Rz. 30

Die Verpflichtungsklage zielt auf die Verurteilung zum Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (§ 54 Abs. 1 Satz 1; vgl. auch §§ 42 Abs. 1, 113 Abs. 5 VwGO). Es handelt sich um eine Leistungsklage besonderer Art (vgl. BSGE 5 S. 60, 63; vgl. auch Rn. 6 zu § 125). Weil die Verpflichtungsklage stets voraussetzt, dass der Erlass eines Verwaltungsakts erforderlich ist, kommt sie wegen § 54 Abs. 4 nicht in Betracht, wenn der Kläger Rechtsanspruch auf die Leistung hat, wie es vor allem bei Ansprüchen auf Renten oder auf Arbeitslosengeld der Fall ist. Der Kläger muss dann die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4) erheben. Die isolierte Verpflichtungsklage ist deshalb im Sozialrecht relativ selten. Raum für sie ist insbesondere dort, wo es um Ermessensleistungen geht. Die Verpflichtungsklage ist nach der Rechtsprechung des BSG im Falle der Klage auf Vormerkung von rentenrechtlichen Zeiten (BSG, SozR 3-2600 § 58 Nr. 2), der Klage auf Nachentrichtung von Beiträgen (vgl. BSG, SozR 2200 § 1418 RVO Nr. 2; SozR 3-2200 § 1232 Nr. 2) und bei der Klage auf Feststellung des Grades der Behinderung (vgl. Rn. 6 ff. zu § 54) richtige Klageart. Für den Fall der Ablehnung eines Antrags nach § 44 SGB X (früher sog. Zugunstenantrag) ist streitig, ob es neben der Anfechtungs- und Leistungs- oder Feststellungsklage einer zusätzlichen Verpflichtungsklage bedarf, mit der die Beklagte verpflichtet werden soll, ihren früheren, dem Anspruch entgegenstehenden Bescheid selbst aufzuheben. Die h. M. bejaht dies (vgl. BSG, Urteil v. 9.6.2011, B 8 AY 1/10 R; BSG, Urteil v. 18.5.2010, B 7 AL 47/08 R; Urteil v. 5.5.2010, B 12 KR 15/09 R; Urteil v. 29.9.2009, B 8 SO 16/08 R; BSG, Urteil v. 24.7.2003, B 4 RA 62/02 R, ZfS 2003 S. 296; BSG, Urteil v. 10.4.2003, B 4 RA 56/02, SozR 4-1300 § 44 Nr. 3; BSG, Urteil v. 5.11.1997, 9 RV 4/96, SozR 3-3100 § 30 Nr. 18; BSG, Urteil v. 28.6.1995, 7 RAr 20/94, BSGE 76 S. 156; BSG, Urteil v. 25.1.1994, 4 RA 20/92, SozR 3-1300 § 44 Nr. 8; BSG, Urteil v. 19.9.1979, 9 RV 68/78, SozR 1200 § 44 Nr. 1; BSG, Urteil v. 18.2.1965, 1 RA 90/61 = BSGE 20 S. 199; Steinwedel, in: Kasseler Kommentar § 44, Rn. 16; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 54 Rn. 20c). Demgegenüber bedarf es nach Auffassung des 2. Senats des BSG (Urteil v. 5.9.2006, B 2 U 24/05 R; LSG BW, Urteil v. 10.3.2008, L 1 U 2511/07; ebenso Krasney/Udsching, Kap. IV Rn. 76; Ulmer, in: Hennig, § 54 Rn. 106) keiner zusätzlichen Verpflichtungsklage. Die Auffassung, dass ein Verwaltungsakt nach Eintritt der Bindungswirkung nicht mehr vor Gericht angefochten, sondern nur noch im Zugunstenverfahren zurückgenommen werden könne und dass hierüber nach § 44 Abs. 3 SGB X die zuständige Verwaltungsbehörde entscheide, rechtfertige nicht den Schluss, dass auch im Prozess über die Ablehnung des Zugunstenantrags die Rücknahmeentscheidung nicht vom Gericht ersetzt werden könne. Wäre es anders, käme eine mit dem Verpflichtungsantrag verbundene Leistungsklage – die auch von der Gegenmeinung für zulässig gehalten werde – aus systematischen Gründen nicht in Betracht. Denn die Verwaltungsbehörde könne nicht zur Leistung verurteilt werden, ehe der entgegenstehende bestandskräftige (Ausgangs-)Bescheid beseitigt ist und solange nur die Behörde verpflichtet ist, ihn zurückzunehmen. Richtigerweise könne deshalb mit der Anfechtungsklage gegen den eine Zugunstenentscheidung ablehnenden Bescheid zugleich die Aufhebung des früheren, dem Klageanspruch entgegenstehenden (Ausgangs-)Bescheids unmittelbar durch das Gericht verlangt werden. Diese Auffassung des 2. Senats des BSG scheint sich aber nicht durchzusetzen (s. die oben zitierte jüngere Rspr.).

 

Rz. 31

Hat die Beklagte über den Antrag nicht entschieden, stellt die Verpflichtungsklage eine Untätigkeitsklage (§ 88) dar. Hat die Behörde den Erlass des Verwaltungsakts abgelehnt (sog. Vornahme- bzw. Weigerungsklage), ist die Verpflichtungsklage mit dem Antrag auf Aufhebung der ablehnenden Entscheidung der Behörde verbunden, welcher keine selbständige Bedeutung hat (vgl. BSGE 8 S. 256, 258; Wenner/Terdenge/Martin, S. 102 Rn. 159) und die Klage nicht zu einer Verbindung von Anfechtungs- und Verpflichtungsklage macht (vgl. Schmidt, in: Eyermann, § 113 Rn. 33; vgl. auch Rn. 7 zu § 54). Teilweise wird in der Literatur der Antrag auf Aufhebung des Verwaltungsakts und der entsprechende Ausspruch des Gerichts für entbehrlich oder gar unzulässig gehalten. Die h. M. sieht jedoch die Aufhebung als zweckmäßig an (vgl. dazu die Darstellung bei Redeker/von Oertzen, § 113 Rn. 38 und bei Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 131 Rn. 13). Sie ist auch üblich. Zu der Frage der Aufhebung des Ablehnungsbescheids bei Verpflichtungsentscheidung ex tunc vgl. bei Kopp/Schenke, § 113 Rn. 179.

 

Rz. 32

Wegen Zulässigkeit und Begründetheit der Verpflichtungsklage sowie des dafür maßgeblichen Zeitpunkts vgl. Kommentierung zu § 54; wegen des Streitgegenstands der Verpflichtungsklage und der Rechtskraft der auf eine Ve...

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