleistung i. S. d. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 weshalb die Berufung ohne Beschränkung zulässig ist (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 8.9.2011, L 1 AL 131/10).

 

Rz. 6b

Fraglich ist, wie hinsichtlich derUntätigkeitsklage (§ 88 SGG) zu verfahren ist. Teils wird die Auffassung vertreten, dass die Wertgrenze des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 nicht für Untätigkeitsklagen gelte, weil mit diesen nur der Erlass eines beantragten, aber bisher nicht ergangenen Verwaltungsakts oder die Bescheidung eines Widerspruchs begehrt werden könne; eine Untätigkeitsklage sei demnach nicht auf eine Geld- oder Sachleistung gerichtet (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 8.11.2007, L 15 B 174/07 SO NZB; Beschluss v. 15.9.2009, L 5 AS 925/09 NZB; LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 18.11.2010, L 7 SO 2708/10); der Erlass eines Widerspruchsbescheides sei auch keine Dienstleistung i. S. d. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 (so LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 18.11.2010, L 7 SO 2708/10; vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 8.11.2007, L 15 B 174/07 SO NZB; Leitherer, SGG, § 144 Rn. 9b). Demgegenüber wird die Auffassung vertreten, für die Anwendung des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 komme es nicht auf die Klageart, sondern das sachliche Ziel des Klagebegehrens an; entsprechend gelte die Wertgrenze auch für eine Untätigkeitsklage, denn mit ihr werde zwar nicht direkt eine Leistung verlangt, aber die Klage ziele auf Erlass eines auf Geldleistung gerichteten Verwaltungsakts (so LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 5.9.2008, L 1 KR 13/08 NZB). Gleiches gelte für eine hilfsweise erhobene Feststellungsklage, sofern diese der Sache nach auch die Leistung betrifft (so LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 29.4.2010, L 12 AL 5449/09, NZS 2011 S. 77, 78; vgl. auch Peters/Sautter/Wolff, SGG, 10/2010, § 144 Rn. 35). Das überzeugt. Erstgenannte Auffassung übersieht, dass der Wortlaut des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 zwei Alternativen enthält, zum einen Klagen, "die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung" betreffen (1. Alt), zum anderen Klagen, die "einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt" betreffen (2. Alt). Von der Berufungsbeschränkung des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 12. Alt werden daher auch Untätigkeitsklagen erfasst, denn diese sind entweder auf die Vornahme eines beantragten, aber ohne zureichenden Grund innerhalb von sechs Monaten nicht erlassenen Verwaltungsakts gerichtet (§ 88 Abs. 1 SGG), oder sie haben den Erlass eines Widerspruchsbescheides zum Gegenstand, wenn ohne zureichenden Grund innerhalb von drei Monaten über einen Widerspruch nicht entschieden worden ist (§ 88 Abs. 2 SGG). Betreffen die zu erlassenden Verwaltungsakte Geld-, Dienst- oder Sachleistungen, die einen Wert von 750 Euro nicht übersteigen, unterliegt auch die Untätigkeitsklage der Berufungsbeschränkung. Diese Auslegung wird auch vom Sinn und Zweck der durch das Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege v. 11.1.1993 (BGBl. I S. 50) eingeführten Regelung gestützt. Danach sollen die Berufungsgerichte von vermögensrechtlichen Streitsachen von geringem Wert (sog. Bagatellfäll...

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