Entscheidungsstichwort (Thema)

Gefälligkeitsleistung

 

Orientierungssatz

Das Zersägen von Abfallholz aus dem Obstgarten und von ausgesonderten Möbeln für die Schwiegermutter stellt einen Gefälligkeitsdienst dar, wie er angesichts der engen familiären Beziehungen üblich ist. Der § 539 Abs 2 RVO ist nicht anwendbar.

 

Normenkette

RVO § 539 Abs 2 Fassung: 1963-04-30

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 15.08.1979; Aktenzeichen L 17 U 130/78)

SG Düsseldorf (Entscheidung vom 22.06.1978; Aktenzeichen S 16 U 37/77)

 

Tatbestand

Am 2. Januar 1974 schnitt der Kläger mit Hilfe einer Heimkreissäge für seine damals 70-jährige behinderte Schwiegermutter Brennholz. Er geriet mit der linken Hand in die Säge; ua wurde die Amputation des Zeigefingers distal der Grundgliedbasis sowie des Mittelfingers im Mittelgelenk erforderlich.

Die Schwiegermutter des Klägers bewohnte ein ausgebautes Gartenhaus in einem größeren Obstgarten. In der Ofenheizung verbrannte sie auch das Abfallholz dieses Gartens, welches der Kläger seit dem Tode des Schwiegervaters unentgeltlich zersägte. Dies nahm jährlich etwa eine Stunde in Anspruch. Am Unfalltage wurden darüber hinaus ausgesonderte Möbel zersägt. Hierfür benötigte er etwa eine weitere Stunde. Der Unfall ereignete sich unmittelbar vor Beendigung der Arbeiten.

Die Beklagte lehnte die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab, weil es sich bei der unfallbedingten Tätigkeit um eine verwandtschaftliche Gefälligkeit gehandelt habe, welche durch die familiären Beziehungen zur Schwiegermutter geprägt gewesen sei (Bescheid vom 26. Januar 1977).

Dieser Auffassung ist das Sozialgericht (SG) in seinem die Klage abweisenden Urteil vom 22. Juni 1978 im wesentlichen gefolgt.

Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen durch Urteil vom 15. August 1979 die Beklagte verurteilt, den Unfall vom 2. Januar 1974 als Arbeitsunfall anzuerkennen und Entschädigung zu zahlen. Der Kläger sei wie ein Versicherter gemäß § 539 Abs 1 Ziff 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) tätig geworden und daher gemäß § 539 Abs 2 RVO versichert gewesen. Entscheidend sei, daß er mit Hilfe eines relativ gefährlichen Werkzeuges eine Tätigkeit verrichtet habe, welche einen erheblichen Zeitaufwand erfordert habe.

Die Beklagte hat Revision eingelegt. Nach ihrer Überzeugung hat der Kläger am 2. Januar 1974 keine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit, sondern eine Gefälligkeitshandlung ausgeführt, welche ihr Gepräge durch die engen familiären Beziehungen zur Schwiegermutter erhalten habe.

Sie beantragt,

1. das Urteil des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen

vom 15. August 1979 aufzuheben und

2. die Berufung gegen das Urteil des SG Düsseldorf

vom 22. Juni 1978 zurückzuweisen.

Der Kläger und die Beigeladene beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Nach Meinung des Klägers ist seine Tätigkeit über eine bloße Gefälligkeit hinausgegangen. Wenn er das Holz nicht zerkleinert hätte, würde keine familienfremde Person diese Arbeit unentgeltlich erledigt haben.

Die Beigeladene vertritt ebenfalls die Auffassung, daß die unfallbringende Tätigkeit nicht durch familiäre Bindungen geprägt gewesen sei, zumal da keine häusliche Gemeinschaft bestanden habe. Auf die Dauer der Verrichtung komme es in Fällen der vorliegenden Art allerdings nicht an.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist begründet. Der Kläger stand während der Arbeiten für seine Schwiegermutter am 2. Januar 1974 nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.

Es bedarf keiner weiteren Begründung, daß der Kläger bei dem Zersägen des Abfall- und Möbelholzes in keinem Arbeits- oder Dienstverhältnis zu seiner Schwiegermutter stand, ein Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO mithin ausscheidet. Das LSG hat daher zutreffend ausschließlich geprüft, ob der Kläger nach § 539 Abs 2 RVO versichert war. Es hat auch die rechtlichen Voraussetzungen hierfür nicht verkannt. Nach seinen tatsächlichen Feststellungen verrichtete der Kläger am 2. Januar 1974 für seine Schwiegermutter eine ihrem Unternehmen - dem Haushalt - dienende Tätigkeit, die zudem ihrem erklärten Willen entsprach und in innerem Zusammenhang mit dem Unfallvorgang stand (vgl zuletzt BSG SozR 2200 § 539 Nr 55). Grundsätzlich schließen auch Freundschafts- und Gefälligkeitsdienste von Personen, die in keinem persönlichen oder wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis stehen, den Versicherungsschutz nicht aus. Es muß sich jedoch um eine Tätigkeit handeln, die ihrer Art nach sonst von Personen verrichtet werden könnte, die in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit stehen. Auch diese Voraussetzungen sind nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG hier gegeben.

Nicht jede unter den genannten Voraussetzungen geleistete Tätigkeit unterliegt indes dem Versicherungsschutz. Erforderlich ist vielmehr weiterhin, daß Art und Umstände, unter denen im Einzelfall die Arbeit verrichtet worden ist, einer Tätigkeit aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses der in § 539 Abs 1 Nr 1 RVO bezeichneten Art ähnlich ist (BSG SozR aaO sowie Nr 49; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.-9. Aufl, S 476 c). An dieser Ähnlichkeit fehlt es bei Gefälligkeitshandlungen, die unter Verwandten vorgenommen werden, wenn ihnen nach Art, Umfang und Zeitdauer der Tätigkeit die enge familiäre Beziehung das Gepräge gibt. Dabei ist nicht das Vorliegen eines Verwandtschaftsverhältnisses im Rechtssinne entscheidend, sondern das Bestehen enger familiärer Beziehungen, wie dies im Einzelfall bereits beim Bestehen eines Pflegekindschaftsverhältnisses entschieden worden ist (BSG SozR 2200 § 539 Nr 49) und für das Verhältnis zwischen Schwiegermutter und Schwiegersohn - wie hier - ebenfalls angenommen werden kann.

Die Berücksichtigung aller vom LSG festgestellten Tatsachen führt hier zur Annahme eines verwandtschaftlichen Gefälligkeitsdienstes des Klägers. Das LSG hat zwar richtig dargelegt, daß neben der Art der Tätigkeit insbesondere der Zeitaufwand, welchen ein Verwandter im Einzelfall treibt, die Annahme einer Ähnlichkeit mit einer Tätigkeit aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO rechtfertigen kann (BSG SozR 2200 § 539 Nr 55). Es hat den Rahmen hier jedoch zu weit gezogen. Die Entscheidungsgründe lassen erkennen, daß das LSG zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, wenn der Kläger nur, wie in den Vorjahren üblich, das Abfallholz aus dem Obstgarten zersägt haben würde. Bei einer jährlich nur einstündigen derartigen Beschäftigung für eine behinderte 70-jährige Schwiegermutter handelt es sich um eine Hilfsbereitschaft, wie sie bei derart engen familiären Beziehungen nach Art und Umfang üblich ist.

Hieran wird dadurch nichts geändert, daß der Kläger bei dieser Gelegenheit eine weitere Stunde lang ausgesonderte Möbel zersägte. Auch diese Tätigkeit, welche seltener anzufallen pflegt als das Zersägen von Obstholz, erhält unter den geschilderten Umständen des vorliegenden Falles ihr Gepräge durch die familiären Bindungen zwischen dem Kläger und seiner Schwiegermutter; sie entspricht einem unter Verwandten üblichen Gefälligkeitsdienst. Allein die Tatsache, daß der Kläger am 2. Januar 1974 beide Tätigkeiten nacheinander erledigte, weil dies zweckmäßig war, beseitigt nicht das eindeutig familiäre Gepräge der Sägearbeiten. Insoweit weist die Beklagte zutreffend darauf hin, daß neben der Dauer einer Tätigkeit auch ihr Charakter und ihre Häufigkeit zu beachten sind. Unter Verwandten übliche Gefälligkeiten werden in der Regel nicht dadurch zu arbeitnehmerähnlichen Tätigkeiten, daß sie aus Gründen der Zweckmäßigkeit oder anderen vernünftigen Erwägungen "gebündelt" erledigt werden.

Auch die Benutzung eines "relativ gefährlichen Werkzeuges" ändert hier den familiären Charakter der Tätigkeit nicht. Dabei kann dahinstehen, ob und unter welchen Umständen die Art der benutzten Hilfsmittel die Durchführung einer Arbeit, die für Verwandte geleistet wird, überhaupt als arbeitnehmerähnlich erscheinen lassen kann. Eine Heimkreissäge, wie sie üblicherweise auch von nicht fachkundigen Heimwerkern benutzt wird, ist jedenfalls hierzu allein nicht geeignet.

Der Kläger erledigte am 2. Januar 1974 eine Gefälligkeitstätigkeit mit familiärem Gepräge. Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 RVO war nicht gegeben. Das angefochtene Urteil war aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des SG Düsseldorf vom 22. Juni 1978 zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1660746

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