Rz. 34

Ermessensentscheidungen

Geht es um einen Anspruch auf einen Verwaltungsakt, dessen Erlass im Ermessen der Behörde steht, prüft das Gericht, ob der angefochtene ablehnende Verwaltungsakt oder die Ablehnung des Verwaltungsakts aus formellen Gründen oder wegen eines Ermessensfehlers rechtswidrig ist. Es darf aber nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens der Behörde setzen (vgl. BSGE 5 S. 87, 89) und deshalb nicht zur Erteilung eines bestimmten Verwaltungsakts, sondern nur zur Bescheidung verurteilen (zum Streitgegenstand bei der Bescheidungsklage siehe Rn. 19). Eine Ausnahme ist lediglich im Falle einer Ermessenreduzierung auf Null gegeben, wenn also bei Ausübung sachgemäßen Ermessens nur eine einzige Verwaltungsentscheidung möglich und jede andere rechtswidrig wäre. Wenn es ein Bescheidungsurteil fällt, muss das Gericht festgestellt haben, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung der Behörde vorliegen; insoweit stellt es Spruchreife her (vgl. BVerwG, Beschluss v. 23.10.2003, 1 B 80/03, Buchholz 310 § 113 Abs. 5 VwGO Nr. 5; BVerwG, NVwZ 1994 S. 266; BVerwGE 107 S. 128;). Modifiziert ist dieser Grundsatz allerdings durch § 131 Abs. 5 i. d. F. des SGGArbGGÄndG (vgl. dazu unten Rn. 41 ff).

 

Rz. 35

Beurteilungsspielraum

In verschiedenen Fällen räumt auch das Sozialrecht der Verwaltung einen Beurteilungsspielraum ein. Die Kontrolle der Gerichte beschränkt sich dann darauf, ob das Verwaltungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden ist, ob der Verwaltungsentscheidung ein richtiger und vollständig ermittelter Sachverhalt zugrunde liegt, ob die Verwaltung die durch die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs ermittelten Grenzen eingehalten und ob sie ihre Subsumtionserwägungen so verdeutlicht und begründet hat, dass im Rahmen des Möglichen die zu treffende Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe erkennbar und nachvollziehbar ist (BSG, Urteil v. 1.10.1990, 6 RKa 32/89, USK 90102; BSGE 71 S. 90, 96). Insoweit muss das Gericht auch Spruchreife herstellen (vgl. BVerwGE 77 S. 75, 77). Beurteilungsspielraum besteht etwa bei den Fragen der Bedarfsermittlung und der Gewährleistung einer ausreichenden ärztlichen Versorgung oder der Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise (vgl. BSG, SozR 3-2500 § 116 Nr. 10; BSGE 71 S. 90, 96). Auch bei der Entscheidung, ob die individuelle Förderung der Teilnahme an Berufsbildungsveranstaltungen unter Berücksichtigung der Lage und der Entwicklung des Arbeitsmarktes sowie der beruflichen Neigung des Antragstellers zweckmäßig erscheint, steht der BA ein Beurteilungsspielraum zu. Die gerichtliche Nachprüfung beschränkt sich dann darauf, ob die BA die tatsächlichen Verhältnisse zutreffend und vollständig ermittelt hat, ob ihre Beurteilungsmaßstäbe mit dem Gesetz vereinbar sind und ob sie diese Maßstäbe richtig eingehalten hat (LSG Celle, Breithaupt 1972 S. 867).

 

Rz. 36

Fehlende Spruchreife bei gebundenen Entscheidungen

Nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung darf das Tatsachengericht in Ausnahmefällen, etwa bei komplexen technischen Sachverhalten, davon absehen, die Sache spruchreif zu machen (vgl. die Rechtsprechungsbeispiele bei Schmidt, in: Eyermann, § 113 Rn. 39, 40 und Redeker/von Oertzen, § 113 Rn. 39). Die Möglichkeit, entsprechend zu verfahren (entsprechende Anwendung des Abs. 3), wurde teilweise auch in der sozialgerichtlichen Literatur gesehen, wenn die Herstellung der Entscheidungsreife nicht verfahrenswirtschaftlich ist bzw. das Gericht andernfalls der Verwaltung unangemessen vorgreifen würde oder wenn noch weitere Ermittlungen oder Berechnungen notwendig sind, die zweckmäßiger durch die besser dafür gerüstete Verwaltung auszuführen sind, insbesondere wenn die Gefahr besteht, dass sonst das Verfahren unangemessen verzögert wird oder Unstimmigkeiten entstehen. Nach der Einfügung des Abs. 5 durch Art. 8 Nr. 1 des 1. Justizmodernisierungsgesetzes v. 24.8.2004 (BGBl. I S. 2198) mit Wirkung vom 1.9.2004, (zunächst nur für die reine Anfechtungsklage, vgl. BSG, Urteil v. 17.4.2007, B 5 RJ 30/05 R, mit Anm. Humpert, in: SGb 2008 S. 250), vor allem aber durch die ausdrückliche Erweiterung des Anwendungsbereichs des Abs. 5 durch Art. 1 Nr. 22b SGGArbGGÄndG v. 26.3.2008 (BGBl. I S. 444) ist das deshalb zweifelhaft geworden, weil hierin eine abschließende Regelung erblickt werden könnte, die andere Ausnahmen von der Pflicht zur Herstellung von Spruchreife ausschließt (so ausdrücklich Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 131 Rn. 12c; Hauck, in: Hennig, § 131 Rn. 114; vgl. auch Wolff-Dellen, in: Breitkreuz/Fichte, § 131 Rn. 13; zu § 113 VwGO s. auch Wolff, in: Sodan/Ziekow, § 113 Rn. 431; vgl. im Übrigen auch BSG, Urteil v. 17.5.2007, B 5 RJ 30/05 R, SGb 2008 S. 250). Danach wäre im Bereich der gebundenen Verwaltung jedenfalls in der Situation der Verpflichtungsklage außerhalb des Abs. 5 das Herstellen von Spruchreife erforderlich und ein Bescheidungsurteil ausgeschlossen, wenn man nicht die Reichweite der Sonderregelung des Abs. 5 auf die rein...

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