Entscheidungsstichwort (Thema)

sozialgerichtliches Verfahren. Verfahrensmangel. Voraussetzungen für eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid. entscheidungserhebliche Tatsache. Bestimmung des Streitgegenstands. mündliche Verhandlung. ehrenamtliche Richter. Verletzung des rechtlichen Gehörs. Aufklärung des Sachverhalts. persönliches Erscheinen. Beurteilung der Fahrlässigkeit nach § 45 Abs 2 S 3 Nr 3

 

Leitsatz (amtlich)

1. Entscheidet ein SG durch Gerichtsbescheid nach § 105 SGG, obwohl die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen, hat es einen entscheidungserheblichen Verfahrensfehler begangen, der einen absoluten Revisionsgrund gemäß § 547 Nr 1 ZPO begründet.

2. Selbst wenn durch Gerichtsbescheid nach mündlicher Verhandlung entschieden werden darf, setzt das einen entsprechenden Beschluss der Kammer mit ehrenamtlichen Richtern voraus.

3. Grundsätzlich gebietet es die Verfahrensökonomie bei einer entscheidungserheblichen fehlerhaften Entscheidung durch Gerichtsbescheid, von einer Zurückverweisung nach § 159 Abs 1 Nr 2 SGG abzusehen.

4. Eine Zurückverweisung kann geboten sein, wenn das SG rechtsstaatliche Verfahrensgrundsätze grob missachtet hat; der Sachverhalt eine weiteren Aufklärung bedarf, die im erstinstanzlichen Verfahren nicht mehr Zeit beanspruchen sollte und im Berufungsverfahren eine zeitnahe Entscheidung möglich ist.

 

Orientierungssatz

Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art 103 Abs 1 S 1 GG iV mit § 62 SGG liegt vor, wenn das SG gegenüber der Klägerin nicht offen gelegt hat, dass nach seiner Auffassung die Aufklärung des Sachverhaltes von einem Erscheinen im Verhandlungstermin erforderlich gewesen ist. Dies ist dann erforderlich, wenn das SG sich einen persönlichen Eindruck von der Kenntnis- und Beurteilungsfähigkeit der Klägerin verschaffen muss, um den subjektiven Verschuldensmaßstab bei der Beurteilung der Fahrlässigkeit iS von § 45 Abs 2 S 3 Nr 3 SGB 10 zu Grunde legen zu können.

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 25. Februar 2010 aufgehoben. Die Sache wird an das Sozialgericht Frankfurt am Main zurückverwiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte zu Recht die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe aufgehoben und Erstattungsbeträge festgesetzt hat.

Nach einer Zwischenbeschäftigung der Klägerin bewilligte die Beklagte ihr mit Bescheid vom 2. August 2001 ab dem 23. Juli 2001 für längstens 246 Tage Arbeitslosengeld nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt in Höhe von 860,00 DM mit einem wöchentlichen Leistungssatz in Höhe von 368,69 DM weiter. Mit Änderungsbescheiden vom 5. November 2001 und 27. November 2001 änderte die Beklagte die Bewilligung wegen Nebeneinkommens aus einer kurzzeitigen Beschäftigung für den Zeitraum vom 1. Oktober 2001 bis 31. Dezember 2001 ab. Mit Änderungsbescheid vom 2. Januar 2002 bewilligte die Beklagte der Klägerin ab dem 1. Januar 2002 Arbeitslosengeld nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt in Höhe von 440,00 € mit einem wöchentlichen Leistungssatz in Höhe von 164,78 € unter Anrechnung von Nebeneinkommen in Höhe von 23,73 € wöchentlich. Hintergrund hierfür war die Umstellung von DM auf Euro-Beträge. Aufgrund der Dynamisierung zum 1. März 2002 erhöhte die Beklagte mit Änderungsbescheid vom 25. März 2002 ab dem 2. März 2002 das wöchentliche Bemessungsentgelt auf 445,00 € und bewilligte Arbeitslosengeld in Höhe eines wöchentlichen Leistungssatzes in Höhe von 166,39 € bis zur Anspruchserschöpfung zum 25. März 2002.

Mit Bescheid vom 28. März 2002 bewilligte die Beklagte der Klägerin ab dem 26. März 2002 Anschluss-Arbeitslosenhilfe (Alhi) bis längstens 25. März 2003 nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt in Höhe von 860,00 € (ohne Umrechnung des DM-Betrages in €) in Höhe eines wöchentlichen Leistungssatzes von 142,03 € ohne Anrechnung von Einkommen.

Am 13. Juni 2002 nahm die Klägerin eine befristete Beschäftigung bis zum 3. Juli 2002 auf und teilte das der Beklagten mit. Mit Bescheid unbekanntem Datums bewilligte die Beklagte der Klägerin ab dem 4. Juli 2002 Alhi in derselben Höhe wie zuvor weiter (Bescheid voraussichtlich im Juli 2002 erlassen).

Erst mit Prüfvermerk vom 3. Dezember 2002 stellte die Beklagte aktenkundig fest, dass bei der Umrechnung von DM auf € ein Fehler unterlaufen und deshalb zuviel Alhi gezahlt ist. Hierzu hörte die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 10. Dezember 2002 an. Die Klägerin antwortete darauf, in den ihr vorliegenden Bewilligungsbescheiden sei sehr wohl eine Umstellung von DM auf Euro-Beträge erfolgt. Sie habe als Laie nicht erkennen können, dass der Beklagten dabei ein Fehler unterlaufen sei. Mit Bescheid vom 14. Januar 2003 nahm die Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe für den Zeitraum vom 26. März 2002 bis 12. Juli 2002 und ab 4. Juli 2002 teilweise in Höhe von 97,72 € wöchentlich zurück. Zur Begründung führte sie aus, aufgrund eines Berechnungsfehlers seien...

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