Entscheidungsstichwort (Thema)

Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung. Mitgliedsbescheinigung. Erklärungsgehalt. bindender Verwaltungsakt

 

Orientierungssatz

1. Derjenige, der an die Krankenkasse wegen seiner Aufnahme als Mitglied herantritt und demgegenüber der Anschein erweckt wird, die Krankenkasse stehe als starker Partner an seiner Seite, darf regelmäßig davon ausgehen, auf der Grundlage der gemachten Angaben Mitglied werden zu können, wenn er eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufnimmt. Auch wenn die gesetzlichen Krankenversicherungen untereinander in Konkurrenz stehen, so kann dies keinen Einfluss auf den objektiv zu bestimmenden Erklärungsinhalt der "Mitgliedsbescheinigung" und eines darauf angepassten Begleitschreibens einer gesetzlichen Krankenversicherung haben (vgl LSG Essen vom 18.1.2007 - L 16 KR 227/06 für ein Begrüßungsschreiben). Das Bestreben der gesetzlichen Krankenversicherungen, neue Personen als Versicherte zu gewinnen, darf nicht dazu führen, dass der Umworbene im Unklaren über die Voraussetzungen seiner Mitgliedschaft gelassen wird.

2. Nach dem auslegungsbedürftigen Wortlaut und den Umständen ihrer Ausstellung und Aushändigung stellt die Mitgliedsbescheinigung nach § 175 Abs 2 SGB 5 einen Verwaltungsakt dar, mit dem die Krankenkasse aus Sicht eines durchschnittlichen Erklärungsempfängers in Kenntnis der Umstände des Einzelfalles bindend entschieden hat, dass der Empfänger als Pflichtmitglied aufgenommen wird, sobald die Meldung eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses durch einen Arbeitgeber erfolgt.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 27.06.2012; Aktenzeichen B 12 KR 11/10 R)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 24. April 2009 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch für die Berufungsinstanz zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin seit dem 09.07.2008 Mitglied der Beklagten ist.

Die Klägerin, geboren im Jahr 1947, war in der Zeit vom 18.10.1997 bis 02.01.1998 bei der Beklagten - im Rahmen einer Pflichtversicherung - krankenversichert. Nach dem 02.01.1998 war die Klägerin in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht krankenversichert und war seit dem 02.01.1998 über den Beihilfeanspruch ihres Ehemannes (er ist städtischer Beamter) sowie einer zusätzlichen eigenen privaten Krankenversicherung gegen das Kostenrisiko einer Erkrankung abgesichert. In der Zeit von April 1999 bis April/Mai 2004 war sie bei der Firma ER. geringfügig beschäftigt und anschließend als Hausfrau zu Hause.

Der Ehemann der Klägerin sprach am 02.01.2008 bei der Beklagten in deren Beratungscenter in A-Stadt vor. Dort führte er ein Gespräch mit der Zeugin UD. (Kundenberaterin der Beklagten).

Im Rahmen einer von ihm und der Zeugin unterschriebenen Erklärung zur Krankenversicherung sind für die Klägerin u.a. folgende Angaben aufgeführt:

- das Geburtsdatum der Klägerin (1947),

- ihr Wunsch ab dem 07.01.2007 Mitglied der Beklagten zu werden,

- seit 2004 bis heute privat krankenversichert (IR) und

- in den letzten 18 Monaten nicht gesetzlich krankenversichert gewesen zu sein.

Als Beschäftigungsverhältnis ist “Zimmerservice„ bei einer “Zeitarbeitsfirma/AA. Hotel„ angegeben.

Die Zeugin händigte dem Ehemann der Klägerin eine Mitgliedsbescheinigung aus, die folgenden Wortlaut hat:

“Zur Vorlage beim neuen Arbeitgeber oder der Arbeitsagentur

Mitgliedsbescheinigung

Frau A. …

RV-Nr. …

Geburtsdatum 1947

ist Mitglied der AOK Hessen gemäß § 175 SGB V seit 07.01.2007 …

Ausstellungsdatum 02.01.2008 …„.

Zusammen mit der Mitgliedsbescheinigung wurde dem Ehemann der Klägerin ein Begleitschreiben mit Datum von 02.01.2008 ausgehändigt. Dieses enthält den Hinweis: “Wichtiges Dokument für Ihren Krankenversicherungsschutz„ und folgenden weiteren Text: “Sehr geehrte Frau A., vielen Dank, dass Sie der AOK Hessen Ihr Vertrauen schenken. Damit haben Sie für Ihre Gesundheit einen starken Partner an Ihrer Seite. Das zeigt sich ganz besonders dann, wenn Sie ihre Arbeitsstelle wechseln oder neue Arbeit suchen. Es liegt uns besonders am Herzen, dass das Arbeitsamt Sie reibungslos bei der AOK Hessen anmelden kann - einfach, schnell und unkompliziert. Deshalb erhalten Sie von uns heute Ihre fertig ausgefüllte Mitgliedsbescheinigung. Denn wir möchten, dass Sie nicht mit “Schreibkram„ belastet sind und sich bei uns rundum wohl fühlen. Wenn Sie noch weitere Fragen haben, ...„ und den Zusatz “Hinweise zur Verwendung der Mitgliedsbescheinigung lesen Sie bitte auf der Rückseite!„

Die Klägerin kündigte mit Schreiben vom 03.01.2008 ihre private Kranken- und Pflegeversicherung bei der IR. Diese bestätigte die Kündigung mit Schreiben vom 14.01.2008 zum 06.01.2008.

In der Zeit vom 17.01. bis zum 07.07.2008 arbeitete die Klägerin bei der Firma CS. ebenfalls geringfügig.

Nach einem Aktenvermerk der Beklagten vom 24.04.2008 fragte die Klä...

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