Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Regelungsanordnung. Anordnungsanspruch. Asylbewerberleistung. Grundleistung. Gewährung höherer Geldleistungen. Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 3 Abs 2 AsylbLG. Vorlage ans BVerfG

 

Orientierungssatz

1. Den Gerichten ist es auch bei Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit des § 3 Abs 2 AsylbLG nicht gestattet, den zuständigen Leistungsträger allein auf Grundlage von Verfassungsrecht, hier also des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, zur Gewährung höherer Leistungen zu verpflichten.

2. Eine Vorlage an das BVerfG nach Art 100 Abs 1 GG kommt in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wegen der hier nur möglichen vorläufigen Klärung sowie der gebotenen zeitnahen Entscheidung nicht in Betracht.

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Fulda vom 5. Oktober 2011 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im Wege der einstweiligen Anordnung über die Höhe der Leistungen nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).

Die Antragsteller halten sich seit 2011 ohne Passpapiere in der Bundesrepublik Deutschland auf und sind nach § 60a Abs. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) geduldet. Am 28. Juni 2011 wurden sie durch das Regierungspräsidium Darmstadt gem. § 15a Abs. 4 AufenthG i. V. m. § 2 Abs. 2 und 3 des Hessischen Gesetzes über die Aufnahme ausländischer Flüchtlinge und anderer Personen dem Beklagten zugewiesen. Sie leben seither in der Gemeinschaftsunterkunft, A-Straße in A-Stadt. Der Beklagte bewilligte ihnen Leistungen nach §§ 3 ff AsylbLG einschließlich Hausrats-Beihilfe (182 €).

Mit Bescheid vom 9. August 2011 setzte der Beklagte die Leistungen mit Wirkung ab 1. September 2011 auf insgesamt 815,49 € monatlich fest. Mit Bescheid vom 18. August 2011 leistete der Beklagte Einschulungsbeihilfe i. H. v. 276 € und setzte im Weiteren mit Änderungsbescheid vom 18. August 2011 die laufenden Leistungen ab 1. September 2011 auf insgesamt 815,49 € monatlich fest.

Gegen den Bescheid vom 9. August 2011 legten die Antragsteller am 18. August 2011 Widerspruch ein und begehrten Leistungen mindestens in Höhe der Regelsätze des SGB II. Die Bedarfssätze nach dem AsylbLG seien seit dem 1. Januar 1993 unverändert, während sowohl die Lebensunterhaltskosten als auch die Regelsätze nach dem SGB II und dem SGB XII gestiegen seien. Im Bereich der sozialstaatlichen Existenzsicherung sei es von Verfassungs wegen erforderlich, dass die Bedarfsermittlung und die Festsetzung der Leistungshöhe auf einem transparenten, empirisch belegten und in sich schlüssigen Verfahren beruhe. Die Festsetzung der Leistungen im Jahr 1993 beruhe demgegenüber nicht auf Ermittlungen zu den tatsächlichen Bedarfen der Asylbewerber und der sonstigen anspruchsberechtigten Ausländer. Folge der zwischenzeitlich erfolgten Kostensteigerung sei, dass das Existenzminimum nicht mehr abgesichert sei. Mangels anderer Maßstäbe seien die Sätze des SGB II und SGB XII festzulegen. Es sei nicht festzustellen, dass unter das AsylbLG fallende Personen für ein menschenwürdiges Existenzminimum weniger benötigten als andere Hilfsbedürftige. Insbesondere sei ein Verzicht auf Leistungen zur Teilhabe am kulturellen und sozialen Leben nicht zumutbar. Die Gewährung höherer Leistungen könne nach § 6 AsylbLG erfolgen, es bestehe ein besonders dringlicher Bedarf.

Am 23. August 2011 haben die Antragsteller mit gleicher Begründung beim Sozialgericht Fulda den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Die einstweilige Anordnung sei zur Abwendung wesentlicher Nachteile erforderlich, da die Leistungen nach dem AsylbLG offensichtlich verfassungswidrig seien. Ihnen könne nicht zugemutet werden, auf eine Gesetzesänderung zu warten. Der Antragsgegner hat ausgeführt, es bestehe weder ein Anordnungsgrund noch ein Anordnungsanspruch. Es sei nicht ersichtlich und auch nicht substantiiert vorgetragen, dass durch die aktuell gewährten Leistungen das Existenzminimum der Antragsteller evident nicht gesichert wäre. Aus verfassungsrechtlichen Gründen scheide eine fachgerichtliche Erhöhung der Grundleistungen nach § 3 AsylbLG aus.

Mit Beschluss vom 5. Oktober 2011 hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Antragsteller hätten schon einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Die Höhe des menschenwürdigen Existenzminimums bedürfe der Konkretisierung und der stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der die zu erbringenden Leistungen an den jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten habe. Dabei stehe dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zu, der auch vom Bundesverfassungsgericht nur zurückhaltend kontrolliert werden könne (Hinweis auf: B...

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