Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe: Vererblichkeit von Ansprüchen auf –. Vererblichkeit von Sozialhilfeansprüchen. Vererblichkeit in Fällen bedarfsdeckender Dritthilfe. keine Vererblichkeit in Fällen bedarfsdenkender Selbsthilfe

 

Leitsatz (amtlich)

1. Sozialhilfeansprüche sind nach Maßgabe der §§ 58, 59 SGB I vererblich, wenn der Hilfebedürftige zu Lebzeiten seinen Bedarf mit Hilfe eines im Vertrauen auf die spätere Bewilligung von Sozialhilfe vorleistenden Dritten gedeckt hat, weil der Träger der Sozialhilfe nicht rechtzeitig geholfen oder Hilfe abgelehnt hat.

2. Hat dagegen der Hilfesuchende den Bedarf aus eigenem Einkommen oder Vermögen gedeckt, zu deren Einsatz er sozialhilferechtlich nicht verpflichtet war, kommt ein Anspruchsübergang nicht in Betracht.

 

Normenkette

BSHG § 1 Abs. 2 S. 1, § 4 Abs. 1, §§ 5, 92c; SGB I §§ 37, 56, 58-59; GG Art. 14, 19 Abs. 4

 

Verfahrensgang

OVG für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein (Urteil vom 15.03.1990; Aktenzeichen 14 L 44/89)

VG Schleswig-Holstein (Entscheidung vom 26.11.1987; Aktenzeichen 10 A 129/86)

 

Tenor

Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein vom 15. März 1990 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.

 

Tatbestand

I.

Die Klägerin begehrt die Verpflichtung des Beklagten, ihr als Sozialhilfe für ihre Mutter für die Zeit vom 1. Januar 1983 bis zu ihrem Tod am 11. Oktober 1985 23275,41 DM nebst 4 % Zinsen ab Stellung des Antrages bei der vom Beklagten beauftragten Stadt E. zu zahlen.

Die Mutter der Klägerin bezog über mehrere Jahre bis zu ihrem Tod von dem Beklagten Pflegegeld gemäß § 69 Abs. 4 Satz 2 BSHG. Mit Bescheid vom 1. August 1985 übernahm die Stadt E. unter anteiliger Kürzung des Pflegegeldes die Kosten besonderer Pflegekräfte für die Zeit ab 1. August 1984 und gewährte eine Pauschale für pflegebegleitende Kosten. Die Übernahme weiterer Kosten für Fußpflege, Rezeptgebühren, Einkäufe und Raumpflege lehnte sie ebenso ab wie Leistungen für die Zeit vor dem 1. August 1984. Hiergegen legte die Mutter der Klägerin Widerspruch ein. Am 11. Oktober 1985 verstarb sie und wurde vom Vater der Klägerin beerbt. Der Widerspruch wurde mit Bescheid des Beklagten vom 30. Juni 1986, gerichtet an den Vater der Klägerin, zurückgewiesen.

Die hierauf erhobene Verpflichtungsklage des Vaters, die die Klägerin nach dessen Tod als Erbin im Berufungsverfahren fortgeführt hat, hatte im ersten und im zweiten Rechtszug keinen Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht hat die Zurückweisung der Berufung der Klägerin im wesentlichen wie folgt begründet:

Die geltend gemachten Ansprüche der Mutter der Klägerin seien nicht im Wege der Erbfolge auf den Vater der Klägerin und ebenfalls nicht auf die Klägerin selbst übergegangen. Seit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Mai 1979 (BVerwGE 58, 68) sei geklärt, daß in der Regel sozialhilferechtliche Ansprüche beim Tod des Hilfesuchenden nicht kraft Sonderrechtsnachfolge im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB I oder im Wege der Erbfolge auf einen Dritten übergehen könnten. Das Bedarfsdeckungsprinzip, das ein Strukturprinzip der Sozialhilfe sei, verbiete es in der Regel, Sozialhilfe für einen vergangenen Zeitraum zu bewilligen; denn eine Notlage, die in der Vergangenheit bestanden habe, lasse sich regelmäßig nicht durch Leistungen der Gegenwart überwinden. Von einer „Anspruchsvereitelung” könne im vorliegenden Fall keine Rede sein. Der Träger der Sozialhilfe und der Hilfesuchende hätten vielmehr um die richtige Auslegung des Rechts und die rechte Würdigung des Tatsachenstoffs gestritten. Dies vermöge an der Unvererblichkeit dieser höchstpersönlichen Ansprüche nichts zu ändern.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile und der entgegenstehenden Bescheidsregelungen die Verpflichtung des Beklagten begehrt, ihr 23.275,41 DM nebst 4 % Zinsen ab Stellung des Antrags bei der Stadt E. zu bewilligen. Sie rügt Verletzung von Art. 14, 19 Abs. 4 GG und § 58 SGB I.

Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Selbst wenn man aber zugunsten naher Angehöriger, die wegen der Versagung sozialhilferechtlicher Leistungen in Vorleistung getreten seien, einen Aufwendungsersatzanspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag anerkennen wolle, könne die Klage keinen Erfolg haben. Denn für einen solchen Anspruch seien im vorliegenden Fall die Voraussetzungen nicht erfüllt, da eine Rechtspflicht des Beklagten zur Erbringung der geltend gemachten Sozialhilfeleistungen nicht bestanden habe.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

Das Berufungsurteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Berufungsgericht hätte die Berufung der Klägerin nicht mit der Begründung zurückweisen dürfen, die von der Klägerin als Erbin ihres Vaters geltend gemachten Sozialhilfeansprüche ihrer verstorbenen Mutter hätten auf sie nicht übergehen können, weil das Bedarfsdeckungsprinzip als sozialhilferechtliches Strukturprinzip es verbiete, Sozialhilfe für einen vergangenen Zeitraum zu bewilligen.

Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht in dem vom Berufungsgericht angeführten Urteil die Vererblichkeit eines Anspruchs auf das pauschalierte Pflegegeld nach § 69 Abs. 3 BSHG mit der Begründung verneint, daß nach dem Tode des Hilfesuchenden (regelmäßig) die Leistung von Pflegegeld zur Erfüllung des mit ihm verfolgten Zwecks nicht mehr erbracht werden könne, weil eine etwa vorhanden gewesene Notlage in der Person des (verstorbenen) Pflegebedürftigen, der mit der Gewährung von Pflegegeld abgeholfen werden sollte, sich nicht mehr im Nachhinein nach dem Tode des Hilfesuchenden beheben lasse (vgl. BVerwGE 58, 68 ≪72 ff.≫). Diese Erwägungen werden jedoch Fallgestaltungen der hier zu beurteilenden Art nicht gerecht, in denen die Kosten der Pflege von der Pflegeperson gestundet oder von einem Dritten darlehensweise vorgeschossen worden sind, weil der Träger der Sozialhilfe nicht rechtzeitig geholfen oder Hilfe abgelehnt hat.

Der Senat hat von dem Grundsatz „Keine Sozialhilfe für die Vergangenheit” immer Ausnahmen um der Effektivität der gesetzlichen Gewährung des Rechtsanspruchs des Hilfebedürftigen auf Fürsorgeleistungen willen (BVerwGE 26, 217 ≪220≫) und um der Effektivität des Rechtsschutzes auf Sozialhilfe willen (vgl. BVerwGE 40, 343 ≪346≫; 58, 68 ≪74≫) zugelassen (zuletzt BVerwGE 90, 154 ≪156≫; 90, 160 ≪162≫; 94, 127 ≪133≫). Dementsprechend hat er auch von seiner Aussage, es sei grundsätzlich nicht Aufgabe der Sozialhilfe, Schulden zu tilgen, in ständiger Rechtsprechung stets die Schulden ausgenommen, die dadurch entstanden sind, daß der Bedarf nicht rechtzeitig mit Mitteln der Sozialhilfe gedeckt worden, die Behörde also in diesem Sinne säumig geblieben ist: Hat ein Dritter den Bedarf des Hilfebedürftigen tatsächlich gedeckt, darf dies dem Sozialhilfeanspruch dann nicht entgegengehalten werden, wenn der Dritte die Hilfeleistung – gleichsam an Stelle des Sozialhilfeträgers und unter Vorbehalt des Erstattungsverlangens – nur deshalb erbracht hat, weil der Träger der Sozialhilfe nicht rechtzeitig geholfen oder Hilfe abgelehnt hat (vgl. BVerwGE 21, 208 ≪209≫; 23, 255 ≪257≫; 26, 217 ≪219≫; 52, 214 ≪226≫; 65, 52 ≪53≫; 90, 154 ≪156, 158≫; 94, 127 ≪135≫).

Dieser Rechtsprechung liegt die Überlegung zugrunde, daß es gegen die gesetzliche Gewährung des Rechtsanspruchs auf Sozialhilfe verstoßen würde, wenn der Hilfebedürftige seinen Anspruch wegen anderweitiger Bedarfsdeckung allein deshalb verlieren würde, weil er die ihm zustehende Hilfe nicht rechtzeitig vom Sozialhilfeträger erhalten hat (vgl. BVerwGE 26, 217 ≪219≫; 90, 154 ≪156≫; 90, 161 ≪162≫). Zugleich betont sie die Subjektstellung des auf Sozialhilfe angewiesenen Bürgers: Er ist kein Almosenempfänger, sondern Inhaber eines subjektiven öffentlichen Rechts (vgl. BVerwGE 1, 159 ≪161 f.≫; 5, 27 ≪31≫). Zum Inhalt dieser jetzt in § 4 Abs. 1 Satz 1 BSHG gewährleisteten Rechtsposition, die wegen ihrer Zeitgebundenheit und der daraus resultierenden Existenzschwäche besonderen Schutzes bedarf, gehört es im Interesse ihrer normativen Sicherung, daß der Anspruchsinhaber bei säumigem Behördenverhalten die Hilfe Dritter in Anspruch nehmen darf, um die ihm zustehende Hilfe bedarfs- und zeitgerecht zu erhalten (vgl. BVerwGE 90, 154 ≪156≫). Die rechtliche Gewährleistung des Sozialhilfeanspruchs wäre unvollkommen, wenn der für den Sozialhilfeträger einspringende Dritte befürchten müßte, seine im Vertrauen auf die spätere Bewilligung der Sozialhilfe getätigten Aufwendungen nicht ersetzt zu erhalten, falls der Sozialhilfeträger von seiner Verpflichtung beim Tode des Hilfesuchenden frei würde. Denn allein die nachträgliche Gewährung der Sozialhilfeleistungen auch in diesem Fall und damit die Möglichkeit, diese Leistungen an den vorleistenden Dritten weiterzugeben, läßt erwarten, daß Dritthilfe als Überbrückungsmaßnahme tatsächlich auch erbracht werden wird. Auch gehört es zur Führung eines der Würde des Menschen entsprechenden Lebens, das dem Empfänger der Hilfe zu ermöglichen Aufgabe der Sozialhilfe ist (§ 1 Abs. 2 Satz 1 BSHG), als Inhaber eines Anspruchs auf Sozialhilfeleistungen bei nicht rechtzeitiger Leistung des Sozialhilfeträgers Schulden bei Dritten in der Gewißheit aufnehmen zu dürfen, diesen im Tode nichts schuldig bleiben zu müssen.

In Fällen gewährter Dritthilfe kann gegen den Fortbestand eines zu Lebzeiten entstandenen Sozialhilfeanspruchs über den Tod hinaus nicht eingewandt werden, der Zweck der Sozialhilfe lasse sich nach dem Tode des Hilfebedürftigen nicht mehr erreichen, weil sich die Notlage nicht nachträglich beheben lasse. Denn dem Hilfebedürftigen ist tatsächlich unter Vorlage der hierfür erforderlichen finanziellen Mittel von einem Dritten geholfen worden. Die Zahlung der Sozialhilfe nach dem Tode des Anspruchsinhabers ist die Vertrauensgrundlage für die Hilfe des Dritten zu Lebzeiten des Anspruchsinhabers. In dieser Vorwirkung zeigt sich die rechtliche Effektivität des Anspruchs auf Sozialhilfe. Seine Erfüllung nach dem Tode des Berechtigten kommt daher nicht zu spät. Sie rechtfertigt sich daraus, daß ein Dritter dem Berechtigten zu Lebzeiten in seiner Not das hat zukommen lassen, worauf er Anspruch hatte.

Einwände gegen die Möglichkeit der Zweckerreichung der Sozialhilfe auch noch nach dem Tode des Hilfebedürftigen lassen sich auch nicht daraus herleiten, daß die Leistungen nicht demjenigen, der für den säumigen Sozialhilfeträger in Vorlage getreten ist, sondern dem Erben des Hilfebedürftigen zu gewähren sind. Denn dem Erben obliegt auch die Begleichung der Nachlaßschulden, und die Sozialhilfeleistungen fließen ihm gerade deshalb zu, um ihn in den Stand zu setzen, die aus der Dritthilfe entstandenen Schulden des Sozialhilfeempfängers zu tilgen.

Vererblich sind aus Gründen der gesetzlichen Gewährung des Rechtsanspruchs auf Sozialhilfe und der sie sichernden Effektivitätsgehalte jedoch nur die in der Person des Sozialhilfeberechtigten entstandenen Ansprüche insoweit, als diesem durch die Inanspruchnahme von Dritthilfe Schulden entstanden sind. Soweit dagegen der Hilfesuchende den Bedarf aus eigenem Einkommen oder Vermögen gedeckt hat, zu deren Einsatz er sozialhilferechtlich nicht verpflichtet war, kommt ein Anspruchsübergang nicht in Betracht. Im Falle der – an sich sozialhilferechtlich nicht geschuldeten – Selbsthilfe wird die Effektivität der Rechtsgewährung nicht durch das Hinzutreten vorleistender Dritter aktiviert. Der Effektivitätsaspekt hat Bedeutung vielmehr nur insoweit, als dem Sozialhilfeberechtigten durch Wiederauffüllung seines Vermögens nachträglich der Freiraum wieder verschafft wird, dessen Absicherung das Schonvermögen im Sinne des Sozialhilferechts dient. Unter diesem Blickwinkel ist der Effektivitätsgedanke aber in seiner Wirkung auf die Zeit bis zum Tod des Hilfebedürftigen beschränkt. Denn die Vorschriften über nicht einzusetzendes Einkommen und Schonvermögen dienen allein dem Schutz des Sozialhilfeberechtigten, nicht aber dem seiner Erben. § 92 c Abs. 3 BSHG besagt nichts Gegenteiliges. Diese Vorschrift schützt den Erben in gewissem Umfang und unter bestimmten Voraussetzungen gegen die in den vorhergehenden Absätzen zu Lasten des Nachlasses angeordnete Rückabwicklung der an den Erblasser in den letzten 10 Jahren vor dem Erbfall geleisteten Sozialhilfe. § 92 c Abs. 3 BSHG setzt ererbtes Vermögen voraus; er begründet aber keinen Anspruch des Erben auf Aufstockung des Nachlasses, wenn der Erblasser wegen nicht rechtzeitiger Sozialhilfegewährung gezwungen war, nicht einzusetzendes Einkommen oder geschontes Vermögen zur Bedarfsdeckung zu verwenden.

Etwas anderes folgt auch nicht aus den Art. 14 und 19 Abs. 4 GG. Mit dem Tode des Hilfesuchenden verliert der Gesichtspunkt der Effektivität des Rechtsschutzes seine Bedeutung; er kann in Fällen der Selbsthilfe seine den Zweck der Sozialhilfeleistung sichernde Funktion nicht mehr erreichen. Auch die Gewährleistung des Erbrechts wird hierdurch nicht in Frage gestellt, weil der Schutz des Erbrechts nicht den Erhalt des vererbbaren Vermögens umfaßt.

Strukturprinzipien des Bundessozialhilfegesetzes, die nach § 37 SGB I in Verbindung mit Art. II § 1 Nr. 15 SGB – Allgemeiner Teil – vom 11. Dezember 1975 (BGBl I S. 3015) – SGB-AT – den Regeln des Ersten Buches Sozialgesetzbuch über die Rechtsnachfolge in Sozialleistungen vorgehen könnten, stehen nach alledem einer Rechtsnachfolge in Sozialhilfeansprüche des verstorbenen Hilfebedürftigen dann nicht entgegen, wenn der Hilfebedürftige zu Lebzeiten seinen Bedarf mit Hilfe eines im Vertrauen auf die spätere Bewilligung von Sozialhilfe vorleistenden Dritten gedeckt hat, weil der Träger der Sozialhilfe nicht rechtzeitig geholfen oder Hilfe abgelehnt hat. Die gegenteilige Aufassung des Berufungsgerichts verletzt Bundesrecht. Ob sich sein Urteil aus anderen Gründen als richtig im Sinne des § 144 Abs. 4 VwGO erweist, läßt sich noch nicht abschließend beurteilen.

Im Ergebnis zu Recht hat allerdings das Berufungsgericht eine Übergangsmöglichkeit der von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche kraft Sonderrechtsnachfolge im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB I verneint. Denn diese Vorschrift betrifft laufende Geldleistungen, deren nicht rechtzeitige Erbringung in aller Regel die Lebensführung nicht nur des Leistungsberechtigten, sondern auch der von der Regelung erfaßten Familienangehörigen beschränkt (vgl. BVerwGE 58, 68 ≪70 ff.≫). Um die dadurch entstandene Benachteiligung auszugleichen, sieht § 56 SGB I in Abweichung vom Erbrecht, aber in Übereinstimmung mit der Funktion solcher Leistungen eine Sonderrechtsnachfolge vor (so die Begründung des Regierungsentwurfs eines SGB-AT, BT-Drucks. 7/868 S. 33 zu §§ 56 bis 59). § 56 SGB I paßt deshalb nicht auf Leistungen der hier vorliegenden Art, deren Zweck darin besteht, an denjenigen, der dem verstorbenen Berechtigten in einer Notlage geholfen hat, weitergereicht zu werden. Zudem wäre im Falle einer Sonderrechtsnachfolge nicht gesichert, daß der Erbe des Hilfebedürftigen die gegenüber dem vorleistenden Dritten bestehende Schuld mit einem über den Tod hinaus fortbestehenden Sozialhilfeanspruch befriedigen kann (vgl. BVerwGE 58, 68 ≪72≫).

Anzuwenden sind dagegen § 58 Satz 1 und § 59 Satz 2 SGB I. Die Klägerin beansprucht vom Beklagten, wie zuvor auch ihre Mutter bis zu ihrem Tode, keine Dienst- oder Sachleistungen, die nach § 59 Satz 1 SGB I mit dem Tode des Berechtigten erlöschen, sondern Kostenersatz für die Inanspruchnahme von Dienst- und Sachleistungen von dritter Seite, mithin Geldleistungen. Fällige Ansprüche auf Geldleistungen werden, wenn die Voraussetzungen für eine Sonderrechtsnachfolge im Sinne des § 56 SGB I – wie hier – nicht erfüllt sind, nach § 58 Satz 1 SGB I nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs vererbt, es sei denn, sie erlöschen mit dem Tode des Berechtigten. Diese Rechtsfolge ordnet § 59 Satz 2 SGB I nur dann an, wenn die Geldleistungsansprüche im Zeitpunkt des Todes des Berechtigten weder festgestellt sind noch ein Verwaltungsverfahren über sie anhängig ist.

Die Voraussetzungen für einen Anspruchsuntergang waren nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht erfüllt. Denn die Mutter der Klägerin starb im Laufe des Widerspruchsverfahrens, mithin in einem Zeitpunkt, in dem das Verwaltungsverfahren über die von ihr geltend gemachten Ansprüche noch anhängig war. Das Verwaltungsverfahren aber endet im Sinne des § 59 Satz 2 SGB I erst mit der Unanfechtbarkeit des Bescheids (vgl. BSG, Urteil vom 11. August 1992 – 1 RK 46/91 – ≪SozR 3 – 2500 § 53 SGB V Nr. 1 = FEVS 43, 389≫).

Nach wie vor streitig zwischen den Parteien ist jedoch, ob und in welchem Umfang in der Person der Mutter der Klägerin Ansprüche auf Erstattung der Aufwendungen für Morgen- und Abendpflege, Fußpflege, pflegebegleitende Kosten, Raumpflege, Rezeptgebühren und Taxifahrten ihrer Tochter entstanden sind. Insbesondere ist ungeklärt, welche Aufwendungen aus Schonvermögen und welche aus Darlehen Dritter bestritten worden sind. Tatsächliche Feststellungen hierzu hat das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – nicht getroffen. Das nötigt zur Zurückverweisung.

Das gilt auch insoweit, als die Klägerin die Erstattung der Kosten für ein für ihre Mutter erworbenes Krankenbett nebst Zubehör begehrt. Hier spricht zwar nach Aktenlage alles dafür, daß die Anschaffung vor dem Zeitpunkt erfolgte, in dem der Bedarf dem Beklagten oder der von ihm beauftragten Stadt E. im Sinne des § 5 BSHG bekannt wurde, und damit ein Sozialhilfeanspruch insoweit bereits in der Person der Mutter der Klägerin gar nicht zur Entstehung gelangt ist (vgl. BVerwGE 90, 154 ≪156≫). Nach den Erörterungen mit den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, daß dieser Punkt unstreitig ist.

 

Unterschriften

Dr. Hömig, Dr. Pietzner, Schmidt, Dr. Rojahn, Kimmel

 

Fundstellen

BVerwGE, 18

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