3.2.2.1 "Stuhlurteil"

 

Rz. 21

Aus der von § 313a Abs. 2 Satz 1 ZPO übernommenen Formulierung der Vorschrift ergibt sich zunächst, dass ein Urteil nach Abs. 4 nur dann in Betracht kommt, wenn das Gericht sein Urteil noch in demselben Termin verkündet hat, in dem es die mündliche Verhandlung geschlossen hat (sog. "Stuhlurteil" i. S. d. § 310 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 ZPO). Erfasst werden auch Fälle der "Verkündung der Entscheidung am Schluss der Sitzung" (vgl. z. B. Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Albers, § 313a Rn. 13).

3.2.2.2 Rechtsmittelverzicht

 

Rz. 22

Der Verzicht auf Rechtsmittel ist eine auslegungsfähige Prozesshandlung, die nicht widerrufbar und bedingungsfeindlich ist. Innerprozessuale Bedingungen, z. B. Verzicht für den Fall des Obsiegens, werden im Rahmen des § 313a Abs. 2 ZPO aber zugelassen (vgl. z. B. Saenger, in: Hk-ZPO, § 313a Rn. 8). Ein Schriftformerfordernis besteht nicht. Wenn der Rechtsmittelverzicht in der mündlichen Verhandlung erklärt wird, ist er zu Protokoll zu nehmen. Für die Auslegung einer Erklärung als Rechtsmittelverzicht ist Zurückhaltung geboten. Hier gelten wegen der Unwiderruflichkeit und Unanfechtbarkeit einer solchen Erklärung strenge Anforderungen (vgl. BGH, Urteil v. 28.3.1989, VI ZR 246/88, a. a. O.; BGH, Beschluss v. 7.11.1989, VI ZB 25/89, a. a. O.; BGH, NJW 1994 S. 942; BGH, NJW 1974 S. 1248, 1249). Zwar ist nicht erforderlich, dass ausdrücklich von einem Verzicht die Rede ist. Jedoch ist unabhängig von der Wortwahl ein Rechtsmittelverzicht nur dann anzunehmen, wenn in der Erklärung klar und eindeutig der Wille zum Ausdruck gebracht wird, die Entscheidung endgültig hinzunehmen und nicht anfechten zu wollen (vgl. BGH, Beschluss v. 5.9.2006, VI ZR 65/05; BGH, Urteil v. 12.3.2002, VI ZR 379/01, VersR 2002 S. 1125; BGH, VersR 1989 S. 602 f.; BGH, NJW 1985 S. 2335).

Abs. 4 verlangt, dass "Kläger, Beklagter und sonstige rechtsmittelberechtigte Beteiligte" auf Rechtsmittel verzichten. Durch die kumulative Nennung der Beteiligten allein wird noch nicht klar, ob alle Beteiligten verzichten müssen oder ob der Verzicht des durch das Urteil Beschwerten genügt. Nicht eindeutig ist insoweit die Bedeutung der Rechtsmittelberechtigung in Abs. 4. Die Formulierung "sonstige rechtsmittelberechtigte Beteiligte" (nicht: "rechtsmittelberechtigte sonstige Beteiligte") legt zunächst nahe, dass es bei jedem Beteiligten (nach § 69 sind das Kläger, Beklagter und Beigeladener und ggf. deren Rechtsnachfolger), also nicht nur den "sonstigen Beteiligten", sondern auch bei Kläger und Beklagtem über den Beteiligtenstatus zusätzlich auf die Rechtsmittelberechtigung ankommen soll. Damit könnte die Frage der konkreten Beschwer durch das Urteil angesprochen sein. Das wiederum würde bedeuten, dass nur der Verzicht des oder der durch das Urteil beschwerten Beteiligten erforderlich wäre. Das würde der Situation im Zivilprozess entsprechen. Dort genügt es nach der ausdrücklichen Regelung des § 313a Abs. 2 Satz 2 ZPO, wenn das Urteil nur für eine Partei anfechtbar ist, wenn diese verzichtet. Damit schwer vereinbar wäre aber die kumulative Nennung der Beteiligten in § 136 Abs. 4. Vor allem aber sollte daraus, dass eine § 313a Abs. 2 Satz 2 ZPO entsprechende Regelung nicht in § 136 Abs. 4 übernommen worden ist, zu schließen sein, dass es im Rahmen des § 136 Abs. 4 nicht ausreicht, wenn nur der durch das Urteil beschwerte Beteiligte verzichtet. In jedem Falle müssen daher Kläger und Beklagter verzichtet haben (a. A. hinsichtlich des voll obsiegenden Klägers Wolff-Dellen, in: Breitkreuz/Fichte, § 136 Rn. 24 unter Hinweis auf LAG Köln, Urteil v. 8.4.2005, 4 Sa 828/04, NZA 2006 S. 878. Anders als § 69 Abs. 4 Satz 2 2. HS ArbGG, auf den sich das LAG gestützt hat, verweist jedoch § 136 Abs. 4 SGG nicht auf § 313a Abs. 2 ZPO, dessen Satz 2 lautet: "Ist das Urteil nur für eine Partei anfechtbar, so genügt es, wenn diese verzichtet"). Offen wäre dann noch, ob der Verzicht eines Beigeladenen nur dann erforderlich ist, wenn er wegen eigener Beschwer berechtigt wäre, gegen das Urteil Rechtsmittel einzulegen, oder stets. In letzterem Falle wäre wohl nur der Verzicht eines zu Unrecht Beigeladenen entbehrlich. Für das Erfordernis eines allseitigen Verzichts spricht, dass ein Urteil ohne Tabestand und Entscheidungsgründe auch für die obsiegende Partei und einen nicht verurteilten Beigeladenen Probleme bei der Bestimmung der Reichweite der materiellen Rechtskraft mit sich bringen kann. Auch die Begründung des Gesetzentwurfs erkennt dieses Problem und sieht es (ohne die Frage der Beschwer anzusprechen) durch das Erfordernis einer Zustimmung auch des Beigeladenen gelöst, (vgl. dazu BT-Drs. 16/ 7716 S. 26 zu Nr. 23). Einen "einstimmigen Verzicht" hält auch Tabarra (NZS 2008 S. 8) für erforderlich.

Ist also nicht auf die konkrete Beschwer abzustellen (wie hier auch Burkiczak, ZFSH/SGB 2008,323), ist ein "Verzicht" auch dort möglich, wo (gegen Urteile des BSG) ein Rechtsmittel gesetzlich nicht vorgesehen ist oder die Beschwer für die Berufung nicht die erforderliche Höhe hätte. Der gegenüber de...

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