Entscheidungsstichwort (Thema)

Zumutbarkeit für Asylbewerber, das Hauptsacheverfahren bezüglich der Höhe ihrer Leistungsansprüche abzuwarten. Umfang der Amtsermittlungsplicht im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes über die Höhe der Leistungsansprüche von Asylbewerbern. Einstweilige Anordnung für zurückliegende Leistungen. Asylbewerberleistung. Sozialhilfe nach längerer Aufenthaltsdauer. rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer. Unzumutbarkeit der Ausreise. einstweiliger Rechtsschutz

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands dürfen grundsätzlich nur für die Zeit ab Eingang des Eilantrags bei Gericht ergehen.

2. Asylbewerber verlängern ihren Aufenthalt in Deutschland nur dann rechtsmissbräuchlich, wenn sie sich nicht um zur Ausreise berechtigende Ausweispapiere bemühen und ihnen die Ausreise auch zumutbar ist.

3. Ermittlungen, ob eine rechtsmissbräuchliche Verlängerung des Aufenthalts in Deutschland vorliegt, können grundsätzlich nicht im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erfolgen.

4. Ausreisepflichtigen Asylbewerbern ist bezüglich der Höhe ihrer Leistungsansprüche ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens zumindest dann zumutbar, wenn das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 2 Abs. 1 AsylbLG zweifelhaft ist, sodass von einem offenen Ausgang des Hauptsacheverfahrens ausgegangen werden muss.

 

Orientierungssatz

1. Für eine rechtsmißbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer i.S. des § 2 Abs. 1 AsylbLG in der seit dem 01.01.2005 geltenden Fassung ist neben der tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeit auszureisen auch erforderlich, dass die Ausreise zumutbar ist (vgl. BSG, Urteil vom 8. Februar 2007 - B 9b AY 1/06 R).

2. Ein Bleibegrund und damit die Unzumutbarkeit der Ausreise kann sich zB auch aus der besonderen Situation von Ausländern ergeben, denen sich Ausreisemöglichkeiten erst nach jahrelangem Aufenthalt in Deutschland eröffnen. Haben sie sich während dieser langen Zeit derart in die deutsche Gesellschaft und die hiesigen Lebensverhältnisse integriert, dass ihre Ausreise in das Herkunftsland etwa einer Auswanderung nahe käme, so mag zwar das Aufenthaltsrecht darauf keine Rücksicht nehmen, falls es gelingt, diese Ausländer eines Tages doch noch abzuschieben. Bis dahin wird dem Ausländer seine Nichtausreise leistungsrechtlich aber nicht vorwerfbar und der weitere - geduldete - Aufenthalt in Deutschland deshalb nicht rechtsmissbräuchlich sein (vgl. BSG, Urteil vom 8. Februar 2007 - B 9b AY 1/06 R).

3. Bereits durch Leistungen nach § 1a AsylbLG ist das soziokulturelle Existenzminimum bzw. ein menschenwürdiges Leben für den Leistungsberechtigten gesichert. Dies gilt damit erst recht für die höheren Leistungen nach § 3 AsylbLG. Ist jedoch das soziokulturelle Existenzminimum durch diese Leistungen gesichert, so ist eine Eilbedürftigkeit im Hinblick auf die Erlangung der noch höheren Analogleistungen nach den Vorschriften des SGB XII nicht begründbar (so auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21. Dezember 2005 - L 20 (9) B 37/05 SO ER -; Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 28. Juni 2005 - L 11 B 212/05 AY ER).

 

Normenkette

AsylbLG § 2 Abs. 1 Fassung: 2003-12-27, § 3 Abs. 1 S. 4, § 1a; SGG § 86b Abs. 2 Sätze 2, 4; GG Art. 19 Abs. 4 S. 1; Richtlinie 2003/9/EG Art. 13 Abs. 5

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Fulda vom 10. Mai 2007 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

Die am 15.05.2007 bei dem Sozialgericht Fulda eingegangene Beschwerde der Antragsteller, der das Sozialgericht mit Entscheidung vom 21.05.2007 nicht abgeholfen hat, mit dem sinngemäßen Antrag,

den Beschluss des Sozialgerichts Fulda vom 10.05.2007 aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, den Antragstellern vorläufig höhere Leistungen gemäß § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) rückwirkend ab dem 01.08.2006 zu gewähren,

ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein Rechtsverhältnis gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist sowohl ein Anordnungsanspruch (d.h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines materiellen Leistungsanspruchs) als auch ein Anordnungsgrund (d.h. die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile), die glaubhaft zu machen sind (vgl. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Zivilprozessordnung - ZPO -). Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweggenommen werden. Wegen des Gebotes, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes - GG -)...

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