Entscheidungsstichwort (Thema)

Beitragsaufstockung für Zeiten einer Wehrübung

 

Orientierungssatz

1. Zur Frage, ob § 32 Abs 6 S 2 und 3 iVm § 112 AVG mit Art 3 Abs 1 GG vereinbar ist, soweit Angestellte der Privatwirtschaft danach keine Möglichkeit haben, das bei Wehrübungen den Beitragszeiten nach § 32 Abs 6 AVG zugrunde zu legende Bruttoarbeitsentgelt durch eigene Beiträge bis zur Beitragsbemessungsgrenze auf dasjenige Entgelt zu erhöhen, das sie ohne die Wehrübung erzielt hätten, um ihre Ungleichbehandlung mit Angestellten des öffentlichen Dienstes abzumildern.

2. Das Verfahren 1 BvL 54/87 ist laut Schreiben des BVerfG vom 4.1.1991 abgeschlossen, nachdem der Vorlagebeschluß gegenstandslos geworden ist.

 

Normenkette

AVG § 32 Abs 6 S 2, § 32 Abs 6 S 3, § 112; RVO § 1255 Abs 6 S 2, § 1255 Abs 6 S 3, § 1385; GG Art 3 Abs 1

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 31.10.1985; Aktenzeichen L 1 An 66/84)

SG Duisburg (Entscheidung vom 29.10.1984; Aktenzeichen S 13 An 131/83)

 

Tatbestand

Im Prozeß geht es darum, wie in der Rentenversicherung des Klägers Zeiten dreier Wehrübungen im Rahmen der Kontenklärung zu berücksichtigen sind.

Der 1944 geborene Kläger, früher Zeitsoldat, war als Angestellter mit einem Bruttoarbeitsentgelt, das die Beitragsbemessungsgrenze (§ 112 Abs 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes -AVG-) übersteigt, beschäftigt. Er nahm vom 3. bis 21. März 1981, vom 21. Februar bis zum 11. März 1983 und vom 25. Februar bis zum 15. März 1985 an Wehrübungen teil.

Die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) erkannte in einem förmlichen "Bescheid" idF des Widerspruchsbescheides als Beitragszeiten in der Rentenversicherung der Angestellten an "3. 3. 81 - 21.3.81 1.648,06 DM Wehrdienst, Zivildienst, Durchschnittsentgelt, keine Zeitanrechnung" (Bescheid vom 30. November 1982; Widerspruchsbescheid vom 12. Juli 1983).

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage auf Verurteilung der Beklagten, Beiträge bis zur Beitragsbemessungsgrenze von der beigeladenen Bundesrepublik Deutschland zu fordern, hilfsweise von ihm anzunehmen, mit Urteil vom 29. Oktober 1984 abgewiesen. Die Beklagte erkannte danach in weiteren Bescheiden für die Wehrübung 1983 ein Entgelt von 1.202,13 DM und für die Wehrübung 1985 ein Entgelt von 1.242,98 DM an (Bescheide vom 11. Dezember 1984 und 25. Juni 1985). Vor dem Landessozialgericht (LSG) blieben die Berufung des Klägers und dessen Klagen gegen die Bescheide vom 11. Dezember 1984 und 25. Juni 1985 auf Verurteilung der Beklagten zur Berücksichtigung eines Bruttoarbeitsentgelts in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze ohne Erfolg. Das LSG sah es nicht als gleichheitswidrig (Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes -GG-) an, daß für Angehörige des öffentlichen Dienstes das Beschäftigungsverhältnis durch die Wehrübung nicht unterbrochen und deren Versicherungsverhältnis nach Maßgabe ihres Verdienstes weitergeführt werde. Selbst wenn die Besserstellung der Angehörigen des öffentlichen Dienstes gegen Art 3 Abs 1 GG verstoßen würde, könne deren Begünstigung nicht auf die übrigen Versicherten erstreckt werden, da nicht anzunehmen sei, daß der Gesetzgeber bei Beachtung des Gleichheitssatzes die für Angehörige des öffentlichen Dienstes geltende Regelung für alle Versicherten eingeführt hätte.

Mit der von dem Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, die gesetzlichen Bestimmungen, die eine Schlechterstellung der bei privaten Arbeitgebern beschäftigten Versicherten gegenüber den Angehörigen des öffentlichen Dienstes bei der rentenrechtlichen Bewertung von Wehrübungszeiten vorsähen, verletzten Art 1, 2 und 3 Abs 1 GG. Die gesetzlich geregelte Ungleichbehandlung der beiden Personengruppen lasse sich weder mit Gründen der Verwaltungsvereinfachung noch damit rechtfertigen, daß der jetzige Rechtszustand für die nicht dem öffentlichen Dienst angehörenden Versicherten günstiger sei als der frühere.

Der Kläger hat innerhalb der Revisionsbegründungsfrist den Antrag gestellt,

die Beklagte zu verurteilen, in Abänderung des Bescheides

vom 30. November 1982 und des Widerspruchsbescheides vom

2. Juli 1983 Beiträge bis zur Beitragsbemessungsgrenze

von der Beigeladenen einzufordern, hilfsweise vom Versicherten

anzunehmen.

Später (Schriftsatz vom 17. August 1987) hat er beantragt,

die Beklagte unter Abänderung ihrer Bescheide zu verurteilen,

bei der Ermittlung der persönlichen Rentenbemessungsgrundlage

für die Wehrübungen ein Bruttoarbeitsentgelt bis zur

Beitragsbemessungsgrenze zugrunde zu legen.

Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat sieht die maßgebende Vorschrift des § 32 Abs 6 AVG idF des Gesetzes zur Änderung sozialrechtlicher Vorschriften vom 25. April 1981, idF durch das 2. Haushaltsstrukturgesetz (HStruktG) vom 22. Dezember 1981 und idF durch das Haushaltsbegleitgesetz 1983 vom 20. Dezember 1982 in Verbindung mit § 112 AVG als verfassungswidrig an und muß deswegen nach Art 100 Abs 1 Satz 1 GG die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) einholen.

1. Von der Gültigkeit dieser Vorschrift in den oben genannten Fassungen hängt die Entscheidung des Senats ab.

Das in der Revision weiter verfolgte Klageziel wird hinreichend deutlich. Der Kläger will sich mit der in den drei Bescheiden angeordneten Regelung nicht zufrieden geben, daß für die Zeit der Wehrübung nicht entsprechend dem zuvor bezogenen Entgelt der Wert der Beitragsbemessungsgrenze, sondern der tiefere Wert des jeweils im Gesetz angeordneten Vomhundertsatzes des durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgelts berücksichtigt wird. Er macht damit die Verfassungswidrigkeit der dies ausschließenden gesetzlichen Vorschriften geltend, da diese Vorschriften für Arbeitnehmer der Privatwirtschaft zur Gleichbehandlung mit den Angehörigen des öffentlichen Dienstes eine entsprechende Beitragsleistung des Bundes hätten vorsehen oder doch zumindest eine Aufstockung der vom Bund entrichteten Beiträge durch den Versicherten hätten zulassen müssen. Als Klageart hierfür kommt die auf den Erlaß eines den zugrunde zulegenden Bruttoarbeitsentgelt nach Ansicht des Klägers zutreffend feststellenden Verwaltungsaktes gerichtete Verpflichtungsklage (vgl BSGE 53, 44, 48 = SozR 2200 § 1397 Nr 2) in Betracht, wie sie der Kläger nach seinem Berufungsantrag erhoben hat. Die vor dem Sozialgericht und im Revisionsverfahren gestellten Anträge sind diesem Klageziel entsprechend auszulegen (§ 123 SGG).

Der Antrag ist auch zulässig, soweit er die nach Klageerhebung hinsichtlich der Wehrübungen 1983 und 1985 ergangenen Bescheide einbezieht. Diese sind nach § 96 Abs 1 SGG in entsprechender Anwendung Gegenstand des Rechtsstreits geworden, obgleich die betroffenen Zeiträume nicht aneinanderschließen, da diese Verwaltungsakte mit dem angefochtenen Verwaltungsakt insoweit in einem inneren Zusammenhang stehen, als sie aufgrund desselben Rechtsverhältnisses ergangen sind und aus den gleichen Gründen wie der ursprüngliche Bescheid angefochten werden (BSG SozR 1500 § 96 Nrn 7 und 14). Das LSG hat über diese Bescheide zu Recht erstinstanzlich entschieden (BSGE 34, 255, 257; stRspr).

Wäre die in § 32 Abs 6 Sätze 2 und 3 iVm § 112 AVG getroffene Regelung verfassungsgemäß, so wäre die Revision des Klägers im wesentlichen zurückzuweisen. Ist die Regelung verfassungswidrig, wie der Senat annimmt, so wäre das Verfahren bis zu einer verfassungsgemäßen Neuregelung auszusetzen. Insoweit ist es ohne Bedeutung, daß die Beklagte im Zeitpunkt ihrer Entscheidungen die damals noch nicht bekannten durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgelte für die Jahre 1983 und 1985 nicht berücksichtigen konnte und deshalb auf frühere Jahre zurückgegriffen hat, so daß sich bei Verfassungsgemäßheit der Vorschrift die Beträge noch geringfügig ändern werden.

2. Die genannte Regelung verletzt zwar nicht die Art 1 und 2 GG; sie verstößt aber gegen Art 3 Abs 1 GG, soweit Angestellte der Privatwirtschaft danach keine Möglichkeit haben, das für sie gemäß § 32 Abs 6 AVG maßgebende Bruttoarbeitsentgelt mit eigenen Beiträgen bis zur Beitragsbemessungsgrenze auf das Entgelt zu erhöhen, das sie ohne die Einberufung zur Wehrübung erzielt hätten, um in diesem Umfang eine Gleichbehandlung mit den Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu erreichen.

Der § 32 AVG unterscheidet in dem Abs 1 und in Abs 6 Sätze 2 und 3 selbst nicht zwischen Versicherten des öffentlichen Dienstes (Arbeiter und Angestellte) und solchen der Privatwirtschaft. Diese Unterscheidung wird in anderen Vorschriften getroffen. Die Auswirkungen einer Wehrübung auf das Dienstverhältnis und die Altersversorgung sind zunächst nach der Länge der Wehrübung unterschiedlich geregelt. Bei Wehrübungen bis zu drei Tagen wird die Vergütung uneingeschränkt fortgezahlt, so daß sich für die Altersversorgung kein Regelungsbedarf ergibt; das folgt für Arbeitnehmer, sowohl im öffentlichen als auch im privaten Dienst, aus § 11 Abs 1 und für Beamte oder Richter aus § 11 Abs 2 des Arbeitsplatzschutzgesetzes (ArbplSchG).

Bei Wehrübungen von mehr als drei Tagen unterscheidet das Gesetz zwischen Beamten und Arbeitnehmern des öffentlichen Dienstes einerseits und den Arbeitnehmern der Privatwirtschaft andererseits: Wird ein Beamter zu einer Wehrübung einberufen, so ist er für die Dauer der Wehrübung mit Bezügen beurlaubt (§ 9 Abs 2 ArbplSchG). Einem Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst hat der Arbeitgeber während einer Wehrübung Arbeitsentgelt wie bei einem Erholungsurlaub zu zahlen (§ 1 Abs 2 ArbplSchG). Damit bleiben die zuvor bezogenen Bezüge für die auf die Wehrübung entfallende Altersversorgung maßgebend. Dabei ist die für Beamte (und Richter) getroffene Regelung nur insoweit von Bedeutung, als sie eine Angleichung der Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes an diese Personengruppe rechtfertigt. Bei Wehrdienstleistenden, denen nach § 1 Abs 2, § 9 Abs 1 ArbplSchG Entgelt weiter zu gewähren ist, gilt das Beschäftigungsverhältnis als durch den Wehrdienst nicht unterbrochen (§ 2 Abs 2 AVG). Das weiter zu zahlende Entgelt ist bei ihnen als Bruttoarbeitsentgelt nach § 32 Abs 1 AVG bei der persönlichen Rentenbemessungsgrundlage zu berücksichtigen.

Früher hatten nach § 9 Abs 1 ArbplSchG vom 30. März 1957 nur Beamte und Richter, die das 25. Lebensjahr vollendet oder bereits 6 Monate des Wehrdienstes geleistet hatten, bei einer Wehrübung Anspruch auf Gehaltsfortzahlung. Die Fortzahlung des Entgelts wie bei einem Erholungsurlaub für alle Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst nach § 1 Abs 2 ArbplSchG wurde durch Gesetz zur Änderung des Unterhaltssicherungsgesetzes und des ArbplSchG vom 8. Mai 1973 (BGBl I S 365) eingeführt.

Demgegenüber ist für Arbeitnehmer der Privatwirtschaft bei Wehrübungen von länger als drei Tagen eine Entgeltfortzahlung im ArbplSchG nicht vorgesehen. Sie erhalten Leistungen zur Sicherung ihres Lebensbedarfs (Unterhaltssicherung) nach dem Gesetz über die Sicherung des Unterhalts der zum Wehrdienst einberufenen Wehrpflichtigen und ihrer Angehörigen (Unterhaltssicherungsgesetz -USG-) vom 21. April 1961. Die späteren Änderungen sind hier ohne Belang. Nach § 2 Nr 3 USG ist bei Wehrübungen von mehr als drei Tagen Verdienstausfallentschädigung nach § 13 zu gewähren. Wehrübende, die zuletzt in der Rentenversicherung der Angestellten versichert waren, werden für eine Wehrübung von mehr als drei Tagen in der Rentenversicherung der Angestellten versichert (§ 2 Abs 1 Nr 8 AVG). Für die Höhe der Beiträge waren zunächst nach § 112 Abs 3 Buchst d AVG idF des Rentenversicherungsneuregelungsgesetzes maßgebend die Geld- und Sachbezüge, die sie nach den Vorschriften des Soldatengesetzes erhielten. Mit dem Gesetz zur Änderung sozialrechtlicher Vorschriften vom 25. April 1961 wurde die Höhe der für die Wehrübung zu entrichtenden Beiträge in § 112 Abs 3 Buchst d AVG und damit korrespondierend die Höhe des bei einer Rentenberechnung für die Wehrübung zu berücksichtigenden Bruttoarbeitsentgelts an das durchschnittliche Bruttoarbeitsentgelt geknüpft: Nach § 32 Abs 6 Sätze 2 und 3 AVG idF des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 ist für jeden Kalendermonat des Wehrdienstes vor dem 1. Januar 1982 als Bruttoarbeitsentgelt des Versicherten 1/12 des durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgelts aller Versicherten der Rentenversicherung der Arbeiter, der Angestellten und der knappschaftlichen Rentenversicherung ohne Lehrlinge und Anlernlinge zugrunde zu legen, der für das Kalenderjahr, in dem der Wehrdienst geleistet wird, nach § 55 Abs 1 RKG bestimmt ist; soweit der Wehrdienst nicht einen vollen Kalendermonat umfaßt, wird für jeden Tag des anrechenbaren Wehrdienstes 1/30 des auf den Kalendermonat entfallenden Bruttoarbeitsentgelts zugrunde gelegt (Satz 2); anstelle des nach Satz 2 maßgebenden Bruttoarbeitsentgelts sind für jeden Kalendermonat des Wehrdienstes im Jahre 1982 75 vH und für danach liegende Zeiten 70 vH dieses Betrages zugrunde zu legen. Entsprechend war der vom Bund zu leistende Beitrag nach § 112 Abs 3 Buchst d AVG idF des Gesetzes zur Änderung sozialrechtlicher Vorschriften vom 25. April 1961 bis zum 1. Januar 1982 nach dem durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgelt (§ 55 Abs 1 RKG), nach dieser Vorschrift idF des 2. HStruktG vom 22. Dezember 1981 für 1982 auf 75 vH des durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgelts und nach dieser Vorschrift idF des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 für die spätere Zeit aus 70 vH dieses Betrages zu errechnen.

Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches nicht willkürlich ungleich zu behandeln (BVerfGE 49, 260, 271). Von Willkür kann nur dann gesprochen werden, wenn sich für die getroffene Differenzierung keine sachlichen Gründe finden lassen; ob der Gesetzgeber die gerechteste, zweckmäßigste und vernünftigste Regelung getroffen hat, ist nicht zu prüfen (BVerfGE 71, 39, 53 mwN). Im Rahmen der ihm zustehenden Entscheidungsfreiheit kann der Gesetzgeber darüber befinden, was in concreto als im wesentlichen gleich und was als so verschieden anzusehen ist, daß die Verschiedenheit eine Ungleichbehandlung rechtfertigt (BVerfGE aaO mwN). Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG ist die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei der Regelung von Ansprüchen im Bereich der darreichenden Verwaltung weiter als bei der Regelung staatlicher Eingriffe; das gilt im Grundsatz auch dann, wenn der Gesetzgeber für Nachteile, die dem Bürger als Folge der Erfüllung verfassungsmäßiger staatsbürgerlicher Pflichten entstehen können, einen Ausgleich gewährt, zu dem er verfassungsrechtlich nicht verpflichtet ist (zur Wehrpflicht BVerfGE 29, 51, 56 und zur Entschädigung von Zeugen BVerfGE 49, 280, 283).

Gegen die unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern des öffentlichen Dienstes und denen der Privatwirtschaft im Änderungsgesetz vom 21. April 1961 hatte schon im Gesetzgebungsverfahren der Bundesrat verfassungsrechtliche Bedenken geäußert; die Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst stünden zu ihren Arbeitgebern im gleichen privatrechtlichen Dienstverhältnis wie die übrigen Arbeitnehmer zu ihren privaten Arbeitgebern (BT-Drucks III/1898 S 19 f). Nach der Entgegnung der Bundesregierung stellen die für den öffentlichen Dienst charakteristischen Eigenheiten wie auch die grundlegend abweichenden Regelungen der Dienst- und Arbeitsverhältnisse des öffentlichen und des privaten Bereichs eine so unterschiedliche Ausgangslage dar, daß eine verfassungsrechtliche Betrachtung unter dem Gesichtspunkt gleicher Sachverhalte der Grundlage entbehre (aaO S 22). Nach der Gesetzesbegründung soll für die Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes die gleiche Regelung gelten wie bisher schon nach § 9 für die Beamten und Richter (aaO S 11).

Der Gesetzgeber darf die Besonderheiten des öffentlichen Dienstes nicht nur bei der Ausgestaltung des Beamtenverhältnisses und anderer öffentlich-rechtlicher Dienstverhältnisse sondern auch hinsichtlich der dort beschäftigten Angestellten und Arbeiter als sachliches Kriterium berücksichtigen, wie schon Art 131 GG zeigt. Die Rechtsprechung hat unterschiedliche Regelungen im Personalvertretungsrecht einerseits und im Betriebsverfassungsgesetz andererseits mit der besonderen, von Beschäftigungsverhältnissen in der Privatwirtschaft abweichenden Aufgabe des öffentlichen Dienstes begründet. Die im öffentlichen Dienst Tätigen seien - anders als die in der Privatwirtschaft Beschäftigten - "Diener der Gesamtheit des Volkes" (Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluß vom 12. März 1987 GmS OGB 6/86). Auch das Bundesverwaltungsgericht hat es deshalb als gerechtfertigt angesehen, daß das Gesetz den Ausgleich des Verdienstausfalls für den öffentlichen Dienst und die Privatwirtschaft unterschiedlich regelt: Während der Einsatz öffentlicher Mittel zur Gewährung von Leistungen nach dem USG an private Arbeitnehmer allein deshalb notwendig werde, weil der anzuerkennende Lebensbedarf des Wehrpflichtigen und seiner unterhaltsberechtigten Familienangehörigen infolge wehrdienstbedingter Einkommenseinbußen nicht mehr hinreichend gedeckt werden könne, sei der Lebensunterhalt der Angehörigen des öffentlichen Dienstes unabhängig von ihrer Heranziehung zum Wehrdienst durch die ihnen zu leistenden Arbeitsentgelte und Dienstbezüge auf dienstrechtlicher Grundlage aus öffentlichen Mitteln sicherzustellen (Buchholz 448.3 § 13 USG Nrn 5 und 7).

Der Senat sieht es jedenfalls als sachlich gerechtfertigt an, daß der Gesetzgeber den Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes mit der Lohnfortzahlung belastet hat, nicht aber die Arbeitgeber der Privatwirtschaft. Unbedenklich erscheint weiter, daß die Beitragsentrichtung für die Beschäftigten der Privatwirtschaft durch den Bund erfolgt und pauschaliert ist. Auf dieser Grundlage rechtfertigt es das Versicherungsprinzip, auch auf der Leistungsseite den pauschalierten Beitrag zu berücksichtigen. Allerdings ist es dem Sozialversicherungsrecht nicht fremd, individuell bemessene Leistungen der Versicherungsträger durch pauschale Zahlungen an den Versicherungsträger zu finanzieren.

Der Senat sieht die gesetzliche Regelung jedoch als verfassungswidrig an, soweit sie es ausschließt, daß der Versicherte der Privatwirtschaft das hiernach zu berücksichtigende Bruttoarbeitsentgelt durch eigene Beiträge bis zur Höhe des ausgefallenen Entgelts, höchstens bis zur Beitragsbemessungsgrenze, aufzustocken. Das Gesetz läßt eine solche eigene Entrichtung von Pflichtbeiträgen nicht zu. Die mögliche Entrichtung von Höherversicherungsbeiträgen ist kein Ausgleich, da sie nicht zu einer dynamisierten Rente führt. Da während der Wehrübung Versicherungspflicht nach § 2 Abs 1 Nr 8 AVG bestand, ist die Entrichtung freiwilliger Beiträge für die Zeit der Wehrübung nach § 10 AVG ausgeschlossen. Ob die gesetzliche Regelung eine Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber der Privatwirtschaft mit entsprechender Beitragsentrichtung unter Verdrängung der Versicherungspflicht nach § 2 Abs 1 Nr 8 AVG zuläßt, und ob dann der Versicherte gemäß § 120 AVG anstelle des Arbeitgebers auch selbst die vollen Beiträge gemäß § 120 AVG entrichten darf, kann dahinstehen. Denn für die Annahme einer Lohnfortzahlung oder Lohnaufstockung ist nichts festgestellt.

Zur Wahrung des Gleichheitssatzes genügt es nicht, daß es hinreichende Gründe für eine Ungleichbehandlung gibt; diese müssen vielmehr auch geeignet sein, die Ungleichbehandlung in ihrem derzeitigen Ausmaß zu rechtfertigen (BVerfGE 51, 1, 28). Das erfordert einen inneren Zusammenhang zwischen der Verschiedenheit und der differenzierenden Regelung bei der gebotenen an den Gesetzlichkeiten der Natur der Sache und am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise (BVerfGE 71, 39, 58). In Konkretisierung dieses Grundsatzes hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, die (bis 1982 geltende) Anordnung des Ruhens der Renten an Ausländer genüge dieser Anforderung nur, wenn der Gesetzgeber durch eine besondere Regelung für einen gewissen Ausgleich der krassen Unterschiede dadurch sorge, daß er den anspruchsberechtigten Ausländern im Ausland die Möglichkeit eröffne, eine angemessene Erstattung ihrer Beiträge zu erlangen (BVerfGE 51, 1, 28). Auf den vorliegenden Fall angewandt besagt der Grundsatz, daß der Gesetzgeber für die Versicherten der Privatwirtschaft zumindest eine Aufstockung der vom Bund entrichteten Beiträge nach Maßgabe des ausgefallenen bzw des zuvor bezogenen Verdienstes, soweit dieser nicht die Beitragsbemessungsgrenze übersteigt, hätte zulassen müssen.

Das Absehen des Gesetzgebers von einer solchen Regelung kann nicht mit einem angeblichen Widerspruch zu tragenden Grundprinzipien der Rentenversicherung begründet werden. Nach § 112 Abs 3a Satz 1 AVG in der ab 1. Januar 1973 geltenden Fassung des Rentenreformgesetzes vom 16. Oktober 1972 (RRG) gilt bei versicherungspflichtigen Arbeitnehmern, die ehrenamtlich tätig sind und deren Arbeitsentgelt infolge der ehrenamtlichen Tätigkeit gemindert wird, auch der Unterschiedsbetrag zwischen dem tatsächlich erzielten Entgelt und dem Entgelt, der ohne die ehrenamtliche Tätigkeit erzielt worden wäre, als Bruttoarbeitsentgelt iS des Abs 3 Buchstabe a, wenn der Arbeitnehmer dies beim Arbeitgeber beantragt. Der Beitrag für den Arbeitsentgelt nach Abs 3a ist gemäß dem folgenden Absatz 4 Buchstabe g vom Versicherten zu tragen. Dieser erhält deshalb nach § 2 Abs 2 Satz 3 des Gesetzes über die Entschädigung der ehrenamtlichen Richter (EhrRiEG) eine Entschädigung nach dem regelmäßigen Bruttoverdienst einschließlich der vom Arbeitgeber zu tragenden Sozialversicherungsbeiträge.

Hinderungsgründe, eine derartige Lösung zumindest für die Zeit ab Januar 1973 vorzusehen, sind nicht ersichtlich. Die vom Bundesminister der Verteidigung im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung zur Petition des Klägers abgegebene Stellungnahme vom 19. August 1985, die Einführung einer freiwilligen Aufstockung von Pflichtbeiträgen lasse sich nicht isoliert für einen bestimmten Personenkreis lösen, vermag dem gegenüber nicht zu überzeugen. Der dort weiterhin erhobene Einwand, durch eine solche Aufstockung würden Rentenanwartschaften ermöglicht, deren Finanzierung zusätzlich zu den demographischen Lasten der nachfolgenden Generation nicht aufgebürdet werden dürften, bezieht sich wohl nur auf die allgemeine Zulassung einer Aufstockung. Die Aufstockung speziell für Wehrübungen führt nur zu einer geringen Erhöhung der Belastung der Rentenversicherungsträger und bewirkt auch im Einzelfall keine erhebliche Erhöhung der Rente, worauf noch näher einzugehen ist. Vor allem aber stellt sich die Frage nach der Belastbarkeit der nachfolgenden Generation für Rentenzahlungen an Angehörige des öffentlichen Dienstes einerseits und der Privatwirtschaft andererseits in gleicher Weise.

Die ungleiche Bewertung der Wehrübungszeit kann schließlich auch nicht im Hinblick darauf hingenommen werden, daß sie sich nur geringfügig auf die Höhe der Gesamtrente auswirkt. Geringfügige Ungleichbehandlungen können als zulässige Typisierung hingenommen werden, wenn die Anwendung einer Vorschrift nur im Einzelfall ausnahmsweise zu einer Benachteiligung der Betroffenen führt; die Regelung darf nur in besonders gelagerten Fällen Ungleichheiten entstehen lassen und nicht ganze Gruppen von Betroffenen stärker belasten (BVerfGE 71, 39, 50). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

Bei der letztlich maßgebenden am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise (BVerfGE 71, 39, 58) ist auch das Gerechtigkeitsgefühl des Durchschnittsbürgers zu berücksichtigen. Der Wehrdienst ist ein in der Verfassung begründetes Rechtsinstitut. Die Rechtsordnung weist auch der Vorsorge durch eine Rentenversicherung einen hohen Rang zu. Die Vorschriften über den Versicherungsverlauf und die Unterrichtung der Versicherten über ihre Rentenanwartschaft zielen darauf ab, das Interesse des Versicherten an einer ausreichenden Rentenanwartschaft frühzeitig zu wecken. Den Versicherten immer wieder darauf hinzuweisen, daß infolge einer Wehrübung bei Versicherten der Privatwirtschaft die übliche Rentenanwartschaft nicht erreicht wurde, während Beschäftigte des öffentlichen Dienstes die übliche Entgelthöhe vermerkt finden, ist nicht nur unzweckmäßig, sondern kränkt das Gerechtigkeitsgefühl. Das gilt auch bei letztlich geringfügigen Beträgen. Die vom Kläger zu erwartende Altersrente wird sich zwar nach der Berechnung der Beklagten um 2,50 DM monatlich vermindern, was etwa 0,18 vH der Rente ausmacht. Aber gerade die Geringfügigkeit der in Frage stehenden Rentenleistung ermöglicht es, die Belastung zu übernehmen, zumal die Gruppe der Wehrübenden nicht all zu groß ist.

Auch hat sich der Bundestag bisher nicht auf eine Geringfügigkeit der Untersicherung oder die Unbedeutendheit der betroffenen Gruppe berufen, sondern einen Regelungsbedarf anerkannt. In der Beschlußempfehlung des Ausschusses zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Wehrgerechtigkeit und Verlängerung der Dauer des Grundwehrdienstes wird eingangs hervorgehoben, es sei ferner Ungerechtigkeit dadurch entstanden, daß der kleinere Teil der Reservisten der Bundeswehr vermehrt zu Wehrübungen herangezogen werde und somit persönliche Nachteile in Kauf nehmen müsse (BT-Drucks 10/5299 S 1). Gleichwohl sieht auch das Gesetz zur Verbesserung der Wehrgerechtigkeit und Verlängerung der Dauer des Grundwehrdienstes vom 13. Juni 1986 (BGBl I S 873) keine Verbesserung der Sozialversicherung bei Wehrübungen vor. Der Bundestag hat anläßlich der Verabschiedung dieses Gesetzes in seiner 210. Sitzung der 10. Wahlperiode lediglich eine Beschlußempfehlung gemäß der Drucksache 10/5299 unter b) angenommen (vgl stenographischen Bericht aaO S 16166 B), wonach die vom Bund an die Rentenversicherungsträger zu entrichtenden Rentenversicherungsbeiträge für Wehrübende so angehoben werden sollen, daß persönliche Nachteile für die Betroffenen vermieden werden sollen. Der Senat konnte deshalb die für seine Entscheidung maßgebende Regelung nicht als verfassungsgemäß ansehen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1663084

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